Eine Zukunft ohne Hebammen:Alleingelassen im Wochenbett

  • Arbeitsbedingungen für Hebammen werden immer schlechter.
  • Kosten der Berufshaftpflichtversicherung sind in den letzten Jahren dramatisch gestiegen.
  • Viele Hebammen geben auf - zum Nachteil der werdenden Mütter.

Von Anna-Sophia Lang, Dachau

In einem Jahr könnte es im Landkreis Dachau keine Hebammen mehr geben. Denn ihre Arbeitsbedingungen werden immer schlechter. Einige haben deshalb schon aufgegeben oder sich beruflich umorientiert. Andere machen zwar noch Vor- und Nachsorge, betreuen aber keine Geburten mehr. Bei der aufsuchenden Hebammenarbeit, insbesondere der Wochenbettbetreuung, kann schon jetzt der Bedarf nicht mehr abgedeckt werden.

"Viele Frauen sind im Wochenbett alleingelassen", sagt Mechthild Hofner, Gremienbeauftragte des Bayerischen Hebammen Landesverbandes und Kreisrätin. Auch bei der Geburtshilfe wird der Mangel bald spürbar sein. "Die geburtshilfliche Versorgung ist momentan absolut gewährleistet", sagt Angelika Schneider vom Hebammenteam an der Dachauer Frauenklinik, "aber es bröckelt hinten und vorne."

Nur Freiberufler

Alle Hebammen im Landkreis Dachau sind freiberuflich tätig. Auch Schneider und ihre 14 Kolleginnen, die als sogenannte Beleghebammen Geburten an der Frauenklinik betreuen, wo die meisten Kinder aus dem Landkreis geboren werden. Als Freiberufler müssen sie sich selbst versichern. Die Kosten der Berufshaftpflichtversicherung sind in den letzten Jahren dramatisch gestiegen: Wer Kinder entbindet, muss seit dem 1. Juli jährlich 6274 Euro Haftpflichtprämie bezahlen. Doch auch, wer sich auf die Begleitung von Schwangeren vor und nach der Geburt beschränkt, zahlt wesentlich höhere Versicherungsbeiträge als noch vor zehn Jahren.

Für die Hebammen sind die Summen kaum zu stemmen. Rein wirtschaftlich betrachtet, lohnt sich ihre Arbeit häufig nicht mehr. "Es kommt unter dem Strich nicht viel raus", sagt Schneider. Das bestätigt auch Mechthild Hofner. Damit sich ihre Arbeit lohnt, erklärt sie, dürfte sie nicht mehr als eine Viertelstunde pro Termin brauchen. "Das würde weder eine gute noch medizinisch sichere Betreuung ermöglichen", sagt sie.

Schon jetzt fehlen im Großraum München Hebammen. Tagtäglich bekommt Hofner Anfragen aus dem ganzen Münchner Norden, der, so sagt sie, besonders unterversorgt ist. Bis Mitte Februar ist sie ausgebucht. Manch werdende Mutter, die bei ihr anfragt, muss sie abweisen: "Alles, was ich jetzt noch reinquetschen könnte, wäre in der Nacht."

Hebamme

Angelika Schneider (links) hat die kleine Beatrice auf die Welt geholt und betreut sie und die Eltern auch über die Geburt hinaus.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Bei der Nachsorge wird es schon eng

Auch Schneider und ihre Kolleginnen bekommen den Mangel zu spüren. Immer wieder haben sie sich in den letzten Monaten um Frauen gekümmert, die aus den Münchner Kliniken nach Dachau zurücküberwiesen wurden. "Wir haben gut zu tun", sagt sie. Frauen abweisen müssen sie zwar nicht. Aber bei der Nachsorge, sagt Schneider, werde es langsam eng.

Indes ist offen, ob die Hebammen von Mitte nächsten Jahres an überhaupt noch versichert werden. Verhandlungen zwischen dem Hebammenverband und dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) sind gescheitert. Dabei war es auch um Wege zur Abfederung der Haftpflichtprämie gegangen. "Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll", sagt Angelika Schneider. Die Verhandlungspartner haben inzwischen ein Schiedsgericht angerufen. "Es entsteht der Eindruck, dass die freiberufliche Geburtshilfe von Politik und Versicherungen nicht mehr gewünscht wird", kommentiert Mechthild Hofner die Verhandlungen. Damit spricht sie ihren Kolleginnen aus der Seele.

