Bundestagswahl in Dachau:Die CSU in Schockstarre

Bundestagswahl 2021

Lieber nicht hinschauen: Der Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath, Landrat Stefan Löwl, sein Vorgänger Hansjörg Christmann und weitere führende CSU-Kommunalpolitiker aus dem Landkreis im Sitzungssaal des Landratsamts hören von den Wahlberichterstattern wenig Erbauliches.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

33 Prozent für die CSU - diese Zahl markiert ein niederschmetterndes Ergebnis für die einst so erfolgsverwöhnten Christsozialen im Wahlkreis. Auch die Grünen hadern mit ihrem schwachen Abschneiden. Dafür ist die Stimmung bei SPD-Kandidat Michael Schrodi umso besser - auch wenn er sein ehrgeizigstes Ziel verfehlt hat.

Von Joshua Beer und Helmut Zeller, Dachau

Sonntag, 18.30 Uhr. Das Häufchen CSU-Politiker im Sitzungssaal des Landratsamtes Dachau sitzt mit versteinerten Gesichtern an einem Tisch. Alle starren auf die Fernsehbildschirme, auf denen die erste Hochrechnung zur Bundestagswahl läuft. Neun Minuten später betritt die Direktkandidatin Katrin Staffler den Raum, die wenigen versammelten Parteifreunde spenden kurz Applaus. Leidenschaft und Freude klingen anders.

Um 19 Uhr gibt es noch immer keine Ergebnisse aus den Gemeinden des Landkreises, aber das scheint keiner zu vermissen. Das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Union und der SPD im Bund schluckt ihre ganze Aufmerksamkeit. Der Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath hat noch kurz vorher gesagt: "Mir persönlich geht es gut, aber wie es dem Land geht, das wissen wir bald." So bald auch wiederum nicht. Aber seiner Partei, der CSU, geht es schlecht an diesem Abend, sehr schlecht sogar.

Fast möchte man glauben, sie haben sich verabredet, ihren Frust eisern zu verbergen und deshalb so verschlossene Gesichter aufgesetzt. Auch als im Fernsehen die erste Hochrechnung zu den Bayernergebnissen läuft, reagieren die CSU-Politiker, Altlandrat Hansjörg Christmann und Landrat Stefan Löwl sowie einige Bürgermeister, fast so, als ginge sie das nichts an. 31, 5 Prozent für die CSU - diese Zahl markiert ein niederschmetterndes Ergebnis.

Die Bundestagsabgeordnete Katrin Staffler, die 2017 der langjährigen Wahlkreisabgeordneten Gerda Hasselfeldt nachgefolgt ist, wirkt bedrückt. Ihr Erststimmenergebnis werde sie, sagt Staffler, unter diesen Umständen nicht halten können. Es ist kurz nach 19 Uhr - und die Hängepartie ist für sie noch lange nicht zu Ende. 2017 hatte die CSU im Landkreis 42 Prozent der Wählerstimmen eingefahren, zwölf Prozent weniger als vor vier Jahren; Staffler brachte es als Newcomerin auf einen respektablen Erfolg von knapp 46 Prozent im Landkreis Dachau.

Auf eine Wette hatte sich der erfahrene Politiker Hansjörg Christmann nicht einlassen wollen, wie er noch zwei Stunden vor der Schließung der Wahllokale am Sonntag sagt. Der Ausgang der Wahl war auch für den ehemaligen Dachauer Landrat von 1977 bis 2014 völlig unklar. Dabei lag er mit seinen Prognosen früher immer obenauf. Früher, das waren aber auch andere Zeiten - der Landkreis Dachau war eine uneinnehmbare Bastion der Christsozialen. Doch der Wandel hat sich schon bei den Bundestagswahlen 2017 schmerzhaft deutlich angekündigt.

Jetzt guckt Hansjörg Christmann im Landratsamt nicht überrascht, eher zerknirscht. Er hat es vorausgesehen, dass es - bundesweit - sehr knapp werden wird. Und mit Grausen denkt der Politiker an das, was folgen wird, das Gerangel um die Regierungsbildung in Berlin. In ihren ersten öffentlichen Stellungnahmen haben die Kanzlerkandidaten von Union und SPD bereits ihren Anspruch auf die Bildung der künftigen Regierungskoalition angekündigt. Das Zweitstimmenergebnis der CSU im Landkreis liegt zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor, aber Christmann ahnt schon, dass seine Partei wieder Federn lassen wird. Vor vier Jahren holte die CSU bei der Bundestagswahl noch 38,8 Prozent und verbuchte dies bereits als "historische Niederlage", wie es der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber damals nannte.

