Asylpolitik im Landkreis Dachau:Der Kinderabschieber

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Die sechsjährige Schülerin der Greta-Fischer-Schule Claudia E. ist in Dachau geboren - nun wurde sie mit ihrer Familie nach Nigeria abgeschoben. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Landrat Stefan Löwl (CSU) lässt nun die Kleinsten und ihre kranken Elternteile mitten in der Nacht ins Ungewisse abschieben - und steht zunehmend politisch isoliert da.

Kommentar von Jessica Schober, Dachau

Landrat Stefan Löwl (CSU) will kein Unmensch sein. Es sei ihm wichtig, nicht mehr so bezeichnet zu werden, ließ er vor einiger Zeit wissen. Nun ist es unmöglich geworden, ihm diese Bezeichnung zu ersparen. Wie sonst soll man jemand nennen, der eine schwer gebeutelte Familie ins Nichts schickt? Der Christsoziale beschreibt sich als nicht zuständig, wenn es darum geht eine christliche Familie zu schützen. Mit dieser Abschiebeaktion hat Landrat Stefan Löwl sich verschätzt. Denn es gibt in jeder Geschichte einen Punkt, an dem die Paragrafenreiterei ein Ende finden muss: Es ist jener Punkt, an dem bei anderen Menschen ein Herz schlägt.

Noch im Frühjahr ließ Löwl sich im Bayerischen Rundfunk für seine Integrationspolitik von Staatsminister Joachim Herrmann (CSU) loben. "Vorbildlich" gehe der Landkreis Dachau mit Geflüchteten aus der Ukraine um. Parallel dazu hat Löwls Ausländeramt seit Jahresbeginn insgesamt zehn Menschen nach Nigeria abgeschoben - der Fall der katholischen Familie E. sticht dabei besonders heraus. Dass drei Kinder, darunter ein Junge mit geistiger Behinderung, mit ihren kranken Eltern ohne humanitären Schutz auskommen müssen, kann man nur grausam nennen.

Löwls Behörde selbst setzte die Abwärtsspirale in Gang, die zur Abschiebung der Familie E. führte. Als dem unbefristet festangestellten Vater die Möglichkeit zum Arbeiten entzogen wurde - aus nicht nachvollziehbaren Gründen, wie auch Grünen-Abgeordnete Beate Walter-Rosenheimer beklagt - entstanden Lücken in seiner sogenannten Erwerbsbiografie. Diese Lücken warf man ihm vor, als der Antrag auf Beschäftigungsduldung abgelehnt wurde. Andernorts ist eine solche Beschäftigungsduldung ein probates Mittel, um berufstätige Fachkräfte am Ort zu halten. Es ist ein Ermessensspielraum, der in Dachau nicht genutzt wird.

Stefan Löwl steht politisch isoliert da, gar beschädigt

Würde Löwl wirklich Einzelfälle prüfen, hätte er sich bei den nach Nigeria Abgeschobenen des Jahres 2022 die Mühe für einen zweiten Blick machen können. Ganz unabhängig vom kommenden Chancen-Aufenthaltsrecht. Löwls eigene Wahrnehmung passt nicht zur Realität: Er ist nicht liberal.

Offenbar dringt Löwl mit seiner Grundhaltung zur Abschiebepraxis - die er selbst stets an Gesetze gebunden, aber auch menschlich vertretbar nennt - in seiner Ausländerbehörde nicht durch. In den vergangenen Monaten haben Anwältinnen und Anwälte das Amt in Dachau immer wieder als "knallhart" beschrieben. Klärende Anrufe des Landrats in seiner Behörde führen zu Abwiegelungen. Niemals jedoch zu personellen Konsequenzen. Nun verprellt Löwl alle Helfenden, die ihre jahrelangen Bemühungen ad absurdum geführt sehen. Selten finden auch Bundestagsabgeordnete so deutliche Worte der Kritik. Löwl steht politisch isoliert da, gar beschädigt.

Für das Mädchen Claudia E., sechs Jahre alt, kommt es zu spät, dass der Fall ihrer Familie nun die Öffentlichkeit erschüttert. Sie ist im Klinikum Dachau geboren, hat ihre Kindheit hier verbracht. Kann Löwl sich vorstellen, was das bedeutet, mit zwei kranken Eltern, einer Schwester und einem Bruder mit geistiger Behinderung in ein fremdes Land geschickt zu werden? Mutter Faith soll laut Kinderbetreuern immer wieder Panik gehabt haben vor einer Rückkehr nach Nigeria, laut habe sie "Boko Haram, Boko Haram" gerufen. Landrat Löwl hat entschieden, diese Hintergründe auszublenden und den formal juristischen Weg zu gehen. Unmenschlich.

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