Corona-Experte in Haimhausen:Übertriebene Angst hilft nicht

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Seit einem halben Jahr ist er einer der gefragtesten Wissenschaftler: Am Freitag ist der Virologe Professor Hendrik Streeck bei der Bavarian International School in Haimhausen zu Gast und stellt sich den Fragen der Schüler. Sein Credo: "Die Pandemie ist ein Marathon, kein Sprint." (Foto: Toni Heigl)

Der Virologe Hendrik Streeck appelliert an alle zusammenzustehen. Die Pandemie bleibe

Von Lena Krafft, Haimhausen

"Diese Pandemie ist ein Marathon und kein Sprint", sagt Professor Hendrik Streeck. Der 43-jährige Virologe sitzt entspannt zurückgelehnt auf einer Couch auf dem Podium der Bavarian International School (BIS) in Haimhausen. Aus dem Saal unten blicken ihm die Schüler der zehnten und elften Klassen, sowie deren Lehrkräfte und einiger Gäste entgegen - natürlich alle mit Maske.

Die an den Sport angelehnte Aussage wird sich wie ein roter Faden durch seinen Vortrag auf dem Campus ziehen. Auch bei seinen Antworten, die er später den Schülern auf ihre Fragen hin gibt, wird Streeck immer wieder Bezug darauf nehmen.

Schon seit Ausbruch der Pandemie vor einem halben Jahr steht der Professor den Menschen in Deutschland Rede und Antwort. Dabei ist er erst seit knapp einem Jahr Leiter des Instituts für Virologie an der Universität Bonn, sowie des Zentrums für HIV und AIDS. Zuvor studierte er an der Berliner Charité und an der Uni Bonn, war unter anderem längere Zeit in den USA, wo er eine Assistenzprofessur am Ragon Institute of MGH, am MIT und in Harvard innehatte. Auch arbeitete er einige Jahre beim US-Militär in der HIV-Forschung. Seit 2015 ist er zurück in Deutschland. Dass ihm, nach nicht einmal einem halben Jahr im Amt, gleich eine so große Aufgabe erwarten würde, konnte er sich beim Antritt der Stelle nicht einmal im Ansatz vorstellen. Nichtsdestotrotz spricht er vergangenen Freitag einmal mehr über das Thema, mit dem er sich wohl mit am besten auskennt: das Coronavirus, SARS-CoV-2.

Nach kurzer Vorstellung durch Schulleiterin Chrissie Sorenson hält Streeck eine fünfzehnminütige Rede, in der er (auf Englisch) zunächst auf die Entwicklung der Forschung vor allem zu Beginn der Pandemie in Deutschland eingeht. Dabei betont er die Fortschritte und wichtigen Erkenntnisse, die man gemacht habe. Er spricht auch über die Angst, die damals um sich griff und wie Corona alle Teile des gesellschaftlichen Lebens bis heute beeinflusst und auch noch weiter beeinflussen wird. In diesem Zusammenhang sagt er, dass die Pandemie nicht einfach wieder verschwinden wird und man deshalb mit übertriebener Angst, Abwenden und Weglaufen nicht weit kommen wird. Er appelliert an die Menschen, zusammenzustehen und innerhalb der Gesellschaft helfen zu wollen und nicht nur das Gefühl zu haben, helfen zu müssen. Freiwilligkeit und Miteinander. Nur so könne man über lange Sicht etwas gegen das Virus tun, es sei eben ein Marathon und kein Sprint. Die Fragen von Schülern, Lehrern und Eltern drehen sich im Anschluss im Großen und Ganzen um die alltäglichen Sorgen, die mit dem Virus verbunden sind.

Angesprochen wurde unter anderem auch die Aussichten auf einen Impfstoff gegen Covid-19. Streeck erklärt hier, dass die Schwierigkeit nicht in der Entwicklung eines Impfstoffs selbst liege, sondern darin zu beweisen, dass und vor allem wie der Stoff wirke. Wie lange ein solcher Prozess dauern kann, ist seiner Ansicht nach nicht zu sagen. Auch der Zeitraum, in dem weiter Einschränkungen durch Sicherheitsmaßnahmen, wie dem Tragen von Mund und Nase bedeckenden Masken und dem Verbot von größeren Veranstaltungen gelten, lasse sich nicht absehen. Streeck betont hier zwar die Wichtigkeit des sozialen Kontakts, vor allem für junge Menschen, doch meint er auch, dass hier "Babyschritte" nötig seien, bis man ohne Risiko wieder zur Normalität zurückkehren könne.

Er hält es derzeit für verfrüht, über eine Lockerung der Regulationen zu sprechen, vor allem da er im Herbst und Winter einen erneuten Anstieg der Fallzahlen erwarte. Hier mahnt er auch, nicht nur Deutschland allein ins Auge zu fassen, sondern die ganze Welt.

Auf die Frage, wie eine zukünftige Pandemie vermieden werden könne, hat er dagegen eine klare Antwort. Er fordert eine starke Weltgesundheitsorganisation (WHO), die genügend finanzielle Mittel besitzen sollte, um eine Pandemie in ihrem Aufkommen und ihrer Entwicklung zu erforschen. Dies sei momentan nicht der Fall, doch eine Pandemie in einem Ausmaß wie das Coronavirus könne laut Streeck nur effektiv bekämpft werden, wenn sie auf weltweiter Ebene gemeinsam angegangen werde.

Nach ungefähr einer Stunde ist die Veranstaltung beendet. Die meisten Schüler gehen zurück in ihre Klassen, einige wenige dürfen sich noch im Einzelgespräch mit dem Experten unterhalten. Natürlich in gebührendem Abstand und mit Maske.

© SZ vom 28.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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