Süddeutsche Zeitung

Adventskonzert in Dachau und Kleinberghofen:Doppelte Freude

Wenn die Saxofone kurzerhand den Oboenpart übernehmen: Das Erchana-Orchester und der Kirchenchor St. Martin erholen sich glänzend unter der Leitung von Dirigentin Gudrun Huber von der Pandemie.

Von Dorothea Friedrich, Dachau/Kleinberghofen

Sie summen, singen, brummen, trällern "Tochter Zion" in der voll besetzten St.-Martin-Kirche in Kleinberghofen. Am Pult steht Gudrun Huber, mal dem Publikum, mal dem Kirchenchor St. Martin und dem Erchana-Orchester zugewandt. Sie strahlt mit den goldglänzenden Figuren im Kirchenschiff um die Wette. Ist doch das Adventskonzert am vergangenen Sonntag der erste ganz große gemeinsame Auftritt von Chor und Orchester. Das Projekt haben Gudrun Huber und Chorleiter Martin Ziegenaus entwickelt. Bis zum Doppelkonzert in der Dachauer Gnadenkirche am Sonntagnachmittag sowie in St. Martin am frühen Abend, dauerte es allerdings eine ganze Weile.

Schon die Programmauswahl sei eine Art Herausforderung gewesen, sagt Gudrun Huber. Sind doch Orchestermitglieder und (überwiegend) Sängerinnen keine Berufsmusiker. Sie spielen und singen vielmehr nicht nur an diesem außergewöhnlichen Abend nach dem Motto "Die Himmel freuen sich und die Erde sei fröhlich", wie es in Ludwig van Beethovens "Die Himmel rühmen", heißt. Das ist einer der Höhepunkte eines sorgsam zusammengestellten Programms, das viel Flexibilität von allen Mitwirkenden verlangt. Ein Beispiel: Das reizende "Elfengeflüster" von Wilhelm Lüdecke erfordert eigentlich mehrere im Raum verteilte Posaunen. Aber: "Das entfällt mangels Posaunen", sagt Gudrun Huber, die sich mit Sängerinnen, Musikern und Martin Ziegenaus die kluge Moderation teilt. An anderer Stelle hat sie kurzerhand die Saxofone des Erchana-Orchesters mit dem Oboenpart betraut. Denn Oboistinnen und Oboisten fehlen derzeit im Orchester. Was nicht unbedingt coronabedingt ist, sondern möglicherweise daran liegt, dass der Nachwuchs ganz gerne im "heimischen" Orchester bleibt.

Der musikalische Querschnitt durch die Jahrhunderte hebt sich vom Jingle Bells-Gedudele ab

Zu Zeiten der gefühlt unzähligen Pandemie-Höhepunkte hätten Orchester und Chor soweit wie möglich weiter geprobt, sagen Orchesterchefin und Chorleiter übereinstimmend. "Wir haben Bläser und Streicher getrennt", so Gudrun Huber. Einige Musiker hätten jedoch das Orchester verlassen: "Die Älteren hatten einfach Angst, sich anzustecken". Martin Ziegenaus hat mit dem Kirchenchor St. Martin geprobt, "wann immer es möglich war - mit Riesenabstand". Er freut sich, dass niemand den Chor verlassen hat: "Wir haben sogar zwei neue", sagt er. Ist absolut nachvollziehbar, denn Singen tut bekanntermaßen Lunge und Bronchien gut. Wie gut, das zeigte der Kirchenchor mit "Freue dich, Welt, dein König naht" von Georg Friedrich Händel, mit dem uralten "Uns kommt ein Schiff gefahren" aus dem Andernacher Gesangsbuch, mit "Neuer Morgen" von Jo Akepsimas, mit "Zeit ist voller Hoffnung" von Norbert M. Becker und mit "Der König kommt mit Macht" nach einem israelischen Volkslied. Das war ein stimmiger, musikalischer Querschnitt durch die Jahrhunderte, der sich mehr als wohltuend vom sonst allgegenwärtigen Jingle Bells-Gedudele abhob. Mit Beethovens "Die Himmel rühmen" brachten Chor und Orchester die Wände der kleinen Kirche mit ihrer prächtigen Ausstattung fast zum Wackeln.

Das Erchana-Orchester glänzte mit dem Vorspiel zu Engelbert Humperdincks Oper "Hänsel und Gretel", mit Auszügen aus Johann Sebastian Bachs "H-Moll-Suite" und den beiden Solistinnen Andrea Orlowski und Sibylle Rupprecht sowie Edward German's Pastoral Dance, dem schon erwähnten "Elfengeflüster" und nicht zuletzt - gemeinsam mit dem Kirchenchor - der abschließenden Adventskantate von Klaus Heizmann und dem mitreißenden "Tochter Zion", eine Adaption von Händels "See, the Conqu'ring hero comes". Was Chor, Orchester, Gudrun Huber und Martin Ziegenaus an diesem Abend jenseits der musikalischen Leistungen auszeichnete, war die Sing- und Spielfreude aller Beteiligten. Sie ließ für eine wirklich gute Stunde guter Musik den sorgengeplagten Alltag einfach vergessen, ließ - ob gläubig oder nicht - Hoffnung auf bessere Zeiten aufblühen. Und das, obwohl kaum Zeit für gemeinsame Proben gewesen sei, wie Grudrun Huber sagte. Noch plagen Corona und Grippe auch die Kulturwelt. Und das Ergebnis sprach für sich: "Des hat's braucht", sagte eine ältere Frau nach der Wiederholung von "Tochter Zion". Dem ist nichts hinzuzufügen.

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