Corona-Pandemie:Tage der Ungewissheit

Corona-Pandemie: Der Aufbau des Dachauer Christkindlmarkts läuft weiter - trotz Absagen zahlreicher anderer Märkte im Landkreis.

Der Aufbau des Dachauer Christkindlmarkts läuft weiter - trotz Absagen zahlreicher anderer Märkte im Landkreis.

(Foto: Toni Heigl)

Die Corona-Lage im Landkreis Dachau spitzt sich zu. Viele Menschen vermissen klare Vorgaben der Politik.

Von Jacqueline Lang, Julia Putzger, Joshua Beer und Felix von den Hoff, Dachau

Das "Bing", mit dem sich neue Emails im Postfach der Redaktion ankündigen, schwillt dieser Tage fast zu einem kleinen Alarmgeläut an. "Bing, bing, bing", klingelt das Postfach unheilverkündend. Schon die Betreffs der elektronischen Briefe verheißen nichts Gutes. "Absage" ist das wohl mit Abstand am häufigsten vorkommende Wort. Darunter mischen sich Schilderungen vom Chaos beim mobilen Impfen, von 3G-Kontrollen durch die Polizei oder - sehr selten - auch Einladungen zu Veranstaltungen. Es herrscht Ratlosigkeit im Landkreis - mit einem derart turbulenten Infektionsgeschehen hätte wohl niemand mehr rechnen wollen.

Die Situation im Landkreis ist dramatisch: Die Sieben-Tage-Inzidenz lag am Montag bei 374. Innerhalb eines Tages infizierten sich 82 Menschen neu mit dem Coronavirus. Gleichzeitig ist das Dachauer Krankenhaus überbelegt. Landrat Stefan Löwl (CSU) nennt die Lage "kritisch". Stand Montag seien elf Intensivbetten in Dachau belegt - drei mehr als ursprünglich zur Verfügung standen. "Wir sind noch nicht in der Triage", betont Löwl- aber sie drohe. Angesichts dessen findet er die Signale aus Berlin falsch. Die Diskussionen um einen "Freedom Day", das Auslaufen der epidemischen Lage nationaler Tragweite, würden auf eine Art von Normalität hindeuten, die es nicht gebe. "Ich bin für 2G+", sagt Löwl, also geimpft oder genesen plus Test. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat bereits "2G für fast alles" von Dienstag an angekündigt.

"Dieses Jahr sagen wir nichts ab" - das steht für Frank Striegler, Veranstalter der Theatertage, fest

Viele im Landkreis vermissen angesichts der rasant steigenden Infektionszahlen eine klare Linie der Landes- und Bundesregierung. Haimhausens Bürgermeister Peter Felbermeier (CSU) wollte der Untätigkeit nicht länger zusehen. Er hat kurzerhand den Haimhauser Weihnachtsmarkt abgesagt: "Die Zahlen sprechen doch für sich." Man könne es einfach "nicht bringen", einerseits einen Christkindlmarkt zu veranstalten, wenn andererseits Operationen verschoben werden müssten. Und auch wenn er den Namen Markus Söder nicht in den Mund nimmt, ist doch klar, dass er sich von dem Ministerpräsidenten, der auch den Katastrophenfall ausgerufen hat, eine klarere Ansage gewünscht hätte.

Corona-Pandemie: Am Montag kann man sich vom BRK am Rotkreuzplatz impfen lassen, Schlangen bilden sich dort allerdings keine.

Am Montag kann man sich vom BRK am Rotkreuzplatz impfen lassen, Schlangen bilden sich dort allerdings keine.

