Bitteres Ende nach 500 Jahren:Zerstörtes Biotop

Schimmel an den Wänden, Risse in den Decken und Abstellkammern: Ein Rundgang durch das Kloster Altomünster, das jetzt aufgelöst ist

Von Viktoria Großmann

Seelenkinder heißen die Puppen mit den weiß umwickelten Stoffleibern und den starren Glasaugen in den ernsten Porzellangesichtern. Eine ganze Serie von ihnen liegt in der improvisierten Schatzkammer des Klosters Altomünster. Kruzifixe unterschiedlicher Größe lagern auf dem Fußboden, in den Regalen reihen sich geschnitzte Madonnen, Christuskinder, Aufbewahrungskästchen mit gepolsterten Deckeln. Wozu diese genutzt wurden, weiß selbst Schwester Gabriele Konrad, welche die Auflösung des Klosters geleitet hat, nicht zu sagen. Die Seelenkinder aber, so erzählt sie, waren Gaben zur Einkleidung von Ordensanwärterinnen. "Eine Tradition in klausurierten Orden", sagt sie. Eben in solchen wie dem der Birgitten, dessen seit 1497 währende Geschichte nun in Altomünster zu Ende geht.

Abgeschiedenheit von der Welt, stille Kontemplation, Andacht, tiefe Verbundenheit mit Gott - die 62-jährige Schwester Apollonia Buchinger ist die letzte, die das im wenig verbreiteten Birgittenorden suchte. Nun ist sie die einzige noch verbliebene Nonne. Bald muss sie ihre Tracht, bestehend aus grauem Kleid, weißem Tuch, das den Kopf bis unters Kinn verhüllt, schwarzem Schleier, und obenauf der "Krone" mit den fünf roten Malen ablegen. Die Seelenkinder sollten diese Einheit mit Gott fühlbar und sichtbar machen. "Eine tiefe Religiosität und Frömmigkeit" spreche aus dieser Tradition, sagt Schwester Konrad. Weitere Puppen, die in kunstvoll bestickte und verzierte Gewänder, ähnlich Bischofsumhängen oder gar in die Tracht der Birgitten gekleidet sind, zeugen davon, dass der wahre Sinn der Seelenkinder mit der Zeit verloren ging, erklärt die Franziskanerin.

Schimmel überzieht die Wände, Rissen durchziehen die Decken

Mehr als ein Jahr lang hat die Nonne aus dem Kloster Schönbrunn die Auflösung des Klosters in Altomünster geleitet. "Es ist schwer für mich, zu sehen, wie hier eine Tradition zu Ende geht", sagt sie. Ein Schock war es für sie allerdings auch, zu sehen, in welch schlechtem Zustand das weitläufige alte Gebäude ist: In den Wirtschaftsräumen im Untergeschoss sind ganze Wände grün vom Schimmel, große Risse durchziehen Decken und Wände, auch die Außenmauern sind feucht. Es ist kalt in den langen Gängen und in den gewundenen Treppenhäusern, die von einem Gebäudeteil in den nächsten führen. "Anfangs habe ich gedacht, irgendwann verlaufe ich mich und finde nicht mehr heraus", sagt die Nonne und lacht. Mittlerweile weiß sie, wohin jeder der langen Gänge führt und welche Tür sich zu welchem Gebäudeteil öffnet.

Die Franziskanerin Schwester Gabriele Konrad führt durch das Kloster. Ein längeres Gespräch mit ihr und Gabriele Rüttiger und Bernhard Kellner vom Erzbischöflichen Ordinariat findet in einem der schwer beheizbaren Räume an langen, robusten Holztischen statt. Altmodische, schwere Lehnstühle mit bunten Polstern stehen in dem Raum. Alle Türen werden immer sorgsam geschlossen, um wenigstens das bisschen Wärme in den Räumen zu halten. Die Erzdiözese, die für den direkt dem Papst unterstellten Birgittenorden bislang kaum zuständig war, soll nun das materielle Erbe des Ordens antreten. Nach dem Vorbild des Klosters Beuerberg in Eurasburg soll Altomünster einer neuen Nutzung zugeführt werden, erklärt Gabriele Rüttiger. "Das Auflösungsdekret sieht eine kirchliche Nutzung vor", sagt sie. Wie genau diese aussehen wird, muss noch beraten werden.

