Süddeutsche Zeitung

Dachau:Was für ein Theater

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Kaum Publikum, kaum Einnahmen und viele teils unverständliche Vorgaben: Corona hat den Kulturbetrieb des Landkreises im Würgegriff. Doch es hilft alles nichts: Die Show muss weitergehen.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Wenn 100 Leute kamen, war die Dachauer Kulturschranne früher ausverkauft. Jetzt reichen schon 25. Weil das Coronavirus das Land nun ärger im Würgegriff hat als je zuvor, dürfen die Veranstalter nur noch ein Viertel der Plätze vergeben. So hat es die bayerische Staatsregierung verfügt. Dreiviertel leer ist jetzt das neue Voll. Für die Kulturveranstalter ist das eine Rechnung, die nicht aufgehen kann.

"Wir verdienen mit den Einnahmen aktuell etwa 50 Prozent der Künstlergagen", sagt Stephanie Widder vom Leierkasten. Die anderen 50 Prozent muss die Kleinkunstbühne aus ihren Reserven finanzieren. Dass die nicht schon aufgebraucht sind, liegt allein daran, dass die Veranstalter Zuschüsse von der Stadt Dachau bekommen und Zuwendungen von der Friedenskirche. Der Leierkasten wurde vor langer Zeit einmal als kirchliche Jugendgruppe gegründet, formal ist er das immer noch. Nach zwei Dritteln der Spielzeit müsse man wohl trotzdem mal einen "Kassensturz machen", sagt Widder. Damit man sieht, was man sich überhaupt noch leisten kann. "Wir wissen nicht, wie lange wir das noch durchhalten."

"Es wäre schön, wenn die Texte der bayerischen Staatsregierung etwas verständlicher wären."

Das gilt nicht nur für die Finanzen, sondern auch für die Kraft der Ehrenamtlichen. "Es ist schon sehr anstrengend und auch belastend", gibt Stephanie Widder zu. Die Organisation ist kompliziert geworden, die Corona-Regeln ändern sich ständig, und nicht immer ist den Veranstaltern klar, was die Politik von ihnen erwartet. "Wir wollen ja auch nichts falsch machen."

Mit diesem Problem steht der Leierkasten nicht allein da. Die Künstlervereinigung Dachau (KVD) musste kurz vor Eröffnung ihrer Jahresausstellung extra noch einmal beim Landratsamt nachfragen, unter welchen Auflagen sie ihre Kunstwerke zeigen dürfen. "Es wäre schön, wenn die Texte der bayerischen Staatsregierung etwas verständlicher wären", sagt Künstler Florian Marschall, der auch im Vorstand der KVD sitzt. Derzeit gelten die 2G-plus-Regeln. Das heißt: Jeder, der sich die Ausstellung anschauen will, muss genesen oder geimpft sein und darüber hinaus noch einen aktuellen Negativtest vorlegen. Wer den vergessen hat, kein Problem: Bei der KVD liegen kostenlose Selbsttests aus. Alles perfekt organisiert.

Der Besucherstrichliste nach zu urteilen ist die KVD-Ausstellung auch gar nicht so schlecht besucht, trotz der hohen Hürden. Was nicht heißt, dass man in der Bilanz nicht doch ein paar Abstriche machen muss. "Ich habe auch schon erlebt, dass Leute pikiert wieder abgezogen sind", erzählt Florian Marschall. "Das ist etwas, das ich in dieser Pandemie jetzt schon mehrfach feststellen musste: Die meisten haben einfach keine Ahnung." Und dann wundern sie sich.