(Foto: Toni Heigl)

Da es keine klaren Vorgaben gibt, kommt es, dass einige Weihnachtsmärkte im Landkreis nun erneut ausfallen, während andere stattfinden. Christian Naumann bleibt dabei - der Besuch des Dachauer Christkindlmarkts, den sein Verein organisiert, sei ein vertretbares Risiko. So lange die Menschen noch U-Bahn und S-Bahn fahren dürften, solle man nicht auf den Christkindlmärkten "rumhacken". "Wir sind ja im Freien und auch kein Volksfest oder Karneval - und selbst der findet statt", rechtfertigt sich der Organisator. Ob er dann wirklich ab Sonntag für einen Monat lang Glühwein ausschenken darf, da ist er sich dann aber doch nicht mehr so sicher wie noch vor ein paar Tagen: "Zehn Tage werden wir auf haben, das ist zumindest der interne Joke", versucht Naumann es weiter mit Optimismus.

Viel mehr als Galgenhumor ist auch Andreas Wilhelm nicht geblieben - verbittert wirkt der Vorsitzende des ASV Dachau am Telefon aber nicht. "Wir haben ja schon eine gewisse Übung damit", erzählt er von den sich ständig ändernden Regularien, die er an Mitglieder und Trainer weiter kommunizieren muss. Deren Umsetzung funktioniere zwar, doch die aktuelle Situation gleiche "einem Ritt auf dem Pulverfass". Nichts hat Wilhelm in all den Monaten der Pandemie jedoch so erschreckt wie die zunehmende Spaltung innerhalb seines Vereins: Die zwei Lager der Geimpften und derjenigen, die sich nicht impfen lassen wollen, treffen auch beim ASV aufeinander. "Der Ton ist rauer geworden", sagt Wilhelm besorgt.

Corona-Pandemie: Die Dachauer Theatertage finden wie geplant statt.

Die Dachauer Theatertage finden wie geplant statt.

(Foto: Toni Heigl)

Auch beim Impfen läuft es alles andere als rund im Landkreis. Am mobilen Impfzentrum Dachau erlebte SZ-Leserin Hanna Wallgren vor wenigen Tagen "das totale Chaos". Nach langem Warten hat die Schwangere das OK zur Impfung bekommen. "Also wollte ich das möglichst schnell erledigen." In Dachau aber habe sie mit drei älteren, krebskranken Menschen stundenlang in der Kälte warten müssen. "Die Senior*innen vor mir zitterten bereits am ganzen Körper", erinnert sich Wallgren. Keine Sitzmöglichkeit, kein warmes Getränk, keine Info vom Impfteam. "Die Umstände waren gelinde gesagt katastrophal", so Wallgren. Dann seien auch noch Leute wegen Impfstoffmangels fortgeschickt worden.

"Das kann aktuell passieren", sagt dazu Paul Polyfka, Geschäftsführer des BRK-Kreisverbands Dachau. Bei der vergangenen Impfstoffbestellung sei wohl der Andrang nicht absehbar gewesen. Das BRK spürt Polyfka zufolge den Druck der erhöhten Nachfrage, politische Entscheidungen hätten die Organisation "auf das Minimum reduziert". "Wir machen das Beste aus einer beengten Struktur", sagt Polyfka. Zu dieser Beengung gehöre leider auch die mangelhafte "Willkommenssituation" vor Ort. Dennoch: Die Stimmung im Impfteam sei nach wie vor professionell. Auf die kommenden Monate blickt Polyfka "mit Respekt vor der Herausforderung, die gerade erst begonnnen hat". Landrat Löwl kann sich nur wiederholen: "Die Leute müssen sich impfen lassen." Die Kapazitäten seien im Landkreis für November und Dezember gegeben. Eng könnte es am Jahresanfang 2022 werden, wenn bei vielen Geimpften die Booster-Impfung fällig wird. Darum begrüßt Löwl den Vorstoß von Söder und anderen, die Zeit zwischen der zweiten und der dritten (Auffrischungs-)Impfung von sechs auf fünf Monate zu kürzen: "Dann kann man das strecken."

