Süddeutsche Zeitung

Boxen im Dachauer Volksfestzelt:"Tu was, Leo"

Lesezeit: 4 min

Wie Vater Kirschberger seinen Sohn im Boxring anfeuert. Zur Neuauflage der Volkfestwettkämpfe kommen mehr als 1000 zahlende Zuschauer

Von Petra Neumaier, Dachau

Noch schnell eine Zigarette. Der muskelbepackte Hüne mit dem knappen Sport-Shirt ist augenscheinlich nervös. Und damit ist er nicht alleine. Drinnen, im Festzelt, in den zu Kabinen umfunktionierten Abteilen, tänzeln seine Vereinskameraden des FSC & BSC Dachau federleicht auf der Stelle, boxen unsichtbare Gegner, schütteln Schulter und Nacken. Trainer geben letzte Anweisungen, Freunde gute Tipps. Gleiches am entgegengesetzten Ende des Zeltes bei den Gegnern vom BC Traunstein. Zwischendrin saust Martin Mihalec, Dachauer Trainer und Organisator, hin und her. Alles gleichzeitig hat er im Blick, während ohne Unterlass seine Rechte Hände schüttelt und seine Linke auf Schultern klopft. Es ist das erste Mal, dass er und sein Verein einen Boxkampf zum Volksfest veranstalten. Und auch das erste Mal seit 13 Jahren, dass überhaupt wieder so ein Wettkampf hier stattfindet.

Schönstes Sommer-Badewetter und um 10.30 Uhr ist das Festzelt zu zwei Drittel gefüllt. Zehn Euro Eintritt für Erwachsene (die Hälfte für Kinder), sie sind den Dachauern das Spektakel wert, das "lange Zeit" (wie lange, weiß keiner mehr zu sagen), Tradition auf dem Volksfest hatte. Konrad Kirschberger erinnert sich jedenfalls an "sehr gute Kämpfe" vergangener Zeiten. "Die wollen wir jetzt wieder zurückbringen", sagt der Co-Trainer des noch jungen Dachauer Vereins.

Neben spannenden Kämpfen, die über dreimal zwei Minuten gehen werden, ist ihm wichtig, das Image des Boxens zu verbessern. "Es ist das fairste und großartigste überhaupt", schwärmt der ehemalige Schwergewichtsboxer, dessen 22-jähriger Sohn Leo in der gleichen Gewichtsklasse heuer Oberbayerischer Meister wurde. Kämpfen wie Feinde, auseinandergehen wie Freunde, Jubel für den Sieger, Respekt für den Verlierer: "In welcher Sportart findet man das sonst noch?", fragt sich Konrad Kirschberger, der außerdem das Maß an Kondition, Konzentration, Körperbeherrschung und Kraft betont. Und die Fähigkeit zur Disziplin. "Haudegen haben beim Boxen nichts zu suchen", sagt er.

Frauen hingegen schon. Und sie kommen zunehmend mehr in den Club. Eine von ihnen ist Vanessa Hilpert. 23 Jahre jung, zierliche Figur, hellgrüne Augen, die blonden Haare zu dünnen Zöpfen geflochten. Zwar wird Vanessa Hilpert in ihrem dritten Kampf ihrer Gegnerin Chantal Bartels im Frauenleichtgewicht unterliegen, sie freut sich aber, dass erstmals ihr bislang skeptischer Vater zuschaut. Mit dem Kickboxen hat die Dachauerin vor ein paar Jahren angefangen, Boxen gefiel der Büroangestellten aber besser. "Bei keinem Sport bin ich nach dem Training mehr ausgepowert", erzählt die ehemalige Handballspielerin - und dass sie jetzt außerdem viel selbstbewusster geworden sei. Auch für die als Teamkollegin startende Raphaela Schwaiger aus Regensburg (Frauen-Bantamgewicht) ist Boxen ein ganz normaler Sport. "Ich habe viele andere Sportarten vorher ausprobiert, aber keine ist besser", erklärt die zierliche 28-jährige Krankenschwester.

