Süddeutsche Zeitung

Landkreis Dachau:"Die beste Oma der Welt"

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Am Nikolaustag feierte die Dachauerin Gertrud Hellfritzsch ihren 100. Geburtstag. Zu diesem Anlass bekam sie viel Besuch.

Von Carlotta Böttcher, Dachau

Vor 100 Jahren überquerten die ersten waghalsigen Piloten in einem Doppeldecker-Wasserflugzeug den Südatlantik von Lissabon nach Rio de Janeiro, in Ägypten wurde das Grab des Tutanchamun entdeckt und Niels Bohr bekam den Physik-Nobelpreis für sein Atommodell. Vor 100 Jahren ist auch Gertrud Hellfritzsch geboren, in Karlsberg in der damaligen Tschechoslowakei. Heute lebt sie in Dachau, wo sie vor kurzem ihren 100. Geburtstag gefeiert hat.

Gertrud Hellfritzsch hat ein ganzes Jahrhundert miterlebt - und dennoch steht sie gut gelaunt in ihrer Küche auf einen Stock gestützt. Sie wohnt weiterhin alleine in ihrer Wohnung im Osten Dachaus und wird dort täglich für ein paar Stunden von einer Pflegerin betreut. Einer ihrer beiden Söhne, Peter Hellfritzsch, erzählt vom Leben seiner Mutter.

Ihre Jugend verbrachte Gertrud Hellfritzsch in Karlsberg im Sudetenland und arbeitete dort im Heilbad als Brunnenmädchen, gab das mineralreiche Quellwasser an Kurgäste aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg floh sie mit ihrer Familie nach Langenpettenbach und lebte dann lange Zeit in Markt Indersdorf. Als 45-Jährige fing sie nochmal an zu arbeiten, dieses Mal als Putzkraft bis zu ihrer Rente. Dann hatte sie Zeit, sich ihren fünf Enkeln und inzwischen vier Urenkeln zu widmen - zuletzt verbrachte sie als 85-Jährige ein halbes Jahr in Kroatien im Ferienhaus ihrer Enkelin, um sich um deren Kinder zu kümmern, während diese arbeitete. Im Wohnzimmer der Jubilarin schmücken zahlreiche Familienfotos die Wände und Sofakissen, auch eine Urkunde für "Die beste Oma der Welt" hängt an der Wand, datiert auf den 1. Dezember 1992.

Schwiegertochter Elfriede Hellfritzsch sagt, die 100-Jährige sei stets eine energiegeladene Powerfrau gewesen, habe viel getanzt und geturnt. Bis vor fünf Jahren, mit 95, sei Hellfritzsch noch Fahrrad gefahren. Auch heute sagt sie: "Ich muss jeden Tag laufen und mich bewegen" - das scheint das Geheimrezept zum Altwerden zu sein. Neben den Familienfotos hängt ein Gedicht der Enkel zum 94. Geburtstag: "Stimmt diese Zahl, kann es denn sein? Wenn man dich sieht, dann meint man Nein." Und weiter unten: "Mit der Garde - wäre das nicht toll - machst du die 100 sicher bald voll." Das tat sie. Am Samstag kommt die ganze Verwandtschaft zusammen, um die Jubilarin zu feiern

Am Dienstag klingelt es zwischendurch an der Tür. Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) und die stellvertretende Landrätin Marianne Klaffki (SPD) kommen, um Hellfritzsch zu gratulieren und überreichen ihr zwei große Geschenke. "Mein Gott, das sind so viele Sachen", sagt die 100-Jährige und schlägt die Hände über ihrem Kopf zusammen. "Ihr müsst mich doch nicht so verwöhnen. Alle sind so nett."

Auf dem Gabentisch liegt auch ein Brief des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, persönlich unterschrieben - womit er viel zu tun haben dürfte. Laut Statistischem Bundesamt lebten vergangenes Jahr rund 23 500 Menschen in Deutschland, die 100 Jahre oder älter waren. Ein Großteil davon sind Frauen, unter anderem weil deren Lebenserwartung höher ist, und im Zweiten Weltkrieg deutlich mehr Männer als Frauen gestorben sind. Der Trend ändert sich jedoch: Waren 2011 nur 13 Prozent der Generation "100 plus" Männer, sind es inzwischen 20 Prozent.

Gertrud Hellfritzsch muss sich nach der ganzen Aufregung wieder hinsetzen, ihr ist ein bisschen schwindelig. Auf dem Sofa sitzend redet sie munter weiter, erzählt von ihrer Enkelin, dann von ihrem Abwasch, den sie immer noch alleine macht - niemand sonst wisse ja, wo das Geschirr eingeräumt werden muss. Zwischendurch schaut sie Hartmann verwundert an und fragt: "Wer sind Sie eigentlich?" Die Runde lacht verlegen, "Oma, das ist doch der Oberbürgermeister", erklärt die Schwiegertochter. Eine 100-Jährige darf so etwas schon einmal fragen.

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