Süddeutsche Zeitung

Dachau/Allach:Verstrickt in Zwangsarbeit

Im Sommer 1943 entstand das Dachauer KZ-Außenlager Allach. Rund 1000 Häftlinge montierten Triebwerke oder schufteten in der Fräserei. MTU und BMW haben die Geschichte des Allacher Werkes in zwei Bänden dokumentiert

Von Simon Schramm, Allach

Stanislaw Jurzak war Häftling des OT (Organisation Todt)-Lagers, das 1944 neben das Dachauer KZ-Außenlager Allach gebaut wurde. Die Nazis setzten die Häftlinge als Zwangsarbeiter im nahen BMW-Flugmotorenwerk ein. In einem Bericht an die Staatsanwaltschaft beschreibt Jurzak die Zustände im Werk: "Eberl [stellvertretender SS-Lagerkommandant; Anmerkung der Redaktion] beaufsichtigte die Arbeit beim Bau des Bunkers, wo ich ebenfalls drei Tage lang arbeitete. Während dieser Zeit kamen 23 beziehungsweise 24 Häftlinge ums Leben, die Sand für den Mörtel heranfuhren."

Der von Jurzak geschilderte Bunker auf dem 1936 entstandenen BMW-Gelände in Allach - Codename "Walnuß" - sollte zum Schutz der Motorenmontage vor den Bombardements der Alliierten dienen. Jahrzehnte später steht das Gebäude immer noch - auf dem Gelände des Industrieunternehmens MTU, das seit 1969 als Rechtsnachfolger von BMW eigenständig ist. Seine Vergangenheit ist dem Komplex nicht mehr anzusehen. Heute sind dort die Abteilung Oberflächenbeschichtung und Lager untergebracht. Erst im Inneren wird der Ursprung sichtbarer: Die zwei Meter dicken Außenwände, errichtet aus Stahlbeton, Zement und Kies aus dem Karlsfelder See, sind ungewöhnlich massiv. Am Ende eines grauen Tunnels, in einer Seitengasse, gelangt man zum "Eingang 4" des damaligen Bunkers. Das wohl nicht mehr bewegliche Tor besteht aus einer etwa 60 Zentimeter mächtigen Schiebewand, die auf einer verdreckten Gleisschiene steht. An den vor Rost dunkelroten Zahnrädern hängen Spinnennetze. Im Jahr 1944 mussten täglich 1000 Häftlinge durch dieses schmale Tor gehen und die Triebwerke der Flieger montieren.

Der Bunker erinnert nicht nur an den Umgang eines Unternehmens, das von der Verstrickung mit dem NS-Regime profitierte, sondern auch an die Rolle der Stadt München in der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft. "Der Standort München hatte eine Schlüsselstellung im Rahmen der nationalsozialistischen Rüstungsanstrengungen, vor allem für die Luftfahrtindustrie", sagt Stadtarchiv-Historiker Andreas Heusler. In seiner Studie über den Einsatz von nichtdeutschen Zwangsarbeitern schreibt Heusler, der Flugmotorenbau habe sich von 1934 an zum umsatzstärksten Standbein des BMW-Konzerns entwickelt. Laut Heuslers Studie das wichtigste Produkt während der Kriegsjahre: der luftgekühlte 14-Zylinder-Doppelstern-Einspritzmotor Typ 801.

Ein Werksbesuch bei MTU im November, angeregt durch den Lokalpolitiker und -historiker Klaus Mai, startet im Museum. Hier ist zwischen Airbus-, Tornado- und Boeing-Triebwerken auch der BMW 801er aufgestellt, der im Jagdflugzeug FW 190 oder im Fernaufklärer Do 217 Einsatz fand. Bis 1945 entstanden ungefähr 30 000 Exemplare des Triebwerks. Heute macht die militärische Produktion bei MTU noch 14 Prozent aus.

