Schwangerschaftsabbruch:"Keine Frau trifft diese Entscheidung leichtfertig"

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Mit einem Transparent fordern Demonstrantinnen vor dem Amtsgericht Gießen die Abschaffung des Paragrafen 219a. Im Gericht muss sich eine Ärztin verantworten, die auf ihrer Homepage für Abtreibung geworben haben soll und sich damit strafbar gemacht hat. Der Bundestag will die Änderung des Paragrafen 219a beschließen, der regelt, wie Ärzte über Abtreibungen informieren dürfen. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Nach Paragraf 219a ist es eine Straftat, wenn Ärzte öffentlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren. Der Dachauer Ärztesprecher ist froh, dass das umstrittene Gesetz jetzt gekippt werden soll. Die Beratungsregelung findet er trotzdem richtig.

Von Shafia Khawaja, Dachau

Das gynäkologische Zentrum in Dachau/Karlsfeld möchte keine Stellung beziehen, "aus Zeitgründen", wie es heißt. Man könnte freilich auch auf die Idee kommen, dass es am Thema liegt. Alles, was mit Schwangerschaftsabbruch zusammenhängt, ist heikel. Auf ihrer Website klärte die Gießener Ärztin Kristina Hänel darüber auf, wie in ihrer Praxis Schwangerschaftsabbrüche ablaufen. 2019 wurde sie deswegen nach Paragraf 219a "Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft" angeklagt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Fall erlangte bundesweite Aufmerksamkeit. Jetzt soll der umstrittene Paragraf abgeschafft werden.

Der Ärztesprecher des Landkreises Dachau, Hans-Ulrich Braun, begrüßt diesen Schritt. "Ich halte die alte Regelung nicht für richtig", sagt er. "Ich bin immer dafür, dass neutrale Information möglich sein muss." Ärzte und Ärztinnen sollten nicht wegen einer sachlich-medizinischen Aufklärung kriminalisiert werden, so Braun.

Die Paragrafen 218 und 219 des Strafgesetzbuches regeln Schwangerschaftsabbrüche: "Es ist ein Spagat, eine Balance zwischen dem Schutz des ungeborenen Lebens und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau", erklärt Sylvia Pohl. Sie ist seit 20 Jahren in der Schwangerenkonfliktberatung "Donum Vitae" in Fürstenfeldbruck und Dachau tätig. Ihr ist es wichtig, zwischen Werbung und Information für Schwangerschaftsabbrüche zu unterscheiden: "Werbung kann auch eine Konkurrenz zwischen den Ärzten auslösen. Manche befürchten, dass die Ärzte nicht mehr nur medizinisch-sachlich argumentieren, sondern dass es darum geht: Schwangerschaftsabbruch - ja oder nein?" Juristisch wird aber häufig nicht zwischen Werbung und Information unterschieden.

Immer weniger Praxen bieten Abbrüche an

Nach der sogenannten "Beratungsregelung" sind Schwangerschaftsabbrüche straffrei möglich: Schwangere müssen dazu ein Gespräch bei einer staatlich anerkannten Beratungsstelle führen. Der Arzt, der den Abbruch durchführt, darf die Schwangere nicht beraten. "Ein Abbruch kann nicht von jedem beliebigen Gynäkologen durchgeführt werden, dafür braucht es bestimmte Zulassungen", erklärt Pohl.

In der Regel schlägt der Gynäkologe oder die Gynäkologin einen Arzt oder Ärztin vor, die den Schwangerschaftsabbruch durchführen kann. Auf der Website der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gibt es außerdem eine Suchmaschine, die Ärzte und Ärztinnen in der Umgebung aufführt. Doch die Zahl der Kliniken und Arztpraxen, die solche Eingriffe vornehmen, geht immer weiter zurück. Das Statistische Bundesamt vermerkte im Jahr 2003 noch 2050 Stellen, im ersten Quartal 2020 waren es nur noch 1128.

Nach der Beratungsregelung soll das Beratungsgespräch "die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft ermutigen". Dennoch betont Sylvia Pohl: "Es ist und bleibt die Entscheidung der Frau." Im Rahmen des Gesprächs reflektiert sie die Lebenssituation zusammen mit den Betroffenen und bietet alle nötigen medizinischen, sozialen und juristischen Informationen. "Viele Frauen sind sehr aufgewühlt, emotional angespannt und verunsichert. Manchmal bin ich die erste Person, der sie sich anvertrauen", erzählt Pohl.

Das Reden hilft vielen betroffenen Frauen

Die Gründe, eine Schwangerschaft abzubrechen, sind vielfältig. Viele Frauen, die Sylvia Pohl berät, seien psychisch oder physisch überfordert, hätten Angst vor der Verantwortung oder finanzielle Probleme. "Einige wollen erst das Studium abschließen und Berufserfahrung sammeln oder sehen sich noch nicht in der Familienphase", erklärt Pohl. Für viele sei es auch unvorstellbar, alleinerziehend zu sein. Ist der Wunsch abzutreiben finanziell begründet, klärt Pohl über staatliche Hilfsmöglichkeiten und gesetzliche Leistungen auf, zum Beispiel Wohngeld oder Kinderzuschlag. Meistens sei es nicht nur ein Aspekt, sondern mehrere Gründe, die zusammenkommen. "Keine Frau trifft diese Entscheidung leichtfertig", sagt Sylvia Pohl. "Ich mache die Arbeit schon länger und habe etliche Frauen begleitet. Manche beschäftigt das über Wochen, sie haben schlaflose Nächte und wissen nicht, wie sie sich entscheiden sollen." Sie Pohl sieht die Beratungsregelung daher als "Chance": Wenn die Frauen nicht mehr zum Beratungsgespräch kämen, würden ihnen vielleicht wichtige Informationen fehlen, fürchtet sie.

Auch der Ärztesprecher des Landkreis Dachau Hans-Ulrich Braun stimmt für eine verpflichtende Beratung: "Bei keinem anderen Eingriff gibt es eine Beratungspflicht, die dem Patienten auferlegt wird. Die Beratungsregelung für Schwangerschaftsabbrüche halte ich aber für eine angemessene und machbare Hürde." Pohl meint, viele der Frauen seien dankbar für die Reflexion und betonen, wie sehr ihnen das Beratungsgespräch geholfen hat, auch wenn es eine "Zwangsberatung" sei.

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