Regenbogenfahnen wehen an diesem Samstagnachmittag auf dem Max-Mannheimer-Platz. Wer den Blick durch die Menge schweifen lässt, schaut in fröhliche und entschlossene Gesichter, auf ausgefallene Outfits und politische Botschaften – denn die rund 150 Menschen demonstrieren und feiern den zweiten Christopher Street Day (CSD) in Dachau. Ohnehin steht der Juni als „Pride Month“ für die LGBTQ+-Gemeinschaft ganz im Zeichen der Toleranz und des Selbstbewusstseins, zu der eigenen Identität zu stehen.
Umso wichtiger ist für viele, den CSD auch in kleinere Städte zu bringen, wo Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle oft weniger sichtbar sind. Genau deshalb hat der Freiraum, Dachaus selbstverwaltetes Jugend- und Kulturzentrum, das zweite Jahr in Folge zu einer Demonstration aufgerufen. Laut Polizei und Veranstalter sind rund 150 Menschen gekommen.
Viele queere Menschen erleben Gewalt
„Wir sind hier, um sichtbar zu sein und ein Zeichen gegen Diskriminierung zu setzen“, sagt Stefanie Olbrich vom Verein Zwischenraum aus München. Sie erzählt von den gewaltvollen Erfahrungen, die queere Menschen etwa in vielen Freikirchen machen. Der Begriff queer ist eine Sammelbezeichnung für Menschen, die sich nicht mit traditionellen Geschlechtsidentitäten und Sexualitäten identifizieren. „Wir bieten einen Schutzraum, in dem sie sich angstfrei mit sich selbst, ihrem Glauben und ihrer Identität auseinandersetzen können“, erklärt Olbrich.
Für die Theologin war das nicht immer so. Mit 17 Jahren trat sie in eine Freikirche ein und geriet in einen großen inneren Konflikt. Bis ihr der Absprung zwei Jahre später gelang, vermittelten ihr die Glaubenssätze und Praktiken der Gemeinde das tiefe Gefühl, zwar nach außen hin „wie ein schöner Apfel zu glänzen“, innerlich aber „falsch und verfault“ zu sein. So blickt Olbrich heute auf diese Zeit zurück. Dabei ist die sexuelle Identität für sie so festgesetzt und unabänderlich wie die Augenfarbe: Alle Versuche, dies zu ändern, endeten in totaler Selbstleugnung. Deshalb ist es für sie so wichtig, queeren Christinnen und Christen mit dem Verein einen Raum zu geben, „wo sie nicht das Gefühl haben, zwischen den Stühlen zu sitzen“, sondern alle Aspekte ihrer Identität ohne Widerspruch ausleben können.





Bevor sich der bunte Demonstrationszug in Bewegung setzt, können sich die Teilnehmenden mit veganen Hotdogs oder Kaltgetränken stärken und an den Ständen von queeren Künstlern Postkarten oder T-Shirts erstehen. Am Rande des Treibens fällt eine maskierte Gruppe auf: Ihre menschlichen Gesichtszüge verbergen sich hinter Hundemasken aus Neopren oder Leder. Ein Halsband mit ihrem Hundenamen trägt jeder von ihnen und manch einer auch Pfotenüberzüge an den Händen. „Odysseus“, „Namenlos“ und die anderen gehören der sogenannten human Pupplay (Welpenspiel) Community an, die im Pride Monat die vielen CSD-Paraden nutzt, um im öffentlichen Raum sichtbar zu sein.
Sie kommen aus dem Landkreis, aber auch aus München, um an diesem Nachmittag die Vielfalt zu zelebrieren. Hündchen „Namenlos“, ein großer stattlicher Mann, trägt in seinem beruflichen Leben als Führungsperson in einer Behörde viel Verantwortung. „In der Rolle des Welpen kann ich Stress abbauen, abschalten und einfach Spaß haben“, sagt er. Beruflich und privat gehe er sehr offen mit dem außergewöhnlichen Hobby um, „für viele von uns ist das tierische Rollenspiel nicht an Sexualität geknüpft, es geht einfach darum, Spaß zu haben“.
Stolz und Selbstbewusstsein
Die Anliegen der Teilnehmenden an diesem Nachmittag sind vielfältig, doch sie alle drücken Stolz und Selbstbewusstsein aus. Dass es dennoch mehr als eine Party ist, zeigen die politischen Redebeiträge: Trotz düsterer Aussichten etwa durch die Bedrohung von rechts, fordert Jona Ott vom Dachauer CSD-Organisations-Team sich selbst und die Zuhörer dazu auf, sich von „Dystopien nicht lähmen zu lassen“. Otts Appel: „Pride is a protest, aber unser Pride darf auch eine Party sein – um zu feiern, dass wir queer sind, dass wir stolz sind und dass wir da sind.“ Cameron von „Beyond Color“ aus München teilt seine Perspektive als queerer Mann, der gleichzeitig von Rassismus betroffenen ist. Als Person mit Fluchterfahrung fordert er dazu auf, auch an jene zu denken, die in autoritären Regimen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Identität verfolgt werden.
„Nothing about us without us“, also „Nichts über uns ohne uns“ fordert Tuuli Reiss vom „Bundesverband Trans*“ in München. Reiss betont die dringende Notwendigkeit von Reformen im Gesundheitswesen, um Transpersonen den Zugang zu respektvoller medizinischer Versorgung zu gewährleisten.
„Für viele Menschen ist Diskriminierung alltäglich, das dürfen wir nicht vergessen“
Nach der Kundgebung setzt sich der Demonstrationszug langsam in Bewegung, aus den Boxen schallt Taylor Swift. Wie im Vorjahr führt das große, schwarze Transparent mit der Aufschrift „Fight like hell for the dead and the living“, auf Deutsch „Kämpft wie wild für die Lebenden und die Toten“, die Reihen an. Damit ist klar: Die Demonstrierenden haben die Opfer und die Menschen, die im queeren Kampf um Selbstbestimmung und Rechte vor ihnen gekämpft haben, nicht vergessen – sie setzen ihn heute fort.
Unter den rund 150 Teilnehmern läuft auch die Dachauer Schülerin Leoni die Demonstrationsroute über den Bahnhof weiter in Richtung Dachau-Ost mit. „Gerade in Zeiten des spürbaren Rechtsrucks ist es wichtig, als Community zusammenzukommen und sich gegen diesen Hass stark zu machen“, erklärt sie und fügt hinzu: „Für viele Menschen ist Diskriminierung alltäglich, das dürfen wir nicht vergessen.“ Damit neigt sich der zweite CSD in Dachau für die einen dem Ende zu, während die anderen sich bei der Aftershowparty zu queerer Musik schon den nächsten CSD in bunten Farben ausmalen.