Brasilianischer Agrarexperte in Erdweg:Feldzug für die Kleinen

Brasilianischer Agrarexperte in Erdweg: Antonio Andrioli (rechts), streitbarer Agrarökonom aus Brasilien, besucht den vorbildlichen Biobetrieb von Gerti und Bernhard Ruile in Arzbach.

Antonio Andrioli (rechts), streitbarer Agrarökonom aus Brasilien, besucht den vorbildlichen Biobetrieb von Gerti und Bernhard Ruile in Arzbach.

(Foto: Toni Heigl)

Der Brasilianer Antonio Andrioli warnt vor den Verheerungen durch die Agrarindustrie und lobt die bäuerliche Landwirtschaft im Dachauer Land

Von Renate Zauscher, Erdweg

Antonio Inácio Andrioli ist ein mutiger Mann. Mutig deshalb, weil er als Wissenschaftler wie als politisch denkender Mensch ganz klare Positionen vertritt, die in seiner Heimat Brasilien durchaus gefährlich für ihn werden könnten. Der 45-Jährige nämlich setzt sich für eine gentechnikfreie, pestizidfreie, nachhaltige bäuerliche Landwirtschaft und für den Schutz von Kleinbauern und Indigenen ein und macht sich damit Feinde nicht nur bei Großgrundbesitzern und Agro-Konzernen sondern auch bei der gegenwärtigen Regierung in Brasilien.

Für seine Arbeit wurde Andrioli vor kurzem vom Bund Naturschutz mit dem Bayerischen Naturschutzpreis ausgezeichnet. Am vergangenen Montag besuchte der an einer südbrasilianischen Universität lehrende und forschende Agrarökologe den Landkreis Dachau, wo er mehrere landwirtschaftliche Betriebe besichtigte und in der Landvolkhochschule am Petersberg über ein Thema sprach, das ihm ganz besonders am Herzen liegt: das beschlossene aber noch nicht ratifizierte Freihandelsabkommen Mercosur zwischen der EU und Lateinamerika.

Antonio Andrioli wurde in Südbrasilien als Sohn eines Sojabauern geboren; nach einer Ausbildung zum Agrartechniker studierte er Philosophie, Psychologie und Soziologie. Mit einem Stipendium von Brot für die Welt promovierte er in Osnabrück über die Auswirkungen von Gensoja auf die Landwirtschaft in seiner Heimat. Er habilitierte in Linz, kehrte 2009 aber nach Brasilien zurück, weil er in die Gründungskommission einer neuen staatlichen Universität berufen wurde - einer Universität mit Schwerpunkt auf nachhaltiger Landwirtschaft, die von zahlreichen Studenten aus der kleinbäuerlichen und indigenen Bevölkerung besucht wird und wo entsprechende bäuerliche Organisationen über Lehrinhalte und Forschungsbereiche mitbestimmen können. Sein Amt als Vizepräsident der Universität hat der hier lehrende und forschende Professor mittlerweile jedoch auf Druck der Regierung verloren, er ist Diffamierungen und Bedrohungen ausgesetzt.

Forschungsgegenstand von Antonio Andrioli sind neben dem Themenkomplex der Agro-Gentechnik die Auswirkungen des Pestizid- und Herbizideinsatzes auf Tier und Mensch und die Zusammenhänge zwischen Monokulturen und den ökonomischen Interessen der Agro-Industrie. Das Mercosur-Abkommen werde zu einer enormen Ausweitung des Sojaanbaus führen, der jetzt schon mehr als die Hälfte aller Ackerfläche überziehe und Brasilien zum "Weltmeister im Pestizideinsatz" gemacht habe, sagt Andrioli. Als Folge sieht er weitere Landkonzentration beim Großgrundbesitz, weiteren von staatlicher Seite begünstigten Landraub und weitere Umweltzerstörung in riesigem Ausmaß. Im Übrigen würden hierzulande längst verbotene, in Brasilien aber durchaus zulässige Ackergifte über die zollfreien Futtermittelimporte in die EU zurückkehren. Wenn es für die Menschheit eine Zukunft geben solle, dann könne diese nur die Erzeugung qualitativ hochwertiger Lebensmitteln durch die bäuerliche Landwirtschaft sicherstellen. Genau diese aber sieht Andrioli durch das Mercosur-Abkommen beiderseits des Atlantiks bedroht. "Autos und Industriegüter aus Deutschland gegen billiges Fleisch, Ethanol und Soja aus Brasilien zu tauschen, schadet den Bauern sowohl hier wie dort", sagt er. Seine Schlussfolgerung: Das Abkommen müssen dringend gestoppt werden.

Bei seinen Besuchen auf verschiedenen Höfen im Landkreis hat sich Antonio Andrioli insbesondere für die Einstellung der Hofbesitzer zu ihrer Arbeit interessiert. So fragte er gezielt bei den Biobauern Gerti und Bernhard Ruile in Arzbach und bei Marianne und Leonhard Mösl in Ebertshausen, die beide Kartoffeln in größerem Maßstab anbauen, nach den Gründen ihrer Entscheidung für ökologische Produktionsweisen nach. Die Antwort der Ruiles fiel sehr deutlich aus: Das Spritzen der Felder, auf dem ja auch Insekten und Säugetiere leben, sei ihm eines Tages so zuwider gewesen, sagt Bernhard Ruile, dass er nicht mehr weiter so wirtschaften wollte.

Ähnlich denkt Nikolaus Blank, der in Machtenstein Schottische Hochlandrinder und Mastgockel hält. Beeindruckt zeigte sich Andrioli besonders auch von Simon Sedlmair in Puchschlagen, der mit seinen Söhnen einen der größten Milchviehhöfe im Landkreis betreibt. Sedlmair ist zwar konventionell wirtschaftender Landwirt geblieben, sorgt in seinem hochmodernen Laufstall aber sehr bewusst für ein Maximum an Tierwohl und erzeugt ebenso wie Blank einen Großteil der für den Hof benötigten Energie selber. Sedlmair ist so wie Andrioli überzeugt, dass das Freihandelskommen zwischen EU und Lateinamerika der bäuerlichen Landwirtschaft schwer schaden würde: "Wir können die Landwirtschaft in Deutschland nicht der Industrie opfern", sagt er, "das wäre eine Katastrophe".

Was das Publikum auf dem Petersberg besonders beeindruckt hat, ist, dass sich Antonio Andrioli trotz düsterer Aussichten für den Fall einer Abkommensratifizierung immer noch hoffnungsvoll zeigt: Er setzt auf eine Verbindung unabhängiger, nicht auf Drittmittel angewiesener Wissenschaft mit der praktischen Erfahrung der Bauern. Und er will sich für dieses Ziel auch weiterhin einsetzen - trotz der in seiner Heimat damit verbundenen Gefahr.

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