Zuckerbrot und Peitsche: Der Wettkampf beginnt nach der Vorstellung der Mannschaften, der vier in weißen Hemden und großen Bundesadlern auf der Brusttasche gekleideten Ringrichtern und der Begrüßung des Dachauer Oberbürgermeisters Florian Hartmann mit dem Austausch von Geschenken. Beschriftete Brotzeitbretter aus Dachau und Bierkrüge aus Traunstein wechseln die Besitzer. Dann ein dreifaches "Ring frei" - und der erste Kampf beginnt. Ladys first: Vanessa Lippert gegen Chantal Bartels. Ihre Hände stecken in riesigen Handschuhen, ihre Köpfe unter gepolsterten Helmen. Gong! Und aus den zarten Mädels werden verbissene Kämpferinnen. Der Boden bebt, dumpf schlagen die Handschuhe auf alles, was sie treffen: Fäuste, Köpfe, Schultern, Bauch. Schweiß rinnt. Der Puls steigt.

Schlag auf Schlag. Auch die weiteren Kämpfe. Jetzt gilt es Mann gegen Mann. Und ohne Kopfschutz. Autsch! Faust trifft auf Faust und Nase. Blut tropft, aber nicht so häufig, wie bei den harten Treffern ins Gesicht zu erwarten wäre. Das Publikum schaut gebannt zu, schwitzt, mit Fächern und Speisekarten wedelnd. "Rechts, links", "Beine, denk an die Beine", "geh ran", rufen die Trainer. Trotzdem passen sie auf. Zweimal werfen sie das Handtuch. Niemand soll um jeden Preis kämpfen.

Je höher die Gewichtsklasse, desto härter und schneller die Schläge. Spannung, Aggressivität und dann die Entspannung: Vielleicht ist das der "Kick" bei den Zuschauern. Der Jubel wird lauter, und besonders laut bei den Lokalmatadoren wie Lucas Frommelt (23). Sein Gegner ist ein harter Brocken: Verbissen, und bei jedem Schlag zischend wie eine wütende Schlange und trotz bereits blutiger Nase, will Konstatin Dornhoff nicht aufgeben. Einmal verliert der Dachauer sogar seinen Zahnschutz, den der Ringrichter mit seinem Taschentuch aufheben und dem Trainer zum Einsetzen reichen muss. Dreimal werden die zwei Minuten lang. Lucas Frommelt wehrt sich tapfer und überzeugt die Ringrichter. Sieg nach Punkten.

Pause. Nun kommen die Kickboxer. Treten, schlagen, einstecken, austeilen. Puhhh! Im Ring geht es zur Sache. Das Festzelt ist jetzt komplett gefüllt. Auch und vor allem mit Familien, die am vorletzten Tag des Volksfestes noch ein Hendl verspeisen möchten. Theresa und Sophie stehen auf den Bänken, klatschen und jubeln den Kämpfern zu. Die Achtjährige aus Karlsfeld und ihre fünfjährige Freundin aus Massenhausen finden die Kämpfe "toll": Selbst würden die süßen Mädchen aber nicht in den Ring steigen wollen. Die Eltern atmen auf.

Fast harmlos mutet da Teil zwei des Wettkampfs an. Riesenstimmung dann beim Auftritt von Leo Kirschberger, der gegen den 23-jährigen und weitaus kampferfahreneren Aronidis Georgios (Oberbayerischer Meister 2018) antritt. Kaum auszuhalten die vielen Treffer, die beide in die Gesichter des anderen platzieren. Das Publikum feuert an - und auch Papa Konrad Kirschberger. "Tu was, Leo tuuuuu was"! Er tut, aber letztlich reicht es nicht. Knapp verloren. Der Applaus ist dennoch laut.

Nach Aufgabe des nächsten Dachauers wird im letzten Kampf des Boxturniers im Dachauer Volksfestzelt Fatburdha Gashi schließlich noch einen Sieg für den Gastgeber erkämpfen. Darum, wer der bessere Verein ist, geht es in dem Vergleichskampf jedoch nicht. Für Konrad Kirschberger ist der Erfolg an diesem Tag sowieso ein anderer: Rund 1000 zahlende Besucher und mindestens doppelt so viele, die nach Schluss der Kasse kamen: "Die Resonanz zeigt klar, dass Boxen in Dachau wieder veranstaltet werden kann", jubelt er und setzt mit einem breiten Grinsen hinzu: "Und wenn's den Leuten Spaß gemacht und Interesse für den Boxsport geweckt hat, dann hat es sich sowieso doppelt rentiert."

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Quelle:
SZ vom 19.08.2019
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