Buchrezension:Des Räubers kurzes Leben

Die Brucker Autorin Elisabeth Lang verleiht in ihrem ersten Kinderbuch dem berühmten Ganoven Mathias Kneißl das menschliche Antlitz einer gescheiterten Existenz, eindrücklich illustriert von der Malerin Ruth Strähhuber

Von Christian Hufnagel, Fürstenfeldbruck

Von dieser Stelle aus gibt es kein Zurück mehr, kann die Geschichte nicht mehr gut ausgehen. Da helfen auch die Appelle nichts, die als Schlagwörter über dem Text stehen und in blutroten Punkten und Linien hervorgehoben werden: "Gemeine Falle!", prangt da mitfühlend und darunter die flehentliche Bitte: "Nicht schießen!" Aber es hilft nichts, die historische Wahrheit nimmt ihren Lauf. Verraten vom Flecklbauern, bei dem er Unterschlupf gefunden hatte, ist "aber auch klar, das sich Mathias nicht festnehmen lassen wollte! Deshalb schoss er den zwei Gendarmen in die Beine, damit er fliehen konnte". Die Illustration dazu spart die Grausamkeit von Verletzung und Tod der beiden Polizisten aus. Die Zeichnung hält zwei heraneilende Polizisten fest, darunter im Comic-Charakter das Einzelbild eines Burschen, der mit seinem Jagdgewehr auf etwas zielt. Und im Eck unten das wiederkehrende Symbol gelber Schuhe, umrandet von einem kommentierenden Ausspruch: "Oh nein! Was für ein Unglück!"

Diese Doppelseite auf halber Strecke eines durchgängig dramatisch verlaufenden Lebensweges veranschaulicht in Inhalt und Form schön, wie das ebenso ambitionierte wie geglückte Kinderbuch "Kneißl, der Räuber mit den gelben Schuhen" konzipiert ist. Autorin Elisabeth Lang zeichnet in einer kindgerechten, leichten und lebendigen Sprache das Schicksal von Mathias Kneißl nach, von jenem berühmten Räuber, der Ende des 19. Jahrhunderts in den damaligen Bezirksämtern Dachau und Fürstenfeldbruck zum meistgesuchten Kriminellen in Oberbayern wurde, zugleich aber zum Volkshelden aufstieg. Die Künstlerin Ruth Strähhuber illustriert die düstere Geschichte in einer passenden ernsten Mischung aus realistischer Zeichnung, historisierender Collage und auflockerndem Comic. Die Fürstenfeldbrucker Autorin und die Malerin aus Stefansberg bei Maisach haben hier zu einer wunderbaren Zusammenarbeit gefunden, um einen historischen Stoff in moderner Gestaltung einem ganz jungen Publikum zu vermitteln.

Buchrezension: Von diesem schrecklichen Moment an kann die Geschichte nicht mehr gut ausgehen: Mathias Kneißl schießt auf zwei Polizisten und trifft sie tödlich. Auf Doppelseiten wird der dramatische Lebensweg des berühmten Räubers in dem neuen Kinderbuch Station um Station nacherzählt; geschrieben von Elisabeth Lung, illustriert von Ruth Strähhuber.

Von diesem schrecklichen Moment an kann die Geschichte nicht mehr gut ausgehen: Mathias Kneißl schießt auf zwei Polizisten und trifft sie tödlich. Auf Doppelseiten wird der dramatische Lebensweg des berühmten Räubers in dem neuen Kinderbuch Station um Station nacherzählt; geschrieben von Elisabeth Lung, illustriert von Ruth Strähhuber.

(Foto: Günther Reger)

Die Hauptzielgruppe seien acht bis zehn Jahre alte Kinder, wie dem Pressetext des Landratsamts zu entnehmen ist. Zugleich begründet das Buch die neue Reihe "Jexhof-Junior" des Bauernhofmuseums bei Schöngeising, welches sich immer wieder mal dem Thema Räuber widmet, zuletzt mit einem mehrtägigen Motto-Lager Anfang August.

Für den kindgerechten Zugang des neuen Druckwerks hat die Autorin verschiedene Stilmittel gewählt. So die direkte Ansprache: "Kennst Du schon die Geschichte vom Räuber Mathias Kneißl?", beginnt das Büchlein und endet auch so: "Vielleicht wäre auch alles gut gegangen, wenn Mathias den Ferdinand Porsche gekannt hätte und mit ihm in einem seiner Autos davongebraust wäre? Was meinst Du?" So lauten die Schlussfragen, die wiederum einen zweiten pädagogischen Einfall kennzeichnen. Als Historikerin finde sie es immer spannend aufzuzeigen, was sich zu jener Zeit noch ereignet habe, sagt Lang. Und so erfährt die junge Leserschaft etwa, dass 1875 eben nicht nur der Titelheld, sondern etwa auch Ferdinand von Porsche geboren worden ist, "ohne den es die flotten Flitzer aus Stuttgart nicht gäbe". Weitere Bezüge: Als Kneißls Eltern 1886 ihr Wirtshaus in Unterweikertshofen verkaufen, wird Coca-Cola erfunden; als sie 1892 eine kleine Wallfahrtskirche plündern, läuft in den USA die erste Rolltreppe an. Die Querverbindungen zu anderen historischen Ereignissen sind in Sprechblasen nachzulesen, die zu einer stilisierten Frauen-Silhouette gehören. Diese abstrahierte Gestalt in Rückenansicht ist ein sehr künstlerisches wiederkehrendes Erkennungsmerkmal aus der Feder der Illustratorin.

Buchrezension: Elisabeth Lang ist 1966 in Amberg geboren. Sie hat in Würzburg Germanistik und Geschichte studiert. Sie lebt als freie Kulturvermittlerin, Texterin und nun auch als Kinderbuchautorin in Fürstenfeldbruck.

Elisabeth Lang ist 1966 in Amberg geboren. Sie hat in Würzburg Germanistik und Geschichte studiert. Sie lebt als freie Kulturvermittlerin, Texterin und nun auch als Kinderbuchautorin in Fürstenfeldbruck.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Noch öfter, nämlich auf jeder rechten Doppelseite findet sich ein grafisches Emblem wieder, welches das Grundanliegen der Autorin transportieren will. Nach ihrer Überzeugung hätte Kneißl nicht zum Räuber und auf der Guillotine hingerichtet werden müssen, wären er und seine Familie nicht schon früh vorverurteilt worden. Lang beginnt das Buch deshalb mit einer ausgefallenen und prägnanten Widmung: "Für alle, die den Schuh, den sie sich einmal angezogen haben, oder den Stempel, den andere ihnen aufgedrückt haben, nicht mehr loswerden." Den Wunsch versinnbildlicht ein gelbes Paar Schuhe aus der damaligen Zeit, derer Art der Gejagte wohl immer getragen hat. Eingefasst in einen Kreis, findet sich dieses Bild bei jedem Umblättern, umrandet von einem appellativen Satz: "Lass dich nicht abstempeln!" So hebt gleichsam als Vorwort die Folge von knappen Botschaften an.

Buchrezension: Ruth Strähhuber ist 1971 in Fürstenfeldbruck geboren. Sie hat an der Akademie der bildenden Künste in Kiew freie Malerei studiert. Die preisgekrönte Künstlerin wohnt in Stefansberg, ist Mitglied mehrerer Vereinigungen.

Ruth Strähhuber ist 1971 in Fürstenfeldbruck geboren. Sie hat an der Akademie der bildenden Künste in Kiew freie Malerei studiert. Die preisgekrönte Künstlerin wohnt in Stefansberg, ist Mitglied mehrerer Vereinigungen.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Die letzte - und damit das Ende auf Seite 42 - ist indes keine schöne, im Grunde eine fürchterliche: "De Woch head net guat auf!" Der Satz führt einen tradierten Ausspruch des zum Tode verurteilten Kriminellen fort: "De Woch fangt scho guat o, heit werd i köpft", soll Kneißl vor seiner Henkersmahlzeit gesagt haben, nach der er am 21. Februar 1902 wegen der Schüsse auf zwei Polizisten hingerichtet wurde.

An diesen historischen Fakten kommt Lang auch in einem Kinderbuch nicht vorbei. Sie macht aber deutlich, dass es Umkehrpunkte gegeben hätte, aus Sicht der heutigen Zeit. Als die Eltern 1892 wegen Diebstahls und Hehlerei verhaftet wurden und der Vater auch noch im Gefängnis starb, mussten die vier älteren Kneißl-Kinder alleine zurechtkommen: "Man mag es nicht glauben: Aber niemand hatte daran gedacht, dass sich jemand um die Räuberkinder hätte kümmern müssen", gibt die Autorin dem jungen Leser zu bedenken. Heute wäre wohl das Jugendamt eingeschritten und ein Vormund bestellt worden, sagt sie im Gespräch dazu und führt ein zweites tragisches Schlaglicht an. Der 17-jährige Mathias muss für fünf Jahre ins Gefängnis, obgleich nicht er, sondern sein jüngerer Bruder die Gegend mit dem Gewehr unsicher gemacht und auf zwei Polizisten geschossen hatte. Zwar wird Alois zu zwölf Jahren Haft verdonnert, aber der ältere Bruder sitzt gleichsam unschuldig ein.

Und von dieser schiefen Bahn kommt er auch nach seiner Entlassung nicht mehr herunter: "Da begann für Mathias seine Räuber- und Gendarm-Zeit. Bloß, dass es für ihn kein Spiel war ..." Nicht zuletzt an dieser Stelle des Buches versucht Lang den Kindern deutlich zu machen, dass das geschilderte Räuberleben nichts mit einer amüsanten Räuber-Hotzenplotz-Geschichte zu tun hat. Auf der anderen Seite stimmt für sie aber auch der "Mythos vom bayerischen Robin Hood" nicht. Historisch verbürgt ist ja, dass Kneißl schon zu Lebzeiten als Held verehrt wurde, weil das Volk in seinem räuberischen Leben ein Aufbegehren gegen die Obrigkeit sah. So entstanden sogar Spottgedichte und Lieder. Für die Buchautorin ist der legendenumwobene Ganove schlichtweg nur eine "arme Gestalt, die schauen musste, wie sie über die Runden kam".

Wer ein wenig mehr Glorifizierung will, kann im Landkreis dennoch fündig werden: "In unserem Kneißl-Museum wird der Geist des legendären Volkshelden wieder zum Leben erweckt", rühmt sich das Maisacher Bräustüberl auf der eigenen Homepage seiner Attraktion. Zu bestaunen sind dort im Wirtshaus echte Bekleidung, geraubter Schmuck, damalige Waffen und die "Guillotine von damals". Mehr Grauen geht nicht. Wer sich davon erholen will, kann auf einem gleichnamigen Radweg fahren. Die Tour mit Stationen des berühmten Räubers führt durch die Orte Bergkirchen, Gröbenzell, Karlsfeld, Maisach, Odelzhausen und Pfaffenhofen. Und für die Gute-Nacht-Lektüre bleibt dann das wirklich packende Büchlein über ein mehr als abenteuerliches Leben einer sozialen Randfigur des 19. Jahrhunderts.

Kneißl, der Räuber mit den gelben Schuhen; Elisabeth Lang (Text und Konzeption) und Ruth Strähhuber (Illustration), 47 Seiten, Wir-machen-Druck-GmbH, ISBN 978-3-932368-29-5.

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