In Grüppchen stehen die Schülerinnen und Schüler zusammen, verteilt über vier Stationen im Klassenraum. Sie alle gehören zur zwölften Klasse des Wirtschaftszweiges der Fachoberschule in Karlsfeld, gemeinsam nehmen sie an einem Workshop zur politischen Bildung teil.
Eine Station besteht darin zu beurteilen, welche Fähigkeiten und Eigenschaften für eine rationale Wahlentscheidung nötig sind. Bei der nächsten Aufgabe geht es um das Unterscheiden von Fake News und seriösen Nachrichten auf sozialen Medien. Anhand von Beispielen und selbst gestalteten Posts wird diskutiert. An einer anderen Station wird das Wahlsystem beleuchtet, die Schülerinnen und Schüler müssen es aus Bestandteilen richtig zusammenlegen. Unter anderem wird die Bedeutung von Erst- und Zweitstimme geklärt.
Die vierte Aufgabe, das sogenannte „Parteienregal“, setzt sich mit Kernthesen aus den Wahlprogrammen der aktuell im Bundestag vertretenen Parteien auseinander. Symbolische Gegenstände, beklebt mit thematischen Begriffen, müssen der jeweiligen Partei zugeordnet werden. An allen Stationen steht jemand, der die Schülerinnen und Schüler anleitet und die Ergebnisse mit der Gruppe reflektiert.
Unterschiedliche Themen und Sorgen treiben die Jugendlichen um
Das „Demokratiemobil“ ist ein Projekt des Kreisjugendringes (KJR) in Dachau. Ziel ist es, mit Workshops an Schulen oder Jugendzentren im Landkreis zu kommen, um Jugendliche auf Augenhöhe über Demokratie und Politik aufzuklären. Der Fokus liegt auf Themen wie Wahlen und Positionen von Parteien, aber auch Extremismus, Populismus und Desinformation. Aktuell steht das Ganze im Kontext der bevorstehenden Bundestagswahl. Daniel Wagner, 26 Jahre alt, ist für das Projekt verantwortlich. Einfache, pauschale Aussagen über „die Jugend“, wie man sie oft höre, stören ihn. Bei seiner Arbeit merke er: „So divers und gespalten die Bevölkerung ist, so gespalten sind auch die Jugendlichen, mit denen ich agiere.“
Die Themen, die die jungen Menschen beschäftigen, sind vielfältig. Manche von ihnen sind noch minderjährig, sie dürfen bei der Bundestagswahl nicht abstimmen. Sie haben aber die Möglichkeit, am Ende des Workshops ihre Stimme für die U18-Wahl abzugeben. Eine von ihnen ist Katharina, sie ist 17 Jahre alt. Ausschlaggebend für ihre Stimme bei der U18-Wahl seien die Themen Wirtschaft und Migration, sagt sie. Ähnlich sieht es auch Felix, 18. Entscheidend für Mitschülerin Aylin, 19, ist eine Verbesserung in der Sozialpolitik, vorwiegend in Bezug auf Inflation und die immer weiter auseinandergehende Schere zwischen Arm und Reich. Die Klimapolitik als persönlich wichtiges Thema nennt Niclas, 17. Er würde sich zudem ein Absenken des Wahlalters bei Bundestagswahlen wünschen, da er selbst gerne schon mitstimmen würde.


Auch Sorgen treiben Teile der Klasse um: „In den Umfragen steht die AfD leider viel zu hoch“, sagt Katharina. Zudem bedrückt sie, dass die Mehrheitsbildung in der demokratischen Mitte nach der Wahl schwierig werden könnte. Aylin nennt als Sorge, dass die AfD salonfähig geworden sei. Sie vermisse immer mehr eine starke Abgrenzung durch andere Parteien. „Die AfD ist eine Gefahr“, findet sie.
Yasemin Öztürk, Politiklehrerin der Klasse, ist begeistert vom „Demokratiemobil“. Ihre Schüler kämen in den Austausch und würden politische Bildung „nicht nur trocken aus dem Schulbuch“, sondern interaktiv erleben. Dafür sehe sie im Unterricht großen Bedarf. Das „Demokratiemobil“ basiert auf ehrenamtlicher Hilfe, so auch von Hanna, 18, selbst noch Schülerin. „Es gibt viele Jugendliche, die mit falschem Wissen oder unwissend wählen“, berichtet sie. Deshalb findet sie es notwendig aufzuklären. Problematisch sei, dass viele junge Menschen ihre Informationen nur aus Social Media beziehen würden, wo bestimmte Parteien deutlich stärker vertreten seien als andere.

