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Cyber-Kriminalität nimmt zu:Tatort Internet

Cyber-Kriminalität nimmt Jahr für Jahr zu, die Maschen der Täter ändern sich schnell. Viele Tricks der Betrüger sind auch der Dachauer Polizei bekannt. Trotzdem ist es oft schwierig, sie zu ermitteln

Von Christiane Bracht, Dachau

Dieser Tage herrscht Hochkonjunktur: Die Geschäftsleute freuen sich auf die umsatzstärksten Wochen des Jahres. Aber nicht nur sie. Der Gang in die Stadt ist vielen Leuten zu anstrengend geworden. Statt sich in überfüllte Geschäfte zu zwängen und mühsam die Einkäufe nach Hause zu tragen, stöbern immer mehr Kunden in Online-Shops nach Geschenken für ihre Liebsten. Der Paketdienst liefert die Sachen bequem nach Hause. Es scheint nur Vorteile zu geben. Doch Vorsicht: Im Netz tummeln sich viele Betrüger. Auch bei ihnen klingelt dieser Tage die Kasse, weiß Oberkommissar Stefan Reichenbächer von der Polizei Dachau.

Etwa 2000 Betrugsfälle, die im Netz stattgefunden haben, bearbeitet der Beamte jedes Jahr. Dabei geht es keineswegs immer um kleine Summen, in Einzelfällen sind mehr als 100 000 Euro im Spiel. Manch ein Opfer stand sogar plötzlich unversehens vor Gericht, ohne dass es sich einer Schuld bewusst war, und wurde auch noch verurteilt. Cyber-Kriminalität ist ein weites Feld, die Maschen der Täter ändern sich schnell. "Sie sind hochintelligent und erfinden immer neue Varianten, wie sie an Geld kommen können", sagt Reichenbächer. Jedes Jahr kommen mehr Geschädigte zu ihm auf die Dienststelle. Er schätzt, dass die Netzbetrügereien in seinem Bereich jedes Jahr um etwa zehn Prozent zunehmen. Das ist beachtlich.

Am häufigsten sind Warenbetrügereien, sagt der Experte. Die Kunden bestellen, zahlen und bekommen die Ware nicht. Dabei spielt es keine Rolle, ob man einen "Damenschlüpfer bestellt hat oder ein Auto". Stutzig werden sollte man, wenn die Verkäufer auf Überweisungen bestehen und keine Bezahldienste wie Paypal akzeptieren, warnt Reichenbächer. Noch schlimmer ist es, wenn die Summe ins Ausland gehen soll. Denn an der Grenze enden die Strafverfolgungsmöglichkeiten der Polizei. Das nutzen die Betrüger. Zwar seien die meisten Länder kooperativ, aber ein Rechtshilfeersuchen kostet Zeit und mindert die Chancen, den Täter zu schnappen.

Trotzdem komme es immer wieder vor, dass Zehntausende von Euro nach Großbritannien oder Schweden geschickt werden, erzählt der Beamte. Grund ist meist ein vermeintliches Schnäppchen - zum Beispiel ein günstiges Auto. Die Geschichten ähneln sich: "Der Verkäufer erzählt, dass er lange in Deutschland gelebt hat, seinen Wagen aber nicht mitnehmen kann, ihn deshalb günstig abgeben will." Hellhörig könnte man werden, wenn der Verkäufer kein deutsch kann und erklärt, dass das Auto in Schweden steht. Aber der Mann ist freundlich und kooperativ: er bietet an, das Auto nach Deutschland zu fahren. Als kleine Rückversicherung erwartet er einen Teilbetrag - etwa die Hälfte -, die der Käufer bei Western Union auf seinen Namen einzahlen soll. "Es ist ja nichts dabei", denkt der Kunde vielleicht noch. Zum Beweis will der Verkäufer jedoch die Bestätigung. Darauf steht der Transaktionscode, und mit diesem und einem falschen Ausweis ist es für den Betrüger ein Leichtes, das Geld zu bekommen. Der Kunde indes wartet vergeblich auf das Auto. "Vorsicht vor übertriebenen Schnäppchen", warnt Reichenbächer. "Es gibt hier keine Zwei-Zimmerwohnung für 400 Euro, es gibt auch keine Miele-Waschmaschine für 500 Euro und es gibt keinen Neukundenrabatt für 300 Euro."

Vorsicht ist auch geboten, wenn der Verkäufer will, dass man das Geld an seinen "Cousin" überweisen soll. Dahinter steckt meist ein Dreiecksbetrug, bei dem die Hintermänner kaum noch auszumachen sind.

Aber auch Unternehmer gehen Betrügern auf den Leim, weiß Reichenbächer. Es komme gar nicht so selten vor, dass falsche Kontonummern angegeben oder Rechnungen mit fremden Kreditkarten beglichen werden. Bis die Firmeninhaber dies merken, ist die Dienstleistung meist längst erbracht. Busunternehmer, aber auch die Bahn und viele andere Firmen wissen ein Lied davon zu singen.