Das Jahr 1942 markierte einen Wendepunkt für die Häftlinge der Konzentrationslager: Hatten die Nazis die Lager bis dahin vor allem zur Internierung politischer Feinde und von 1938 an auch zur Unterdrückung von Menschen jüdischen Glaubens genutzt, so fiel im dritten Kriegsjahr der Entschluss, die Häftlinge auch als Zwangsarbeiter einzusetzen; notwendig war das auch, weil es an vielen Arbeitskräften fehlte. Infolgedessen wurden KZ-Außenlager nahe oder in Industriewerken angelegt. Im Sommer 1943 entstand das Außenlager Allach. Die Häftlinge arbeiteten in der Fräserei, der Zylinderkopffertigung, beim Materialversand und der Motoreninstandsetzung.

Auf dem MTU-Gelände erkennt man die Gebäude des ursprünglichen BMW-Werks an ihrer Backstein-Bauweise. Ein solches Gebäude steht zum Beispiel gegenüber dem Museum. "Dort befand sich die Raketenwerkstatt", sagt Lokalhistoriker Mai, der über das KZ-Außenlager und die Zwangsarbeit im Werk forscht. Nur fünf Prozent des BMW-Werks seien zerstört worden, sagt Mai. Das habe unter anderem am nebligen Wetter während der Alliierten-Luftangriffe gelegen.

Zahlreiche Unternehmen, die in den Strafprozessen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht zur Verantwortung gezogen wurden, kümmerten sich auch in den Jahrzehnten danach, zum Teil bis heute, nicht um die Aufarbeitung ihrer Naziverstrickung; oft mit dem Argument der Fremdbestimmung durch die Nazis. Auch BMW verwies auf den Einfluss des Reichsluftfahrtministeriums - ehemalige Zwangsarbeiter hätten bereits auf Grundlage des Bundesentschädigungsgesetzes von 1956 Wiedergutmachung erhalten. "Viele Unternehmen haben bis in die Neunzigerjahre geblockt", sagt Historiker Andreas Heusler. Eine Firmenhistorie von BMW hatte er damals in den Kapiteln zu den Jahren 1930 bis 1945 als "beschönigend" bewertet.

1999 beauftragte MTU die Historikerin Constanze Werner, eine Studie über die Zwangsarbeit im ehemaligen BMW-Werk zu schreiben; BMW schloss sich dem Projekt zwei Jahre später an. Tatsächlich sei die wissenschaftliche Aufarbeitung durch Werner, die die Historikerin Katja Klee unterstützte und die im Jahr 2005 erschien, eine "Premiere" in München gewesen, so Historiker Heusler. "Es war ein Ausnahmefall, sich zu diesem Zeitpunkt so explizit mit seiner dunklen Vergangenheit auseinanderzusetzen." Anlass war damals das Interesse einer leitenden Mitarbeiterin bei MTU. Wie Andreas Heusler beobachtet, habe sich die Abwehrhaltung seit 2010 gewandelt. Dennoch: Immer noch scheuten sich manche Firmen, ihre Vergangenheit zu thematisieren. "Die großen kommen nicht drumherum, weil sie im Fokus stehen."

Was zeichnet die ehrliche Erinnerungskultur eines Unternehmens aus? Für Heusler ist die ausführliche Dokumentation wichtig. Aber es gehöre auch dazu, eine Öffentlichkeit herzustellen, etwa durch Gedenktafeln oder pädagogische Veranstaltungen. Eine "direkte und indirekte Verantwortung und Mitschuld für die Verbrechen des NS-Regimes" bezeugte die Historikerin Werner dem Unternehmen BMW. Es sei nicht nur Befehlsempfänger des Reichsluftfahrtministeriums gewesen, sondern habe auch Eigeninitiative gezeigt, im Bereich der Luftrüstung zu expandieren.

MTU und BMW haben die Geschichte des Allacher Werkes in zwei Bänden dokumentiert. "Wir kennen unsere Geschichte und verschweigen sie nicht", sagt MTU-Pressesprecherin Martina Vollmuth, die an der Werksbesichtigung ebenfalls teilgenommen hat. Sie verweist aber darauf, dass die Zwangsarbeit Teil der BMW-Geschichte sei. Eine Gedenktafel für die Opfer sei auf dem MTU-Gelände nicht vorhanden, sagt Vollmuth. "Noch nicht", schickt sie hinterher.

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SZ vom 10.12.2015
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