Ein selbsternannter Klosterdirektor verschwendete das Klostervermögen

Eine Umnutzung des Klosters wurde bereits vor der päpstlich erlassenen Auflösung vorbereitet. Damals hatte sich ein selbst ernannter Klosterdirektor eingenistet, er plante ein Burnout Centrum, Vorträge gehörten zum Begleitprogramm, ein Hauptredner sollte der ehemalige Augsburger Bischof Walter Mixa sein. Sieben kleine Kammern im früheren Klausurbereich wollte Jörg Fehlner für sich selbst umbauen. In jedem der kleinen, aneinander gereihten Zimmer gibt es einen neuen Heizkörper. Es wurde mit der Renovierung der Dielenfußböden begonnen, Kabel ragen aus der Wand, heraus gerissene Türschwellen stapeln sich. In einem Raum sind die Wände neu und blau gestrichen, an der Decke hängt ein Kronleuchter - zu betätigen mit einem glänzenden, aus Messing gerahmten Lichtschalter. Ansonsten sieht es darin aus wie in einer Abstellkammer: Bettzeug, ein Wäschegerüst, Töpfe, leere Aktenordner stapeln sich in Umzugskisten. Die Kammer daneben sollte zum Bad umgebaut werden, grüne und graue Kacheln, eine halbhohe Wand ragt ins unfertige Zimmer. "Signifikante Summen", sagt Schwester Konrad, wären nötig gewesen, um Fehlners Vorhaben vom Burnout Centrum auszuführen. Sie sollten "angeblich durch Spenden und Fördergelder" aufgebracht werden. "Es gab kein Finanzierungskonzept", sagt sie. Die Umbauten, stellte sich später heraus, waren nicht genehmigt. Bezahlt hatte Fehlner sie aus dem Klostervermögen.

Eine aus Spanplatten grob zusammengezimmerte Trennwand, die einen anderen Teil des langen Zellentrakts abtrennt, erinnert an weitere Gäste des Klosters. Eine Gruppe von Frauen, welche "die Anerkennung als Säkularinstitut suchten", sagt Konrad, habe hier gelebt. Sie gehörten zur Gemeinschaft Donum Domini. Das Ordinariat sagte damals, diese habe "konfuse Inhalte und schräge Statuten". Schwester Konrad erklärt, die Frauen hätten in sehr radikaler Wortwahl den Schutz des ungeborenen Lebens verteidigt und seien in ihrer Haltung völlig kompromisslos, auch dann, wenn das Leben der Mutter in Gefahr sei.

"Mit Biotopen muss man sorgfältig umgehen", sagt die letzte Nonne

Klosterauflösung

Schwester Apollonia ist die letzte Nonne des Birgittenordens in Deutschland

(Foto: Niels P. Joergensen)

Im Herbst 2013 lebte Schwester Apollonia noch mit einer weiteren Ordensschwester im Kloster, die mittlerweile im Altersheim ist. Schon damals suchte das Landratsamt dringend Flüchtlingsunterkünfte und hatte auch das Gästehaus im Kloster angefragt. Apollonia wehrte sich dagegen. Die Klausur sei in Gefahr und damit die Lebensform der Nonnen. Apollonia, früher bei den Armen Schulschwestern in München Lehrerin für Mathematik, Erdkunde und Russisch, verglich das Klosterleben mit einem Biotop. "Mit Biotopen", sagte sie damals, "muss man sorgfältig umgehen. Man darf nichts hinein werfen, was nicht hinein gehört - dann kippt es um." Nun zeigt sich, wie recht sie damit hatte - und dass sie selbst einiges dazu beigetragen hat, weil sie, wie Ordinariatsdirektorin Gabriele Rüttiger sagt "von sehr vielen Menschen beeinflusst wird" und auch wurde.

Heute lebt mit Schwester Apollonia noch eine weitere Frau im Kloster, "die von sich behauptet, Postulantin zu sein", so sagt Gabriele Konrad. Doch es handele sich nicht um eine gültige Anwärterschaft, denn die Gemeinschaft fehle. Eine Gemeinschaft im Kloster muss aus mindestens drei Nonnen oder Mönchen bestehen. Doch auch diese Zahl, so erklärt Konrad, reiche nicht unbedingt. "Es geht ja um eine Ausbildung, dafür braucht es eine größere Gemeinschaft und Nonnen mit verschiedenen Aufgaben im Klosterleben."

Apollonia möchte fortan am liebsten als Eremitin leben

Dieses hatte sich zum Schluss in Altomünster so reduziert, dass beispielsweise der prachtvoll ausgestattete Kapitelsaal, der Versammlungsraum, kaum mehr genutzt wurde. Die Birgitten waren nie eine so große Gemeinschaft gewesen wie etwa die Franziskanerinnen von Schönbrunn. Für höchstens 60 Nonnen war das Kloster Altomünster ausgelegt. Apollonia Buchinger hat 25 Jahre lang hier gelebt. Wahrscheinlich wird sie nun in die Pfarrei im oberpfälzischen Vilseck gehen. "Dort könnte ich die Bibel-Abende leiten", sagt sie. Apollonia Buchinger spricht von einem Leben als Einsiedlerin, in Abgeschiedenheit. Dabei ist das eigentlich schwer vorstellbar, bei dieser freundlichen, lustigen Frau, die unendlich Schwatzen kann und von einem Thema zum nächsten kommt. Finanziell wird das Ordinariat bis an ihr Lebensende für sie sorgen. Auf die Frage, was sie nun in Zukunft tragen wird, antwortet sie unentschieden. Doch schnell stellt Ordinariatsdirektorin Gabriele Rüttiger klar: "Den Habit müssen Sie ablegen."

An diesem Tag wird die Geschichte des traditionellen Zweigs der Birgitten in Deutschland endgültig vorbei sein.

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