"Ein Satz Kreditkarten kostet im Darknet 7,50 Euro", weiß der Polizist. Wie die Täter an die vielen Daten kommen, ist den Ermittlern noch ein Rätsel. Aber gefälschte Webseiten und sogenannte Phishing-Mails sind sicher ein Schlüssel dazu. Phishing-Mails sind solche, bei denen man vermeintlich von seinem Bankinstitut oder einem Bezahldienst aufgefordert wird, seine Pin - und Tan-Nummern preiszugeben. Eine neuere Masche ist es, Facebook-Accounts zu knacken und sich von "Freunden" des Inhabers die Handynummer zu organisieren. Über Zong kaufen die Täter anschließend Gutscheine für Computerspiele. Die Rechnung bekommt der, dessen Handynummer angezapft wurde. Zuvor beschwichtigen die Täter ihn und erklären, dass alles in Ordnung sei, er müsse nur die Transaktionscodes weitergeben. "Eine BWL-Studentin aus dem Landkreis hat auf diese Weise mal 900 Euro verloren", sagt Reichenbächer. Die junge Frau dachte, sie würde die Codes ihrer Freundin zukommen lassen und ihr so helfen. Als sie die Telefonrechnung bekam, fiel sie aus allen Wolken. "In diesen Fällen gibt es nur wenig Ermittlungsansätze", gibt Reichenbächer zu. Anders ist das bei den Warenbetrügereien. Dort liegt die Aufklärungsquote bei etwa 60 Prozent. Die Täter sind meist unter 30 Jahre, weiß der Experte. Die Opfer indes kommen aus allen Schichten und Altersklassen.

Die dunkle Seite des Netzes

Wer im Netz anonym bleiben will, nutzt das sogenannte Darknet. Besonders interessant ist dieses verborgene Netz für Menschen in Ländern, in denen ein freier Informationsaustausch nicht möglich ist und alles überwacht wird. Doch die Anonymität des Darknets lockt auch viele Kriminelle an. So ist das Darknet hierzulande, wo der Meinungsaustausch ohne Probleme möglich ist, eher ein Marktplatz für Kriminelle wie Drogendealer, Waffenhändler und Betrüger.

Der Zugang ist erstaunlich leicht. Man lädt sich im Internet einfach einen Browser wie beispielsweise "Tor" herunter. Damit ist das Eintreten ins "Deepweb" einfach. Das Laden dauert freilich etwas länger als im normalen Internet, denn "Tor" arbeitet mit zahlreichen Verschlüsselungen und verschiedenen Servern auf der ganzen Welt. Dadurch wird sichergestellt, dass die IP-Adresse nicht rückverfolgbar ist. Und so kann man ganz direkt eingeben, was man gerade sucht: gefälschter Ausweis, Crack, LSD, Sprengstoff oder Sturmgewehr. Alles, was verboten ist, bekommt man hier. Natürlich gibt es auch besonders prekäre Foren, die nicht einfach zugänglich sind. So muss man für Waffengeschäfte oder pornografische Seiten eine besondere Einladung bekommen.

Bezahlt wird im Darknet übrigens nicht in Euro oder Dollar, sondern in Bitcoins. Diese sind leicht über das normale Internet erhältlich. Der Kurs schwankt; momentan liegt er bei etwa 3800 Euro für ein Bitcoin. cb

Besonders hohe Summen ergaunern die Betrüger beim so genannten Love-Scamming. Durch E-Mails, Chats und Telefonate werden Kontakte geknüpft, Vertrauen gewonnen, Liebe vorgegaukelt. Plötzlich gerät die Person angeblich in eine schwierige Situation, braucht Hilfe - natürlich finanzielle. Die Geschichten sind oft hanebüchen, das Geld muss immer ins Ausland geschickt werden. "Mehr als 100 000 Euro hat ein Mann aus dem Landkreis an eine Bank im Libanon geschickt, um eine Thailänderin auszulösen", berichtet Reichenbächer. "Er war sehr verliebt." Aber er ist keineswegs ein Einzelfall: Zwei Mal im Monat passiert ein solcher Betrug, berichtet der Polizist. "Ich möchte gar nicht wissen, wie hoch die Dunkelziffer ist." Die Scham seine Unbedarftheit zuzugeben, ist meist groß.

Aus "Liebe" bringen die Täter ihre Opfer auch dazu, Konten für sie zu eröffnen oder Pakete anzunehmen. Damit werden Ahnungslose in kriminelle Machenschaften verwickelt. Denn diese Gefälligkeiten dienen in der Regel dazu, Geld zu waschen. Während die Hintermänner sich im Netz verstecken, bleibt am Ende alles am Opfer hängen, sollte die Sache ans Licht kommen. So erging es auch einem Dachauer, der argwöhnisch wurde, ein Paket öffnete, damit zur Polizei ging - und am Ende zu einer Geldstrafe verurteilt wurde.

Hört man all dies, wundert es nicht, dass Reichenbächer sagt: "Wer heute noch eine Bank überfällt, ist ein Idiot." Anders als im Internet ist die Beute mit maximal 5000 Euro viel geringer. Wird man geschnappt, sitzt man ungefähr fünf Jahre.

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Quelle:
SZ vom 30.11.2018
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