Dabei haben es die Besucher vergleichsweise leicht. Am vergangenen Wochenende hatte Florian Marschall seine Atelierausstellung in der Kleinen Moosschwaige. Er wohnt in dem Atelier, er arbeitet in dem Atelier und er verkauft dort seine Bilder. Vermutlich würde selbst ein Staatssekretär des Gesundheitsministeriums ins Schwitzen kommen, sollte er erklären, ob hier nun die Regeln für Handel, Kultur oder einen Privathaushalt anzulegen sind. Marschall hat sich dafür entschieden, das Ganze als Privatsache zu behandeln. Eingelassen wurden nur Genesene und Geimpfte, drinnen musste man FFP2-Maske tragen, "den geselligen Teil haben wir draußen gemacht". Die Fenster oben und unten waren gekippt, damit es einen guten Durchzug gibt. "Ich weiß nicht, ob das richtig war", gibt der Künstler ganz offen zu. Er habe das getan, was er für notwendig hielt, um sich selbst in seinen vier Wänden sicher zu fühlen. "Ich bin danach ja derjenige, der in dem Dampf schlafen muss."

Spannungen zwischen Geimpften und Ungeimpften gibt es auch im Orchester

Man würde ja nun allerlei Reibereien zwischen geimpften Kulturschaffenden und ungeimpftem Publikum erwarten, aber Marschall kam gar nicht in die Verlegenheit, Ungeimpfte abweisen zu müssen. "Die kamen gar nicht erst." Das ist kein ganz neues Phänomen. "Wir haben festgestellt, dass zu Kulturveranstaltungen ohnehin nur die Geimpften kommen", sagt Dachaus Kulturamtsleiter Tobias Schneider. Als man sich als Ungeimpfter noch kostenfrei testen konnte, bot das BRK vor Veranstaltungen im Thoma-Haus Schnelltests an. Das wurde wieder eingestellt. Die Nachfrage tendierte gegen null.

Die Konflikte und Polarisierungen kommen andernorts zum Tragen, nämlich innerhalb der Kultureinrichtungen, wo sie immer mehr zu einer Belastung werden. Im Leierkasten-Team gibt es auch Ungeimpfte. Sie dürfen keinerlei Kontakt zum Publikum haben und fallen deshalb für viele Aufgaben aus. Weniger Schultern müssen jetzt mehr tragen. Das kostet Kraft.

Stephanie Widder ist trotzdem immer noch hoch motiviert. "Wir tun das ja gerne." Das Kinderkulturprogramm des Leierkastens habe "jetzt wieder richtig Fahrt aufgenommen", freut sie sich. Die nächsten beiden Vorstellungen von "Der kleine König feiert Weihnachten" sind bereits ausverkauft. Für die Kinder ist das Stück mittlerweile ein echter Klassiker. Kurzfristig wurden beide Vorstellungen ins Thoma-Haus verlegt, das ist geräumiger und die Lüftungsanlage ist dort erstklassig, das schafft zusätzliche Sicherheit.

In früheren Jahren wäre so ein kurzfristiger Umzug wohl kaum denkbar gewesen. Das Thoma-Haus ist das Veranstaltungshaus in Dachau schlechthin und im Herbst immer ausgebucht, zumindest war das vor Corona so. Nach zwei Jahren Pandemie habe man so seine Erfahrungen gemacht, sagt Kulturamtsleiter Schneider. Er beobachtet eine immer wiederkehrende Pendelbewegung: "erst euphorisches Buchen der Veranstaltungshäuser im Frühjahr, dann reihenweise Absagen im Herbst". Auch im Kulturbereich regiert das trügerische Prinzip Hoffnung. Schneider hat daraus seine eigenen Lehren gezogen. In den kalten Monaten plant er jetzt lieber alles erst mal eine Nummer kleiner; ein paar Stühle dazustellen kann man später immer noch. Und wenn die nächste Welle anrollt, weiß Schneider, was ihn erwartet: "Bei der Kultur wird immer zuerst und am schärfsten eingegriffen."

Schneider stellt das lediglich fest, viele Kulturschaffende empören sich darüber. "Ich habe noch nie gehört, dass sich jemand bei einer Kulturveranstaltung angesteckt hätte", sagt Gudrun Huber, Leiterin des Erchana-Orchesters und des Jugendsinfonieorchester Dachau. "Mich nervt es wahnsinnig, dass die Maßnahmen immer zuerst bei uns kommen."

Gudrun Hubers Erchana-Orchester spielte sein Jahreskonzert kürzlich in der Dachauer Gnadenkirche vor 40 Besuchern. Normalerweise sind es 300. Derweil jubelten Zehntausende Fans ihren Fußballclubs im Stadion zu. Auch das Erchana-Ensemble ist geschrumpft. Drei von zehn Musikern sind ungeimpft, gemeinsames Proben geht nicht mehr, Auftreten: undenkbar. Nur die Geimpften proben in kleinen Gruppen, hier die Bläser, da die Streicher.

Es heißt ja immer, die Musik verbinde, aber je länger die Pandemie fortdauert, desto mehr Misstöne schleichen sich in die große Harmonie. Alle sind gereizt. Gudrun Huber bemüht sich, die Gräben nicht weiter aufbrechen zu lassen. Aber sie, selbst geimpft, gibt zu, dass es ihr immer schwerer fällt, sich nicht über die Ungeimpften aufzuregen. Und als wäre das nicht schon genug Zündstoff, gibt es ja auch noch "die Warner". Sie wollten das Jahreskonzert lieber gleich absagen: zu gefährlich. Und zwischen allen Stühlen: Gudrun Huber.

Ihren positiven Grundton hat sie dennoch nicht verloren. "Wir freuen uns, dass wir überhaupt noch etwas machen können", sagt sie. Für das nächste Jahr bereitet sie bereits Probenwochenenden und Konzertauftritte vor, komme da, was wolle. Man muss sich ein Ziel setzen. Wer kein Ziel mehr hat, ist schon verloren.

Im Hoftheater Bergkirchen sorgt Regisseur Herbert Müller dafür, dass sein Profi-Ensemble auch in der Krise fokussiert bleibt. Aufgeführt wird hier derzeit nichts, gearbeitet wird aber schon, "sehr fleißig", wie Müller versichert: Es ist nun bereits das dritte Mal, dass sie mit den Proben für das Stück "Frau Luna" angefangen haben, das Stück hätte schon längst wieder auf die Bühne kommen sollen, immer wieder hat die Pandemie das verhindert. "Aber irgendwann muss das Ding ja raus", sagt Müller. Er hofft, dass es im Januar 2022 endlich so weit ist. Mehr als Hoffen geht nicht. "Wir können uns ja auf nichts einstellen." Alle zehn Tage aktualisiert er seinen Spielplan, je nachdem, was die neueste Ansage der Politik ist. Derzeit braucht er dafür wieder sehr viele Farbmarker. Wenn weiterhin das Modell strenge 2G-plus gilt, wäre das für das Hoftheater allerdings ein großes Problem. "Wir können ja hier schlecht ein Testzelt hinstellen", sagt Müller. Die Besucher müssten sich also anderswo einen Test besorgen. Aber wie viele machen das?

Mit 80 Sitzplätzen zählt das Hoftheater sowieso schon zu den kleinen Häusern. Wenn jetzt nur noch ein Viertel der Besucher erlaubt sind, besteht das Publikum aus maximal 20 Personen. Ohne Unterstützung könnte Müller den Laden unter diesen Umständen wohl bald zusperren. Bis Jahresende sichert glücklicherweise ein Förderprogramm des Bundes die Gagen der Schauspieler. Außerdem gibt es ja noch den in der Krise gegründeten "Freundeskreis" des Hoftheaters. Er hat die Mietkosten für das Haus komplett übernommen. "Es ist schon toll, so einen starken Rückhalt zu haben", sagt Herbert Müller. "Und die Hoffnung dürfen wir nie verlieren: Das Publikum kommt ja wieder."

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Quelle:
SZ vom 04.12.2021
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