Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Lieferdienste für die Seele

Lesezeit: 4 min

Die Corona-Krise bedroht Buchläden im Landkreis Dachau in ihrer Existenz. Diese geben aber nicht auf, sondern finden kreative Auswege

Von Julia Putzger, Dachau

"Ein Haus ohne Bücher ist arm, auch wenn schöne Teppiche seine Böden und kostbare Tapeten und Bilder die Wände bedecken" - dieses Zitat des Schriftstellers Hermann Hesse ist wieder aktuell geworden. In der Corona-Krise haben viele plötzlich mehr Zeit zum Lesen. Doch wer neuen Lesestoff braucht, kann nicht eben schnell zur Buchhandlung seines Vertrauens, um sich neue Bücher zu besorgen - in allen Bundesländern außer Berlin und Sachsen-Anhalt müssen diese nämlich derzeit geschlossen bleiben. Wie viele andere versuchen nun auch die Buchhändler im Landkreis alles mögliche, um ihre Kunden mit Büchern zu versorgen. Dabei kämpfen die Inhaber selbst darum, die Krise zu überstehen und einen finanziellen Ruin abzuwenden.

"Es steht Spitz auf Knopf", sagt Corinna Hegener, die in der Buchhandlung Wittmann in der Dachauer Altstadt arbeitet. Zwar gehe es derzeit fast allen Einzelhändlern so, in der Buchbranche sei die Krise aber besonders deutlich spürbar: "Da die Buchpreise festgesetzt sind, können wir keine eigenen Margen berechnen und die bestehenden Margen sind sehr gering", erklärt Hegener. Durch die angeordnete Schließung fällt die Laufkundschaft weg - laut Hegener machen diese Verkäufe aber rund 70 Prozent des Umsatzes aus. Somit bricht der wichtigste Teil des Geschäfts momentan weg. Ans Aufgeben denkt man in der Buchhandlung Wittmann aber ebenso wenig wie in Markt Indersdorf bei Beck und Boy. Claudia Beck und ihre Kollegin Jasmine Boy-Bobik liefern den Lesestoff an ihre Kunden persönlich aus - allerdings natürlich ohne jeglichen Kundenkontakt. "Wir stellen die Lieferung nur vor die Tür und legen eine Rechnung dazu", betont Beck. In Indersdorf und Altomünster wird zu Fuß ausgeliefert, in andere Gemeinden fahren die beiden Buchhändlerinnen mit dem Auto. "Damit wir wenigstens ein bisschen Umsatz haben und ein paar Unkosten gedeckt sind", sagt Beck.

Mit Büchern beliefern lassen können sich die Landkreisbürger nicht nur von großen Onlinehändlern und Versandhäusern, sondern auch von ihren regionalen Buchhändlern. Bestellt werden können die Bücher bei Beck und Boy entweder telefonisch, per Whatsapp oder Email. "Das ist natürlich komplett anders, weil man sich nicht vor Ort inspirieren oder beraten lassen kann, sondern sich selbst vorher informieren muss", erzählt Beck. Trotzdem werde das Angebot gut angenommen - vor allem von den Stammkunden. 30 bis 40 Bestellungen seien bisher durchschnittlich pro Tag eingegangen. "Das ist leider trotzdem nur ein Drittel bis ein Viertel des Umsatzes, den wir sonst machen", sagt Claudia Beck. Das Ostergeschäft, in dessen Rahmen abgesehen von Büchern auch andere Kleinigkeiten verkauft werden würden, leide nun stark - ein Gehalt können sich die beiden Inhaberinnen der Indersdorfer Buchhandlung deshalb derzeit nicht auszahlen.

Die Situation in der Dachauer Buchhandlung Wittmann ist ähnlich: Seit dem 18. März müssen die Türen geschlossen bleiben, drei der fünf Mitarbeiter stehen trotzdem täglich zumindest für ein paar Stunden im Laden. Denn das digitale Geschäft über den Onlineshop, den es bei Wittmann auch schon vor der Corona-Krise gab, läuft weiter.

