Bühnenprojekt:Woher dieser Hass?

Deutsche und südafrikanische Schüler inszenieren in einer gemeinsamen Theaterproduktion das weltweite Flüchtlingselend

Von Dorothea Friedrich, Haimhausen

Igitt. "Dieser aufdringliche schwarze Kerl soll meine Einkaufstüten tragen?" Der Ekel steht der jungen weißen Frau ins Gesicht geschrieben. "Warum sieht sie durch mich hindurch und mich nicht an?", fragt sich der junge Mann vor einem südafrikanischen Einkaufszentrum. Szenenwechsel: Der Syrer Omar flüchtet nach Deutschland. Seine Frau und seine beiden Töchter wagen den Weg übers Mittelmeer. Suchen und finden Omar. Und werden wieder von ihm getrennt. "Was soll ich machen?", fragt Omars Frau - und schaut auf dessen Rasierklinge. Das sind zwei "Scenes of Migration", die südafrikanische und deutsche Jugendliche gemeinsam erarbeitet haben.

Wie es dazu kam? Vor einigen Jahren hatte die Theatergruppe des Carl-Orff-Gymnasiums in Unterschleißheim ein Stück über Südafrika inszeniert. Dazu muss man wissen, dass es an diesem Gymnasium eigene Theaterklassen gibt, die einen regen Schüleraustausch pflegen. So ging ein Video auch an die Eersterivier Secondary School in der Nähe von Kapstadt. "Das ist keine Schule für Privilegierte", sagte Stefanie Höcherl der SZ Dachau. Sie und Michael Blum leiten die Theaterarbeit am Carl-Orff-Gymnasium. Mit der Eersteriviers Secondary School sei so eine Theaterfreundschaft mit gegenseitigen Besuchen und "Scenes of Migration" entstanden. Das ist ein in jeder Hinsicht großartiges Projekt, ein flammender Appell für Humanität weltweit. Die Szenen haben einen realen Hintergrund. Sie basieren auf Interviews mit geflüchteten Menschen aus Somalia, Simbabwe, Syrien und Afghanistan, die in Deutschland oder Südafrika gelandet sind. 22 Jugendliche haben sie zum Teil in ihren Heimatschulen, zum Großteil aber in einer gemeinsamen, nur vier Tage kurzen Probenzeit in Unterschleißheim erarbeitet. Nun sind sie in München (mit zwei ausverkauften Vorstellungen im Volkstheater), in Berlin und in der Region mit ihrer aufwühlenden Eigenproduktion unterwegs. Auch beim Kulturkreis Haimhausen waren sie zu Gast - und hätten angesichts aktueller eurozentristischer Politikbeschlüsse kein wichtigeres Thema mit unglaublicher Leidenschaft auf die Bühne bringen können.

Kulturkreiskneipe Haimhausen

Die Unterschleißheimer Gymnasiasten traten gemeinsam mit südafrikanischen Schülerinnern und Schülern auch im Volkstheater München auf.

(Foto: privat)

Auf Deutsch und Englisch zeigen sie, was Krieg und Vertreibung, Behördenwahnsinn und Fremdenhass anrichten. Die Jugendlichen entfesseln in ihren kurzen Spielszenen einen wahren Tornado der Emotionen, wie zum Beispiel mit der unfassbaren Geschichte des kleinen Abdi. Er wird während des somalischen Bürgerkriegs entführt, zum Kindersoldaten gemacht und gezwungen, die eigene Tante zu erschießen. Erschreckend ist der grausame Kampf um Wasser und Nahrungsmittel im Flüchtlingslager irgendwo im afrikanischen Nirgendwo. Verstörend realistisch zeigen die jungen Darsteller, mit welchen kafkaesken Regelungen die deutsche Bürokratie jede Hoffnung auf ein besseres oder sichereres Leben unterminieren kann. Da ist aber auch John zu sehen, der von Somalia nach Südafrika flieht, sich und seinen Angehörigen per Telefon eine heile Welt vorgaukelt - und an der Realität zerbricht. Und was ist mit der braven deutschen Hausfrau, die keine Flüchtlingsunterkunft in ihrem Viertel dulden will? Aus der Demo - "da habe ich ein Recht darauf" - wird eine Eruption der Gewalt. Ihr Kommentar: "Ich bin doch kein Nazi".

Die jungen Darsteller brauchen kaum Requisiten, um Ängste und Sorgen, Ungewissheit und Frust, aber auch Mut und Hoffnung sichtbar zu machen. Sie spielen mit unbändiger Energie, ziehen die gebannten und erschütterten Zuschauer mitten ins Geschehen. Man kann förmlich die Gedanken im Hirn wummern hören, so aufwühlend und aufregend sind diese "Scenes of Migration". Sie zeigen viel eindringlicher als der kürzlich vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) veröffentlichte Report Global Trends, was hinter der Zahl von 68,5 Millionen Menschen steht, die weltweit auf der Flucht sind. Übrigens so viele wie noch niemals so vor.

Kulturkreiskneipe Haimhausen

Schüler der Eersterivier Secondary School in der Nähe von Kapstadt haben gemeinsam mit Gymnasiasten aus Unterschleißheim das Stück "Scenes of Migration" erarbeitet und einstudiert.

(Foto: privat)

Ganz ohne jede Rechnerei hämmert "Scenes of Migration" aber noch eine Tatsache ins von Fake News womöglich vernebelte Hirn: Nicht Europa und schon gar nicht Deutschland sind das Ziel der Wünsche. Es sind die armen Länder weltweit, die 85 Prozent aller Geflüchteten aufnehmen. Und auch dort blühen die giftigen Pflanzen von Vorurteilen und Fremdenfeindlichkeit. Das probate Gegenmittel hat die südafrikanisch-deutsche Theatergruppe schon im Gepäck, nämlich die gesungene, getanzte und gesprochene Aufforderung, solidarisch und humanitär zu handeln.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: