Süddeutsche Zeitung

Umgang mit Krisenzeiten:Problemlösungen aus der Distanz

Christine Riederer war bei einem großen Online-Hack-Slam dabei.

Interview von Katja Gerland

Wie teilt man Ratschläge mit vielen Menschen, wenn Kontaktbeschränkungen ein großes Treffen nicht zulassen? Sogenannte Online-Hack-Slams - Online-Seminare, in denen Teilnehmer Lebensweisheiten austauschen - sind in der Pandemie beliebt geworden. Führungsmentorin Christine Riederer aus Karlsfeld war Teil des wohl größten Online-Hack-Slams mit Teilnehmern aus 17 verschiedenen Ländern, in dem Tipps zum Umgang mit Krisenzeiten im Mittelpunkt standen.

SZ: Frau Riederer, was macht einen Hack-Slam aus und wie gestaltete sich Ihre Online-Veranstaltung?

Christine Riederer: Bei einem Hack-Slam geht es darum, eine Lebensweisheit, also einen Hack, in kurzen Sätzen weiterzugeben. Wir haben das im Rahmen eines Seminars über Zoom gemacht. Jeder Teilnehmer wurde dabei aufgefordert, spontan mitzuteilen, wofür er im Leben steht. Die Besonderheit unseres Treffens hat sich dann unter anderem aus der Anzahl, den Nationalitäten, der Sprachen- und der Branchenvielfalt der Teilnehmer ergeben. Jetzt wissen wir mit Sicherheit: So einen großen Online-Hack-Slam hat es bis jetzt noch nie gegeben.

Was war das Ziel dieses Hack-Slams?

Vielen Menschen fällt es schwer, in Online-Veranstaltungen das Mikro und die Kamera anzuschalten, das Wort zu ergreifen und nicht immer die gleichen Personen reden zu lassen. Im Beruf ist es aber oft wichtig, sich zu zeigen, damit Mitmenschen wissen, was man tut und für was man steht. Dieser Überraschungseffekt, der durch den spontanen Hack-Slam entsteht, hilft dabei, sich ganz ungezwungen selbst mitzuteilen. Das Ziel ist also, die eigene Scheu zu überwinden.

Und welchen Hack haben Sie geteilt?

Wenn wir mit uns zu kämpfen haben, was ja gerade in der Coronapandemie bei vielen so ist, ist mein Hack: Egal, wie schwierig deine Situation ist, versuche dir vorzustellen, wie du in fünf Jahren darüber denkst. Damit nimmt man die Dramatik aus der Situation. Denn in dem Moment, in dem es einer Person nicht gut geht, ist sie emotional sehr gebunden. Deshalb ist es äußerst schwierig, einen klaren Kopf zu behalten, Mut und Zuversicht für die Zukunft zu entwickeln. Die Distanz, die in fünf Jahren liegt, die bräuchten wir in solchen Situationen eigentlich relativ zügig. Deshalb hilft es, aus dieser Perspektive auf die Gegenwart zu schauen und sofort anzufangen, mit kühlem Kopf die eigene Situation neu zu gestalten.

Was bedeutet denn, sich selbst zu führen?

Führen heißt, für sich selbst die Kompetenz zu haben, seine Situation einzuschätzen und aus dieser Situation, selbst wenn sie nicht gut ist, eine Zukunftsperspektive entwickeln zu können. Zu sagen: Nichtsdestotrotz gehe ich jetzt die nächsten Schritte, um mich weiterzuentwickeln.

Können Sie ein Beispiel geben?

Da wäre etwa der Gastronom in der Corona-Krise, der sein Restaurant schließen muss. Das ist eine schlimme Situation, also wird er sich sorgen und mit Angst reagieren. Indem er aber Abstand zu seiner Lage nimmt und sich vorstellt, aus fünf Jahren Distanz darauf zu schauen, kann er es schaffen, nicht mehr in der Angst festzustecken, sondern die Führung über sein Restaurant wieder zu übernehmen. Mit kühlem Kopf schafft er es dann, neue Strategien für sich zu entwickeln, zum Beispiel ein Standbein im Mitnahmegeschäft aufzubauen. Er lässt seiner schlimmen Situation dank seiner Führung weniger Platz.

Wie kann diese Denkweise, die Führung zu behalten, im Alltag helfen? Auch im Hinblick auf Schwierigkeiten der Corona-Pandemie?

Im Alltag geht es erst einmal darum, eine Schwierigkeit zu erkennen, denn die alltäglichen Krisen drängen sich oft nicht so auf. Aber wenn man sich selbst gut führen kann, erkennt man auch dann schnell, dass man sich in einer Krise befindet - eben, weil man es dann schafft, Abstand zu seiner Situation zu bewahren. Und dann können sich Menschen auch im Alltag fragen: Wie komme ich aus dieser Situation raus? Das funktioniert am besten, indem man sich nicht in Selbstmitleid ergeht. In der Coronapandemie ist es natürlich einfach, die eigene Situation als Folge der Maßnahmen und sich damit als Opfer zu sehen. Diese Denkweise hilft aber niemand, etwas am eigenen Leben zu verbessern. Man sollte also - auch wenn es je nach Problemlage sehr schwierig sein kann - aktiv Ziele und nächste Schritte formulieren, um so seinen Weg aus der Krise zu finden.

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Quelle:
SZ vom 21.06.2021
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