Süddeutsche Zeitung

Dachau:Ein schlechter Tag für die Demokratie

Zweifelsohne hat die AfD-Fraktion einen Sieg errungen. Die anderen Kreisräte konnten sich der gerichtlichen Anordnung nicht entziehen - doch ein eindeutiges Statement gegen die AfD wäre ihnen nicht verwehrt gewesen.

Kommentar von Helmut Zeller

Zweifelsohne hat die vierköpfige Fraktion der AfD, die im Kreistag bisher eher ein kleinlautes Dasein führte, einen Sieg errungen: nicht nur vor Gericht. Dessen Entscheidung ist, wie Landrat Löwl deutlich machte, in einer Demokratie zu akzeptieren - bis zum Hauptsacheverfahren oder dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Der Anordnung auf eine Neubildung der Kreistagsausschüsse hätten sich, rechtlich gesehen, die Kreisräte gar nicht entziehen können - doch ein eindeutiges politisches Statement wäre ihnen nicht verwehrt gewesen. Und es wäre notwendig gewesen, aber der Moment wurde von den großen Fraktionen von CSU, SPD und Freien Wählern nicht genutzt. Warum? Harald Dirlenbach hatte schon den richtigen Riecher, als er sich um Schadensbegrenzung bemühte und keinen Anschein von Nähe zur AfD aufkommen lassen wollte. Besser wäre gewesen, er und Kreisräte der CSU hätten klar Stellung bezogen - gegen eine Partei, die unter massivem Einfluss von Rechtsextremen, Antisemiten und Rassisten steht, um es mal milde auszudrücken. Nun also werden AfD-Mitglieder in den Ausschüssen - und in denen, nicht im Kreistag wird Politik gemacht - mitreden und Einfluss nehmen können. Mit Grausen denkt man da an die Aussage eines CSU-Bürgermeisters, die AfD im Landkreis sei ihm bisher nicht negativ aufgefallen.

Die Entscheidung des Münchner Verwaltungsgerichts hat noch andere politische Folgen: Natürlich werden dadurch Ausschussgemeinschaften von Kleinparteien verhindert und damit der Wille eines Teils der Wähler im Landkreis missachtet - der demokratische Diskurs wird empfindlich geschwächt. Das mag die CSU nicht nachhaltig beschäftigen, ein knappes Dankeschön an die Ausschussmitglieder von ÖDP, Bündnis und Linkspartei beendete die Zusammenarbeit, die nicht immer unkompliziert gewesen ist, wie Landrat Löwl noch anmerken musste.

Eine alte Wunde brach in der Sitzung auf

Es stellt sich, bei allem Respekt vor der Gewaltenteilung in der Demokratie, schon die Frage, weshalb eine solche einschneidende gerichtliche Entscheidung mitten in der Amtszeit erfolgt, nicht etwa zu Beginn der nächsten Periode 2026. Löwl hätte auch nicht seiner Stellvertreterin Marese Hoffmann (Grüne) in die Parade fahren müssen: Eine Vielzahl juristischer Urteile sind nicht nur "unter aller Sau", sie rufen geradezu nach einer Untersuchung rechtslastigen Gedankenguts unter Richtern und Staatsanwälten, wenn man etwa an die Entscheidungen für Plakate wie "Israel ist unser Unglück" oder "Hängt die Grünen" denkt. Da wären die Innenminister der Länder gefordert - und in Dachau wäre ein klares politisches Statement gegen diese Gerichtsentscheidung und ihre politischen Folgen nötig gewesen, gerade aus einer Position heraus, die die Gewaltenteilung als Fundament des demokratischen Staates akzeptiert.

Und die AfD hat noch einen Sieg errungen: Eine alte Wunde brach in der Sitzung auf, die die Einigkeit im Kreistag Lügen straft. CSU, SPD und Freie Wähler hatten nach der Kommunalwahl für das d'Hondt-Verfahren gestimmt, nicht um die AfD zu verhindern, aber um jeweils einen Sitz mehr zu erhalten. Nach Hare Niemayer hätte die AfD einen Sitz in den Ausschüssen erhalten, und dem Kreistag wäre viel erspart geblieben - vielleicht wäre das klüger gewesen und hätte die Demokratie vor einer Niederlage bewahrt.

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SZ vom 18.09.2021
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