Abgesagte Veranstaltungen

Die Bürgerversammlungen in Altomünster und Markt Indersdorf: abgesagt. Die Hofweihnacht auf dem Hofgut Sickertshofen: abgesagt. Die Abendmusik in der Karlsfelder Korneliuskirche: abgesagt. Der Stammtisch der CSU: abgesagt. Das Konzert der Unterbiberger Hofmusik des Kulturkreis Haimhausen: abgesagt. Die Krippenausstellung im Ludwig-Thoma-Haus: abgesagt. Der Schönbrunner und der Indersdorfer Adventsmarkt und "Advent am Kloster": abgesagt. Zahlreiche Vereine und Organisationen sagen nun nach und nach ihre teils von langer Hand geplanten Events ab, Rathäuser mehrerer Gemeinden operieren erneut im Notbetrieb. Einzig der Kulturverein Erdweg gibt sich optimistisch und schickt am Montag noch eine Einladung für ein Konzert am Sonntag: Kai Strauss & The Electric Blues Allstars sollen in der Landkreisgemeinde im Wirtshaus noch einmal ordentlich einheizen. Bis dahin sind es allerdings auch noch ein paar Tage. SZ

Ab diesem Dienstag darf in Bayern nur noch ein Restaurant besuchen, wer geimpft oder genesen ist. Die Gastronomie ist im Landkreis aber schon seit Donnerstag Gegenstand verschärfter Kontrollen der Infektionsschutzbestimmungen. Die Polizei stoße dabei jedoch auf "großes Verständnis" bei den Betreibern. In Dachau habe sie bei 45 Kontrollen lediglich einen Verstoß festgestellt. "De facto hatten wir letzte Woche schon 2G", sagt der Dehoga-Kreisvorsitzende Michael Groß. Schon vor der Vorgabe der Staatsregierung seien kaum noch Gäste ohne Impfnachweis gekommen. Das habe sich auch im Umsatz bemerkbar gemacht. "Das Geschäft ist eingebrochen", so Groß. Damit steht für ihn wie viele andere Gastronomen wieder das Thema Kurzarbeit im Raum. Groß sorgt sich einerseits um seinen Betrieb mit 70 Mitarbeitenden und seine Branche, die er von der Existenz bedroht sieht. "Das bereitet mir schlaflose Nächte", sagt er. Andererseits sei er erschrocken gewesen über die Zustände in den Krankenhäusern. Bei den von den Ärzten geschilderten Szenarien falle es schwer, über die eigene Not zu klagen. "Was soll man dazu noch sagen?", fragt Groß und wirkt am Telefon wirklich ratlos.

Die sich ständig ändernden Regeln bedeuten für Frank Striegler, den Organisator der Dachauer Theatertage, einen "Haufen zusätzlicher Arbeit". Doch für ihn steht fest: "Dieses Jahr sagen wir nichts ab." Sein Hauptmotiv: Die Kinder und Jugendlichen sollen wieder etwas machen können. Entsprechend verärgert ist er über die neuen 2G-Regeln, auch wenn dank Sonderregelungen bisher trotzdem fast alle zu den Vorstellungen kommen durften. Schon zuvor galt auch bei 3G die Maskenpflicht am Platz. Nur die 1, 50 Meter Abstand im Publikum sind für Striegler keine Option: "Da geht Theater einfach nicht mehr."

Einer der wenigen, der dieser Tage keine Veranstaltungsabsage, sondern eine Einladung schickt, ist Günter Bakomenko, Vorsitzender des SpVgg Röhrmoos. Sein Sportverein will in zwei Wochen die ausgefallenen Mitgliederversammlungen nachholen. Doch Bakomenko lädt nicht unbedingt ein, weil er so zuversichtlich ist, dass sich das Infektionsgeschehen in den nächsten Tagen beruhigt - sondern weil er per Vereinsgesetz daran gebunden sei. Sollte er die Jahreshauptversammlung doch wieder absagen müssen, werde sich schon eine Lösung finden - doch derweil trage man eben den bürokratisch notwendigen Teil bei und lade erst mal ein.

Zur SZ-Startseite
Christkindlmarkt

MeinungCorona und Weihnachtsmärkte
:Unbegreifliche Widersprüche

Dass einerseits der Katastrophenfall ausgerufen wird und andererseits Christkindlmärkte nicht bayernweit untersagt werden, ist inkonsequent. Die Politik müsste für mehr Klarheit sorgen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: