Demo:350 Menschen protestieren gegen AfD-Veranstaltung

Bunt, nicht braun

Rund 350 Menschen protestieren gegen eine AfD-Veranstaltung im Ludwig-Thoma-Haus.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Am Tag nach dem rechten Terroranschlag in Hanau hat die AfD im Ludwig-Thoma-Haus zu einer Veranstaltung geladen. Davor demonstrieren 350 Menschen für ein buntes Dachau.

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Um 17.34 Uhr legt sich Stille über die Augsburger Straße. Rund 350 Menschen stehen eng beieinander auf dem Gehweg. Eigentlich wollen sie gegen eine AfD-Wahlkampfveranstaltung demonstrieren, die an diesem Abend im Ludwig-Thoma-Haus über die Bühne geht. Doch jetzt schweigen sie und gedenken der Opfer, die ein Rassist in der Nacht zuvor in Hanau erschoss, weil Menschen mit Migrationshintergrund nicht in sein Weltbild passten. Später flackern am Straßenrad die Lichter von elf Kerzen. Eine davon brennt für ein ungeborenes Kind. Eine der Getöteten soll schwanger gewesen sein. Pfarrer Björn Mensing greift zum Megafon und betet zum Dachauer Abendhimmel: "Oh Herr, wie konnte er zu so einer rassistischen Gesinnung kommen?"

Genau eine Stunde danach erheben sich im Saal des Thoma-Hauses rund 50 Menschen von ihren Stühlen. Der Dachauer AfD-Ortsvorsitzende Christoph Venjakob spricht am Rednerpult von einem "tragischen Ereignis", von dem man nicht viel wisse. Den Täter nennt er einen "Amokläufer". Er sagt auch in Richtung seiner Nachredner: "Das sollte uns heute zur Mäßigung mahnen." Dann ruft er zur Schweigeminute für die Opfer von Hanau auf.

Bunt, nicht braun

Das Schild einer Demoteilnehmerin

(Foto: Niels P. Joergensen)

Es sind dies die leisesten Momente des Abends, sowohl im Innern des Thoma-Hauses, wo die AfD eine Wahlkampfveranstaltung abhält, als auch draußen auf der Straße, wo sich die Gegendemonstranten versammelt haben, um ein Zeichen gegen Rechts zu setzen. Der rechte Terroranschlag von Hanau hat diesem Abend in der Dachauer Altstadt eine größere Dimension gegeben.

Immer mehr Menschen positionieren sich am frühen Abend auf dem Trottoir vor dem griechischen Restaurant Bakalikon gegenüber dem Thoma-Haus. Die Polizei nennt 300 Demoteilnehmer, die Veranstalter vom Runden Tisch gegen Rassismus zählen 350. Darunter viele Kommunalpolitiker unterschiedlicher Parteien. Die Demonstranten wollen den Besuchern der AfD-Veranstaltung zeigen, dass Dachau "bunt und nicht braun" ist. Diese Buchstaben halten sie in der vordersten Reihe nebeneinander. Aus den Musikboxen der Jugendlichen vom Freiraum ertönt unter anderem Bob Marley. Er singt: "We gonna chase those crazy baldheads out of town" (Wir werden die verrückten Glatzen aus der Stadt jagen). Immer wenn Besucher der AfD-Veranstaltung ankommen, pfeifen und rufen die Demonstranten "Nazis raus". Einer bläst in eine Vuvuzela.

Bunt, nicht braun

Der Karlsfelder SPD-Bürgermeisterkandidat Bernhard Goodwin.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Karlsfelds SPD-Bürgermeisterkandidat Bernhard Goodwin hält ein Schild hoch, auf dem geschrieben steht: "Solidarität mit Hanau, Sicherheit für alle." Überhaupt ist der rechte Terroranschlag für viele mit ein Grund, warum sie heute hierher gekommen sind. Anna-Maria Grodeke, 25, steht in der ersten Reihe und strafft mit anderen ein Banner. "Es ist wichtig, in diesen Zeiten Stellung zu beziehen. Gerade wegen Hanau und Halle", sagt sie. Die AfD solle sehen, "dass es eine große Opposition gegen sie gibt". Auch Cynthia Roosen, 60, nimmt an der Demo teil. Sie wolle ein Zeichen gegen Rechts setzen, sagt sie. Sie hoffe, dass "wenigstens eine gewisse Balance" in diesem Land erhalten bleibe. Peter Heller vom Runden Tisch gegen Rassismus ist zufrieden mit dem Zuspruch zur Demo. Wenn es um das Zersetzende dieser Gesellschaft gehe, gebe es keinen Unterschied "zwischen großen und kleinen Rechtsextremisten".

Während sich draußen immer mehr Menschen zur Demo aufstellen, laufen im Stockmann-Saal die letzten Vorbereitungen für den Wahlkampfabend. Christoph Venjakob, der für den Stadtrat kandidiert, und Michael Stauch, der in den Kreistag einziehen will, sowie andere AfD-Mitglieder hängen noch ein paar Plakate auf. An die Wand kleben sie auch Ausdrucke mit Tesafilm. Darauf heißt es: "Zur Wahnsinnstat in Hanau. Das ist weder rechter noch linker Terror, das ist die wahnhafte Tat eines offenkundig Irren." Diese Sätze hatte zuvor der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen getwittert - zu einem Zeitpunkt, als es längst Hinweise gab auf einen rechtsradikalen Hintergrund der Tat.

AfD Versammlung

Etwa 50 Menschen nehmen an der AfD-Veranstaltung teil.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Nach der Schweigeminute und Venjakobs Mahnung zu Beginn, bleibt Hanau bei der AfD-Veranstaltung an diesem Abend im Hintergrund. Auf dem Podium besprechen "fünf Köpfe fünf Themen", so der Titel der Veranstaltung. Auf der Bühne sitzen die Bundestagsabgeordneten Rainer Kraft (Augsburg Land) und Johannes Huber (Freising-Pfaffenhofen), der Landtagsabgeordnete Uli Henkel (München), der Dachauer Kreistagskandidat Michael Stauch und Stadtratskandidat Jürgen Henritzi. Jürgen Steinhäuser, stellvertretender Vorsitzender des Kreisverbands, moderiert. Stauch sagt, er habe nicht die Illusion, dass die AfD im Kreistag "mit offenen Armen empfangen werde". Dennoch freue er sich auf die Aufgabe. "Die anderen Parteien kommen an uns nicht vorbei." Er wolle sich unter anderem dafür einsetzen, dass das Vergabeverfahren für Sozialwohnungen transparenter werde. Hier schließt Henritzi an, der 32 Jahre lang CSU-Mitglied war. "Es mutet an, dass es sich um Mauschelei handelt, wer Wohnungen bekommt", sagt er. Er wolle die Verwaltung verschlanken und beim Haushalt der Stadt genau hinschauen. "In den letzten Jahren ist unsolide gewirtschaftet worden", sagt er. Die betriebswirtschaftliche Sichtweise sei unter Florian Hartmanns Regentschaft nicht besonders ausgeprägt.

AfD Versammlung

Der AfD-Stadtratskandidat Jürgen Henritzi.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Der Oberbürgermeister selbst steht draußen vor dem Thoma-Haus inmitten der Demonstranten. Er ist stolz auf seine Stadt. Menschen jeden Alters und aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen hätten sich heute hier versammelt, sagt Hartmann. "Es ist wichtig, dass es gerade in Dachau eine Sensibilität für solche Themen gibt." Heribert Spitzauer hat sich in die erste Reihe gestellt. Der Dachauer Maler stört sich daran, dass viele nach dem Terroranschlag von Hanau wieder von einem Einzeltäter sprechen. Das gehe an der Realität vorbei, sagt er. Deshalb findet er gut, dass so viele heute demonstrieren. "Aber eigentlich", sagt er mit Blick auf die Opfer, "ist es ein Tag zum Weinen."

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