Mangelhafter Brandschutz:"Ein Überfall"

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Sicherheitsbehörden bemängeln den Brandschutz in Karlsfelder Wohngebäuden und sorgen mit einer Hauruckaktion für Aufregung. Die Bewohner sind verärgert und kritisieren, wie mit ihnen umgegangen wird

Von Jacqueline Lang, Karlsfeld

Ein "Überfall" sei das gewesen, sagt Engin Ersan. Wer sich länger mit ihm unterhält, merkt schnell, dass der leicht untersetzte Mann mit den freundlich dreinblickenden Augen, niemand ist, der so ein Wort verwenden würde, wenn er es nicht tatsächlich genauso empfunden hätte. Ihm ist nicht an einer weiteren Eskalation der Situation gelegen, aber seinem Unmut über das, was am Freitag in den Häusern mit den Nummern 1, 3 und 4 in der Wehrstaudenstraße in Karlsfeld passiert ist, kann er auch am Sonntagmittag noch nicht verbergen: Ohne dem Beirat oder irgendeinem der anderen Bewohner vorab Bescheid zu geben, versuchten Einsatzkräfte der Karlsfelder Feuerwehr am Freitagfrüh, alle der insgesamt 96 Wohnungen in den siebenstöckigen Häusern zu erreichen - in 41 Fällen gelang es ihnen weder mit einer Steck- noch mit einer Drehleiter. Weil eine Vielzahl der Türen ebenfalls nicht feuer- und rauchfest sind, gibt es weder einen ersten noch einen zweiten Rettungsweg.

Für die Feuerwehrzufahrten müssen vor dem Haus Bäume gefällt werden. (Foto: Niels P.Jørgensen)

Gegen 17 Uhr am Freitag marschierten neben den fünf Feuerwehrlern auch noch Landrat Stefan Löwl, Bürgermeister Stefan Kolbe (beide CSU), ein Fachberater des THW und ein Soldat des Kreisverbindungskommando der Bundeswehr in Zivil auf. Kurz bevor es dunkel wurde, drohten sie kurzzeitig, alle der rund 300 Bewohner zu evakuieren. Schließlich einigte man sich auf einen vorübergehenden Brandschutz: 30 Rauchmelder wurden am Freitagabend schnell im Baumarkt besorgt und in allen Fluren angebracht, die Karlsfelder Feuerwehr stellte Überdrucklüfter zur Verfügung. Zahlreiche Parkplätze wurden als Feuerwehrzufahrten gesperrt. In der obersten Etage müssen im Flur nun dauerhaft die Fenster geöffnet sein, eine provisorische Rettungstreppe soll bis spätestens Mittwoch errichtet werden. Von 20 Uhr abends bis 8 Uhr morgens patrouillieren Sicherheitskräfte als sogenannte Brandwachen in allen Häusern. Die Lüfter und das Wachpersonal können laut Löwl wieder abgezogen werden, wenn das Gerüst steht.

Ohne dem Beirat oder irgendeinen der anderen Bewohner vorab Bescheid zu geben, versuchten Einsatzkräfte der Karlsfelder Feuerwehr am Freitagfrüh, alle Wohnungen in den siebenstöckigen Häusern zu erreichen. (Foto: Niels P.Jørgensen)

Am Freitag wurden außerdem noch drei Bäume gefällt, um die Rettungswege frei zu machen. Jetzt liegen sie der Länge nach auf dem Rasen. Die Kosten dafür - wie für vieles andere - würden wohl an den Bewohnern selbst hängen bleiben, sagt Ersan. Immerhin müssten sie bis Mitte der Woche sicherstellen, dass alle Wohnungen zumindest provisorisch im Brandfall für die Einsatzkräfte erreichbar sind. "Wir haben jetzt den Druck", sagt Ersan. Wenn es die Bewohner nicht schaffen, müssen sie am Ende doch noch aus ihren Wohnungen raus - und das inmitten einer Pandemie. Bürgermeister Kolbe bot am Freitag für jene, die sich kein Hotelzimmer leisten können im Ernstfall eine Turnhalle zum Übernachten an, alle andere müssten auf eigene Kosten ins Hotel. Welches das hätte sein sollen, wo doch alle seit Monaten de facto geschlossen sind, diese Frage stellte sich am Ende glücklicherweise nicht.