Es läuft schon seit langem nicht mehr wirklich gut für die Christsozialen. In der Stadt Dachau zum Beispiel wurden sie in den zwei zurückliegenden Kommunalwahlen als tonangebende politische Kraft verdrängt - von einem SPD-Oberbürgermeister. Früher wäre das nicht geschehen, mag der Altlandrat sich denken. 2017 hatte die CSU gleich den Schuldigen für das Wahldebakel ausgemacht. Merkel mit ihrer Flüchtlingspolitik war es gewesen. Dieses Mal reagieren die Christsozialen - noch - verhaltener, einen Sündenbock will man nicht sofort präsentieren. Die Abgeordnete Staffler will dem Kanzlerkandidaten der Union, Armin Laschet, nicht die Schuld geben. Das könne man, sagt sie, nicht monokausal erklären. Sie hat vor allem die Inhalte in diesem Wahlkampf vermisst, da sei über ein Lachen Laschets am falschen Ort debattiert worden, darüber, dass er seinen Wahlzettel falsch gefaltet und für jedermann sichtbar eingeworfen habe - aber die politischen Inhalte seien in den Hintergrund gerückt.

Das interessiert den SPD-Spitzenkandidaten im Wahlkreis im Moment herzlich wenig. Michael Schrodi tritt auf und gibt den energischen, zuversichtlichen, triumphierenden Wahlsieger des Abends. Im Landratsamt erklärt er, dass die Sozialdemokratie einen klaren Sieg erfochten habe und lässt keinen Zweifel daran, wer der künftige Bundeskanzler sein wird: Olaf Scholz. Dessen Rede hatten die CSU-Politiker schon vorher mit zusammengepressten Lippen angehört, Schrodi beäugen sie jetzt auch nicht gerade freundlich. Der Bundestagsabgeordnete, der im Vorfeld der Wahl schon mal davon träumte, dass er Katrin Staffler das Direktmandat abringen könnte, scheint jedenfalls bester Laune zu sein. Klar, die SPD im Bund hat die Union am späten Abend dann doch noch klar überholt, die bayerischen Sozialdemokraten sind auf dem Weg aus dem Jammertal heraus. Aber der Abend ist noch lang - und vielleicht geschehen ja auch Wunder. Kurz nach 21 Uhr sagt dann Schrodi, dass das mit dem Direktmandat nichts werden wird. Aber er scheint ihn nicht besonders anzufechten in der übergroßen Freude über den Wahlsieg seiner Partei.

Im Altstadthotel Zieglerbräu, wo die Dachauer Grünen die Wahl verfolgen, ist die Stimmung ausgelassen, trotz ernüchternder Prognosen. Am Eingang gibt es Prosecco oder O-Saft, im Saal sitzt man bei Pizza und Weißbier an Gruppentischen zusammen. So richtig enttäuscht ist niemand, es herrscht eher Zuversicht, dass sich das Ergebnis ihrer Partei hochkorrigiert, auch durch die Briefwahlstimmen. "Wir hoffen noch", fasst es ein Grünenmitglied zusammen. So hoffen sie gemeinsam beim Reden und Lachen. Und zwar laut. Vorne läuft die ARD-Wahlnacht über Beamer, doch man hört kaum was. Der Saal klatscht bei Baerbock und Habeck, buht bei Laschet und johlt bei Söder. So richtig still wird es nie.

"Festkleben am Mandat finde ich schlecht"

Als das prognostizierte Ergebnis der Grünen sich immer mehr von den erstmaligen 15 Prozent entfernt, stöhnen einige. Man will sich freuen, ärgert sich dann aber doch. Von einer "gespaltenen Stimmung" spricht Beate Walter-Rosenheimer, Direktkandidatin der Grünen. "Wären die Höhenflüge in den Umfragen nicht gewesen, wäre das nicht der Fall", sagt sie. Die Grünen haben enorm dazugewonnen. "Eigentlich gibt es einen Grund zu feiern", so Walter-Rosenheimer. In Feierlaune ist sie allerdings nicht, als sie im Zieglerbräu das Mikro ergreift. Ihre Bedrückung kann sie nicht verbergen, denn sie befürchtet, dass es für sie für den Wiedereinzug in den Bundestag nicht ausreicht. Weil sie jüngeren Parteimitgliedern den Vortritt ließ, steht sie relativ weit hinten auf Listenplatz 19. Als das geschah, rechneten die Grünen noch mit 17 oder 18 Prozent in Bayern. Nun liegen sie bei 14 Prozent.

"Das ist natürlich schade", sagt Walter-Rosenheimer in der Annahme, sie bekomme das Mandat nicht. Seit 2012 sitzt sie im Bundestag und ist Sprecherin für Jugendpolitik. Sie hält es aber für die richtige Entscheidung: "Festkleben am Mandat finde ich schlecht." In ihrer Ansprache startet sie mit dem Positiven und das liegt im Lokalen: "Das war ein Mega-Wahlkampf in Dachau!", sagt sie und lobt die Ehrenamtlichen, die diesen gestemmt haben. "Es ging ja oft schon morgens um 6 Uhr los mit Flyern am S-Bahnhof." Das halten ihr die Grünen hier zugute. Sie habe "unglaubliche Kräfte mobilisiert", sagt Kreissprecherin Karin Beittel und überreicht ihr Sonnenblumen, das Symbol ihrer Partei. Vielleicht trösten die ja ein wenig über das womöglich verlorene Mandat hinweg.

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