Die Auslieferung der Bestellungen übernahmen die Mitarbeiter im Stadtgebiet bisher selbst, aufgrund des großen Andrangs soll nun aber alles mit der Post versendet werden, wie Corinna Hegener erklärt. "Es ist ein unglaublich hohes Aufkommen und mehr Bestellungen als gedacht", sagt sie. Bei 100 bis 150 Aufträgen pro Tag sei es einfach nicht mehr möglich, auch noch Teile der Auslieferung selbst zu stemmen. "Ein Kollege packt die ganze Zeit ein, einer schreibt ununterbrochen Rechnungen - die brauchen wir ja jetzt für jede Lieferung - und ich hänge hier die ganze Zeit am Telefon", berichtet sie über den Alltag im Ausnahmezustand. Auch jetzt berate man die Kunden gerne vor einem Bücherkauf, nur eben telefonisch: "Die Telefongespräche dauern derzeit viel länger", sagt Hegener und lacht. Sie ergänzt, dass der Umgang mit den Kunden im Moment paradoxerweise noch viel persönlicher sei, weil es eben aus dem Gewohnten herausfalle. "In den reduzierten Stunden ist viel zu tun, aber die Arbeit macht uns allen Spaß und wir arbeiten mit gutem Mut und viel Engagement." Denn trotz der Euphorie über die zahlreichen Bestellungen bleibt die Tatsache: "Die Situation ist ganz eindeutig existenzbedrohend - die Bestellungen fangen den Umsatz, der mit der Laufkundschaft wegbricht, nicht annähernd auf", fasst Hegener zusammen.

In einer weiteren Buchhandlung des Landkreises, dem Blätterwerk in Karlsfeld, wurde in den letzten Tagen ebenfalls an einer "Lösung gebastelt", wie auf der Internetseite zu lesen ist. Zwar ist der Laden derzeit noch komplett geschlossen, ab diesem Montag kann jedoch wieder telefonisch bestellt werden. Auch über den bereits bestehenden Onlineshop oder mit einer Bestellung per Mail können Kunden an ihr Lesestoff kommen. Dieses wird dann allerdings nicht nach Hause geliefert, sondern kann während der Öffnungszeiten im Getränkemarkt Kopp, der sich gegenüber des Blätterwerks befindet, abgeholt werden. Außerdem weißt Buchhändlerin Gabriele Grim darauf hin, dass auch Gutscheine bestellt und später - wenn die Buchhandlung wieder normal geöffnet ist - eingelöst werden können. "Damit würden Sie uns sehr helfen, diese annähernd einnahmefreie Zeit zu überbrücken", so Grim.

Obwohl es ihr "an Kopf und Kragen" geht, findet Hegener aus der Buchhandlung Wittmann die derzeitigen Restriktionen richtig. Die Konkurrenz von Online-Riesen wie Amazon oder Buchhandlungsketten fürchtet sie indes nicht: "Auch bei denen wird es eng, nur eben auf einem anderen finanziellen Niveau", sagt sie. Außerdem sei es möglich, dass sich Versandhändler wie Amazon derzeit eher auf lebenswichtige Waren konzentrierten und deshalb weniger Bücher bei den Verlagen orderten. Dementsprechend könnte es sein, dass manche Titel dann nicht lieferbar seien, erklärt Hegener weiter und sagt: "Vielleicht haben wir dann sogar einen kleinen Wettbewerbsvorteil."

Viel gravierender als etwaige Konkurrenz ist laut Hegener indes die generelle Umbruchphase, in der sich der Buchhandel schon seit einigen Jahren befindet. Deren Auswirkungen sind nun auch in Zeiten von Corona deutlich zu spüren. Hegener sagt: "Die Konkurrenz ist nicht nur das Onlinegeschäft, sondern das ganze Medienangebot. Das Medium Buch ist in dieser Fülle immer mehr an den Rand gedrängt worden."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4861357
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 30.03.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.