Brauchtum:Dachau hat wieder einen Maibaum

Die Feuerwehr stellt den Baum souverän auf. Mehr als 2000 Schaulustige verfolgen das Spektakel am Unteren Markt

Von Benjamin Emonts, Dachau

Ein Heimatfilm hätte die Szene nicht schöner überzeichnen können: Die Sonne scheint vom Himmel herab. Mehr als 2000 Schaulustige, etliche davon in Tracht, jubeln, als der weiß-blaue Baum aufrecht dasteht. Als die Blasmusik die Bayernhymne "Gott mit Dir, du Land der Bayern" anstimmt, singen die Zuschauer mit. Es ist ein historischer Moment: Die Stadt Dachau hat nach 13 Jahren wieder einen Maibaum.

Der Andrang am Montagvormittag in der Münchner Straße ist in etwa so groß, als würde man am Italienerwochenende über die Wiesn gehen. Ein Sitzplatz auf einer Bierbank ist schon um zehn Uhr morgens utopisch. Für eine Leberkässemmel steht man 15 Minuten an, falls man den Stand in der Menge überhaupt erblickt. Denn alle wollen so nah wie möglich ran an den Baum, um den entscheidenden Augenblick mitzuerleben.

Es wurde viel erzählt und geschrieben über den ersten Dachauer Maibaum seit dem Jahr 2004. Damals hatte ein Windstoß den Baum umgeweht, was die Stadt Dachau davon überzeugte, künftig lieber ohne Maibaum leben zu wollen. Doch irgendwie hinterließ der Baum eine unerwartet große Lücke am Unteren Markt und im oberbayerisch-traditionellen Selbstbild der Großen Kreisstadt. Das Verlangen nach einem neuen Maibaum wuchs von Jahr zu Jahr.

So ein Maibaum ist heiß begehrt

Vor einigen Monaten erklärte sich die Freiwillige Feuerwehr Dachau bereit, die Lücke wieder zu schließen und eigenständig einen Maibaum für die Stadt aufzustellen. Mindestens 400 Arbeitsstunden und fast 10 000 Euro hat der Verein dafür investiert. Den Aufwand haben sie ein wenig unterschätzt, wie sie offen zugeben. Denn so ein Maibaum, das musste die Feuerwehr bald feststellen, ist heiß begehrt. Die Feuerwache am Amperweg, wo der Stamm gelagert wurde, musste rund um die Uhr bewacht werden. Fast jede Nacht spähten Burschen aus ganz Bayern den Baum aus in der Hoffnung, ihn stibitzen und eine stattliche Auslöse erpressen zu können. Der Burschenverein Günding stand bereits im hermetisch abgeriegelten Feuerwehrhaus und hatte seine Hände an dem Baum, nachdem sich einer der Burschen nachts im Feuerwehrhaus einsperren ließ und den Kollegen die Tür öffnete. Ein tonnenschwerer Container und eine Betonleitplanke waren schon aus dem Weg geräumt. Doch dann erwachte gerade noch rechtzeitig die Maibaumwache.

Maibaum Aufstellung

Derr Dachauer Maibaum am Unteren Markt ist 23,75 Meter hoch.

(Foto: Niels P. Joergensen)

So etwas durfte nicht mehr passieren. Der Dachauer Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) übernahm höchstpersönlich die Maibaumwache in der Nacht von Sonntag auf Montag. Obwohl alles ruhig verlaufen sein soll, hat der OB vielleicht "zwei, drei Stunden" geschlafen, wie er erzählt. Angeblich war man damit beschäftigt, zu ratschen und Brotzeit zu machen.

Die Deichsel bricht

Die Augen waren verdächtig klein, als sich Hartmann gegen acht Uhr mit dem Bürgermeister der italienischen Partnerstadt Fondi, Salvatore de Meo, vor dem Feuerwehrhaus traf. Nach einigen Böllerschüssen begann der Transport des weiß-blauen Stammes zum Unteren Markt. Kraftvoll und von Blasmusik begleitet, zogen zwei prächtige Rösser aus Warngau das Gespann aus der Einfahrt, allerdings mit ein klein wenig zuviel Schwung. Denn gleich die erste Kurve hinein in die Friedenstraße erwies sich für zu eng für die Langholzfuhre. Ein knirschendes Geräusch - dann rauschte der Zug in eine satt grüne Hecke auf der anderen Straßenseite. Die Deichsel war gebrochen.

Den Rössern schien das ziemlich egal zu sein im Gegensatz zu den Feuerwehrlern. Die lachten zwar erst, holten dann aber ziemlich eilig Werkzeug herbei. Mit einer Motorsäge wurde die Deichsel verkürzt und wieder unter den Stamm gesetzt. Die Weiterfahrt zum Unteren Markt verlief dann ohne Zwischenfälle. Mit einer halben Stunde Verspätung wurde die Fracht dort von einer großen Menschenschar und begleitet von "Oh's" und "Ah's" empfangen. OB Hartmann behauptete später, der Zwischenfall sei fest eingeplant gewesen. "Wir waren zu früh dran und wollten Spannung haben. Die morsche Deichsel haben wir vorher extra angesägt."

Die Schrauben gehen aus

Am Unteren Markt wurde der 23,75 Meter lange Maibaum mit einem hoch modernen Ladekran vom Pferdefuhrwerk gehoben und in Position gelegt. Die Feuerwehrmänner bohrten seitlich Löcher in den Stamm und brachten die 23 historischen Schilder und Embleme an, die aus den Fünfzigerjahren stammen und vom Dachauer Künstler Christian Huber in monatelanger Arbeit restauriert wurden. Sie zeigen die MD-Papierfabrik, die Schloßbergbrauerei oder die traditionellen Handwerksberufe wie einen Metzger, Schmied oder einen Bäcker. Es verlief eigentlich alles glatt, bis auf die Tatsache, dass kurzzeitig die Schrauben ausgingen.

Maibaum Aufstellung

Mit vollem Einsatz montieren die Männer der Freiwilligen Feuerwehr die 23 Schilder und Embleme an den Dachauer Maibaum.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Es folgte der spektakulärste Teil. Beobachtet von Tausenden von Augen, hob der Feldgedinger Zimmerermeister Theobald Lachner den Baum Meter für Meter mit seinem Kran nach oben. Spätestens jetzt, da der Baum bedrohlich über den Köpfen schwebte, war man froh, dass der massive Stamm nicht mit reiner Manneskraft aufgestellt wurde, wie es vielerorts noch üblich ist. Auf dem engen Platz am Unteren Markt wäre dies schlicht nicht möglich gewesen. Doch auch so waren die Zuschauer sichtlich beeindruckt von dem Spektakel, das sich ihnen bot. Irmi Grünhuber, die seit 50 Jahren in Dachau lebt und sich einen Platz in der ersten Reihe ergattert hatte, wirkte geradezu selig: "Ich finde das fantastisch", sagte sie und bewunderte den Baum. "Ich habe mich so gefreut, dass ich das noch mal erleben darf." Ihre Freundin Anna Stiglmayr freute sich mit: "Ich finde, dass der Maibaum dem Platz sehr gut tut. Er ist ein Anziehungspunkt."

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