In den Fluren hängen nun Feuermelder (Foto: Niels P.Jørgensen)

Zurückbleiben nach der Hauruckaktion am Freitag Bewohner, die entweder verängstigt, verunsichert oder verärgert sind. Reden will am Sonntag bis auf die offiziellen Vertreter niemand mit der Presse, aber überall stehen Leute zu zweit beisammen und unterhalten sich angeregt, es wird wild gestikuliert, ein älterer Mann fotografiert einen der gefällten Bäume. Die Ereignisse haben die Bewohner der Werstaudenstraße nachhaltig verstört, das ist unübersehbar.

Engin Ersan. (Foto: Niels P.Jørgensen)

Einer, der richtig wütend ist und das auch ausspricht, ist Moreno Campagnano, der wie Ersan einer der Verwaltungsbeiräte ist. "Vier Jahre ist geschlafen worden, jetzt sollen wir alles in vier Tagen machen", sagt er. Fakt ist: Dass der Brandschutz nicht vollumfänglich gegeben ist, ist zumindest den Bewohnern seit 2017 bekannt. Damals wurden die Häuser routinemäßig kontrolliert und Mängel festgestellt. Warum in den vergangenen Jahren nichts passiert ist, das werde nun "aufgearbeitet" werden müssen, sagt Landrat Löwl. In den Akten wurde laut Löwl wenige Wochen nach der Kontrolle vermerkt, dass die Mängel "abgestellt" worden sind. Dass die Erneuerung der Türen damals lediglich geplant war, wurde offenbar übersehen. Nun soll ein anonymer Hinweis die Feuerwehr auf den Plan gerufen haben. Die Bewohner verunsichert auch das. Ob man wisse, wer der Hinweisgeber gewesen sein könnte? "Da gibt es viele offene Fragen", so Ersan. Mehr will er dazu nicht sagen, er will die Gerüchteküche nicht noch mehr zum Brodeln bringen.

Moreno Campagnano. (Foto: Niels P.Jørgensen)

Landrat Löwl sagt, er könne verstehen, dass einige der Bewohner sich aufregen, aber Szenen wie in London - 2017 starben 72 Menschen beim Großbrand des 24-stöckigen Grenfell Tower - wolle sicher jeder im Landkreis vermeiden. Behauptungen, dass es sich um einen unverhältnismäßigen "Großeinsatz mit Blaulicht" gehandelt habe, weißt er entschieden zurück. Wenn "akute Gefahr für Leib" und Leben bestehe, müsse gehandelt werden. Im Übrigen habe man gemeinsam mit der Feuerwehr und Hausverwaltung relativ schnell eine Lösung für die Bewohner gefunden. Die Hausverwaltung, Innovative Immobilienverwaltungs- und Beratungsgesellschaft mbH (IIMV), will sich noch nicht zu den Ereignissen äußern, sondern sich erst mit ihrer Rechtsabteilung beraten.

Ersan und Campagnano stört nicht, dass der Brandschutz verbessert werden soll - das wollen sie ja selbst. Ihnen fehlte ja nur noch das letzte Einverständnis aller Eigentümer, das Geld für die Maßnahmen haben sie längst beisammen. Was sie aber sehr wohl stört, ist die Art und Weise, wie mit ihnen umgegangen wurde. Campagnano sagt, diese sei schlichtweg "inakzeptabel" gewesen. Vor allem der Landrat habe einen Tonfall gehabt, der nicht in Ordnung und "von oben herab" gewesen sei, ergänzt Ersan. Was bleibe, sei ein "fader Beigeschmack". Dass auch ihre Angebote, selbst Nachtwachen einzuteilen, abgelehnt wurden, können sie nicht nachvollziehen. Stattdessen stünden jetzt nachts breitschultrige Fremde in ihren Fluren, geschickt von der Firma D&T Security.

Immerhin, ein Gutes hatte die Aktion: Selbst jene, die davor keine Notwendigkeit gesehen hätten, etwas zu verändern, seien jetzt dafür, sagt Campagnano. Niemand will gezwungen werden, seine Wohnung zu verlassen. Vor allem bei den Älteren hätte das Wort Evakuierung aber auch Erinnerungen an den Krieg wach gerufen, sagt Ersan. Die Mängel am Brandschutz sind deshalb das eine: Sie müssen behoben werden, da sind sich alle einige. Wer sich aber um das angeknackste Vertrauen der Menschen in die Verantwortlichen kümmern wird, scheint niemand so recht zu wissen.

© SZ vom 30.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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