Zum Abschluss, während die volljährigen Schülerinnen und Schüler schon in der Pause sind, bleiben die anderen noch da, um für die U18-Wahl ihre Stimme abzugeben. Wagner teilt Stimmzettel aus, jede Person kann ein Kreuz setzen – Erststimmen gibt es bei der U18-Wahl nicht. Einer nach dem anderen gehen sie in die eigens dafür vorgesehenen Wahlkabine und stimmen ab.
„Da müssen wir Volksparteien mehr auf die Jugend zugehen.“
Demokratiearbeit, so wie sie auch das „Demokratiemobil“ macht, ist enorm wichtig für die junge Generation, findet auch Richard Reischl (CSU), Bürgermeister der Gemeinde Hebertshausen. Er hat es gerade selbst erlebt: Eine sechste Klasse hat ihn im Rathaus besucht. Die Schülerinnen und Schülern durften nach einem einstündigen Gespräch mit Reischl über Demokratie selbst wählen; eine Auseinandersetzung mit den Inhalten der Parteien war nicht Teil des Gesprächs. Das Ergebnis der Probe-Wahl: Die meisten Zweitstimmen bekam die AfD (23 Prozent), gefolgt von Bayernpartei (17), CSU, SPD und Linke (jeweils 12), sowie den Grünen (6).
Als am nächsten Tag die Siebt- bis Neuntklässler wählten – der Abstimmung war eine längere, politisch neutrale Vorstellung der Wahlprogramme der Parteien, sowie eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen vorausgegangen – sah das Ergebnis ganz anders aus: Siegerin war die SPD mit 28 Prozent, darauf folgten CSU (17), Grüne (13), Linke (10) und FDP (8). Dahinter Tierschutzpartei (6), Freie Wähler (5). Schlusslicht bildete die AfD mit drei Prozent der abgegebenen Stimmen.
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In diesem Resultat, so Reischl, sehe man deutlich, wie wichtig die Auseinandersetzung mit Demokratie und politischen Inhalten sei und welch positive Auswirkungen dies habe. Das Ergebnis der sechsten Klasse zeugt in seinen Augen von einer Überforderung und einem Unwissen der Kinder, wer wofür stehe: Den Sechstklässlern hatte im Gegensatz zu den älteren Schülerinnen und Schülern die Information im Vorfeld gefehlt. Gleichzeitig zeige es, wer die Jugend erreiche, beispielsweise über soziale Netzwerke, wer für die Kinder „cool“ wirke. „Da müssen wir etablierte Volksparteien uns an die eigene Nase fassen, mehr investieren und auf die Jugend zugehen“, sagt er. „Wir wissen es doch schon länger.“ Reischl empfindet es als positiv, dass über die Ergebnisse nun Diskussionen stattfänden, etwa zwischen Eltern und Kindern. „Wir müssen darüber sprechen“, mahnt er, denn der Diskurs stärke unsere Demokratie.
Ergebnis der U18-Wahl im Wahlkreis Dachau-Fürstenfeldbruck
Bei der U18-Wahl im Wahlkreis Dachau-Fürstenfeldbruck, zu dem auch der Landkreis Dachau zählt, nahmen 1004 Kinder und Jugendliche teil. Als Siegerin geht die SPD hervor mit 19 Prozent der abgegebenen Stimmen. Kopf an Kopf folgen AfD mit 16,4 Prozent und Linke mit 16,3 Prozent. Knapp dahinter liegt die CSU bei 15,9 Prozent der Stimmen. Die Grünen kommen auf 12,2 Prozent. Mit 5,3 Prozent schafft es die Tierschutzpartei knapp über fünf Prozent, alle sonstigen Parteien kommen zusammen auf rund 15 Prozent.
Das Ergebnis der Jugendlichen hier vor Ort weicht damit deutlich vom bundesweiten Gesamtergebnis der U18-Wahl ab, bei dem die Linke (20,8 Prozent) gewinnt, gefolgt von SPD (17,9), CDU/CSU (15,7), AfD (15,5) und Grüne (12,5). Beinahe jede fünfte Stimme, 17,6 Prozent, landeten bei sonstigen Parteien. Deutschlandweit gaben rund 166 000 Kinder und Jugendliche ihre Zweitstimmen ab.