"Armutszeugnis und Alarmsignal"

Zwar wurden im vergangenen Jahr 33 000 Kinder mehr geboren, als im Jahr zuvor, wie das statistische Bundesamt vor einer Woche mitteilte. Dennoch ist die deutsche Geburtenrate eine der niedrigsten weltweit. Ein Hintergrund, vor dem Hofner das Handeln von Versicherern und Politikern als "kurzsichtig" bezeichnet. Dabei werde aus dem Blick verloren, dass die Geburtshilfe die Grundlage einer tragfähigen Gesellschaft sei. "Familien sind die kleinste Einheit", sagt Hofner, "die Geburt muss gut ablaufen, damit die Familien Kraft fürs Leben haben". Dass bislang kein geeignetes Gesetz zur Sicherstellung der Geburtshilfe vereinbart wurde, sei "ein Armutszeugnis und ein Alarmsignal".

Eine lebenswichtige Aufgabe

"Freiberufliche Hebammen können Frauen individueller und umfassender betreuen", sagt Angelika Schneider. Eine Untersuchung des internationalen Ärzte- und Wissenschaftsnetzwerks Cochrane vom August 2013 stützt die Argumentation der Hebammen. Sie kam zu dem Ergebnis, dass Frauen, die während der Schwangerschaft, der Geburt und in den Wochen danach durchgehend von einer Hebamme betreut wurden, seltener eine Frühgeburt hatten und weniger häufig ihr Kind vor der 24. Schwangerschaftswoche verloren. Außerdem mussten sie bei der Geburt seltener örtlich betäubt werden oder die Kinder mit Hilfe von Saugglocken oder Geburtszangen auf die Welt gebracht werden. Auch in den Wochen nach der Geburt kümmern sich die freiberuflichen Hebammen um die Mütter und ihre Neugeborenen. "Das frühe Wochenbett ist besonders sensibel", sagt Mechthild Hofner, "da brauchen die Frauen absolute Ruhe in einem geschützten Rahmen." Doch die Zahl der Tage, die Frauen nach der Geburt im Krankenhaus bleiben, gehe seit Jahrzehnten zurück. Inzwischen, erklärt Hofner, würden sie bereits am dritten Tag nach Hause geschickt. Dem Tag, an dem erfahrungsgemäß die Gelbsuchtwerte am höchsten und die Hormonumstellungsphase "gravierend" sei. asl

Gibt es keinen Kompromiss, steuert das Land auf dramatische Zustände zu. Denn mehr als die Hälfte der Geburten in Bayern werden laut dem bayerischen Hebammen Landesverband von freiberuflichen Hebammen betreut. Ihr Wegfallen hätte auch rechtliche Konsequenzen: Im Hebammengesetz ist die Hinzuziehungspflicht verankert. Sie besagt, dass bei jeder Entbindung eine Hebamme oder ein Entbindungspfleger dabei sein muss. Auch die im Sozialgesetzbuch festgeschriebene freie Wahl des Geburtsorts sieht Hofner in Gefahr.

Zunehmendes Renditestreben

Über eines ärgert sie sich ganz besonders. Während der Verhandlungen mit den Hebammen forderte der GKV-Spitzenverband die Einführung sogenannter Ausschlusskriterien für Hausgeburten. Darunter: Wenn der prognostizierte Entbindungstermin auch nur um einen Tag überschritten wird, wollen die Krankenkassen die Kosten für eine Hausgeburt nicht mehr übernehmen. "Ein Skandal", sagt Hofner, "das gleicht einem Berufsverbot." Es sei vollkommen normal, dass ein Kind 14 Tage vor oder nach dem Entbindungstermin zur Welt komme. Außerdem würde eine Umsetzung der Ausschlusskriterien aus Sicht der Hebammen bedeuten, dass die Entscheidungsfreiheit der Frauen hinsichtlich der Geburtsbetreuung eingeschränkt wird.

"Die Forderungen der Krankenkassen entbehren jeder evidenzbasierter Kriterien", sagt Hofner. Sie vermutet, dass dabei auch zunehmendes Renditestreben und eine wachsende Gewinnorientierung im Gesundheitsbereich eine Rolle spielen. "Mit Kaiserschnitten kann man Geld verdienen", sagt sie. Im Gegensatz zu einer normalen Geburt, die im Durchschnitt zwischen acht und zwölf Stunden dauere, sei ein Kaiserschnitt "planbar und schnell durchführbar". Für Mutter und Kind habe eine Geburt durch Kaiserschnitt jedoch Studien zufolge negative psychische und physische Auswirkungen.

Michaela Keller aus Karlsfeld ist seit mehr als 20 Jahren Hebamme. Geburtshilfe macht sie nicht mehr, doch auch sie ist bis Februar ausgebucht. "Hebamme ist mein Traumberuf", sagt sie, "an der Faszination hat sich in der ganzen Zeit nichts geändert." Doch irgendwann, prophezeit sie, werde es keine Nachsorge mehr geben. Wer Probleme beim Stillen oder mit dem Nabel des Kindes hat, wie es häufig vorkommt, müsse dann zum Kinderarzt gehen. Rückbildungskurse, glaubt sie, werden wohl Physiotherapeuten übernehmen. Für werdende Mütter sind das keine guten Aussichten.

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