Süddeutsche Zeitung

Billard:Aufbruch in eine neue Stoß-Zeit

Trommeln, Hupen, Heldenkino: Beim Derby gegen Fürstenfeldbruck präsentiert der BSV Dachau seine Vision von Poolbillard.

Ralf Tögel

- Es klang wie eine Drohung: "Wir können auch ohne die DBU so eine Veranstaltung machen, dann verdienen wir sogar noch ein bisschen Geld damit." Andreas Huber, 44, hat diesen Satz gesagt, gerichtet war er an die Adresse der Deutschen Billard Union. "Wir machen ein Turnier, da kriege ich auch eine Mannschaft aus Malaysia oder andere Profis und kann sogar noch ein bisschen Eintritt verlangen", sagte Huber. In der Bundesliga wird kein Eintritt verlangt.

Andreas Huber ist Trainer des Poolbillard-Bundesligisten BSV Dachau. Gerade war das zweite Derby des Wochenendes gegen den BSV Fürstenfeldbruck zu Ende gegangen. Die Gäste hatten triumphiert, nach dem Hinspiel am Freitag in Bruck hatte es 4:4 gestanden, nun gewann der Billardsportverein aus Fürstenfeldbruck beim Lokalkonkurrenten mit 5:3 Partien.

Keine andere Bundesliga-Begegnung genießt mehr Beachtung - ein Verdienst der Dachauer. Denn neben den Punkten für die Liga spielen die Kontrahenten einen riesigen Wanderpokal aus, den "Stern des Südens". Eine Idee, die aufgeht: 220 Zuschauer kamen nach Dachau, in Bruck waren es immerhin 120, das war neuer Rekord. Das Brucker Spiellokal bietet schlichtweg nicht mehr Platz. Die Zahlen sind, so bescheiden sie klingen, in Deutschland einmalig. In Oberhausen etwa, beim deutschen Serienmeister, verlieren sich 20 bis 30 Zuschauer, erzählt Huber.

Als die Hälfte der acht Partien gespielt war, leerten sich aber auch die Ränge in Bruck und Dachau dramatisch. Zu diesem Zeitpunkt ging es jeweils auf Mitternacht zu, "das kann man doch keinem Zuschauer zumuten", sagt Huber. Um 20 Uhr hatten die Spiele begonnen. Vergleiche auf diesem Level, das man durchaus als internationales Topniveau beschreiben darf, beanspruchen bis zu sechs Stunden. "Dieser Zustand muss sich ändern", fordert Huber. Demnächst werde ein Gremium der DBU tagen, um sich mit dem Problem zu befassen. Der Eventcharakter müsse zu- und die Spieldauer abnehmen, so Huber, nur so lasse sich der Sport vermarkten. "Wir müssen Halligalli machen, es muss was geboten sein" - so wie in Dachau, meint Huber.

Der BSV ist Vorreiter, auch dank der "Pooligans", dem ersten eingetragenen Billard-Fanklub. Zu Spielen rücken die Pooligans mit 40 Mann an, mit Trommeln und Partylaune, sie machen Stimmung, feuern die Spieler an. Nicht überall stößt das auf Gegenliebe. Die Trommeln werden bei Auswärtsspielen schon mal verboten. In anderen Bundesliga-Städten herrsche oft Stimmung wie auf dem Friedhof, sagt Huber: "Wollen sie sechs Stunden in einer Aussegnungshalle verbringen? Ich nicht!"

Huber ist nicht nur Trainer des BSV Dachau, er ist auch dessen Vorsitzender. Er ist Bundestrainer, er hat die Billard-Akademie Dachau gegründet, ein Buch geschrieben, Trainingsprogramme entwickelt. Huber lebt Billard, er polarisiert. Und er hat eine Vision, die er geradezu missionarisch verfolgt: Er will den Sport von seinem Imageproblem befreien, ihn aus den dunklen, muffigen Kneipen in hell erleuchtete Hallen befördern und ihn als das darstellen, was er seiner Meinung nach ist: Leistungssport. So wie beim Stern des Südens.

Die Pooligans haben eine Choreografie einstudiert. Wie in einem Fußballstadion wandert eine große Fahne über ihre Köpfe auf der eigens errichteten, kleinen Tribüne. "Stern des Südens": So heißt auch die Vereinshymne des FC Bayern. Es gibt eine Lichtshow, die Spieler laufen unter dem Jubel der Fans ein, Heldenmusik, Trockeneis, großes Kino. Rechts die Dachauer Fans mit Trommeln, links die Brucker mit Hupen. Gelungene Stöße werden gefeiert, und wenn die letzte Kugel fällt, wird es richtig laut. "Man muss schon gute Nerven haben, wenn die Alarm machen", sagt Ralf Souquet.

Souquet ist Profi, der erfolgreichste Deutsche, einer der besten Spieler der Welt: Weltmeister, World-Tour-Sieger, der einzige europäische Poolspieler, der in die amerikanische Hall of Fame aufgenommen wurde. Für gewöhnlich spielt der "Kaiser" - jeder große Spieler hat in der Szene einen Spitznamen - bei Turnieren rund um den Erdball. Sein Wort hat Gewicht. In Dachau spielt Souquet seine erste Saison, er sagt: "Das ist die Zukunft des Billards." Und der Grund, warum er sich nach zehn Jahren wieder einer Mannschaft angeschlossen hat. Es gibt kein Geld beim BSV Dachau, aber den Bundestrainer und die besten Möglichkeiten, sich zu vermarkten.

Auch die anderen Spitzenspieler befürworten diesen Weg: Teamkollege Dominik Jentsch etwa, frisch gebackener Europameister, er gilt als der deutsche Spieler mit der größten Zukunft. Manuel Ederer, eines der größten deutschen Talente, mehrmals Junioren-Europameister. Oder der Fürstenfeldbrucker Roman Hybler, tschechischer Nationalspieler, EM-Dritter, WM-Fünfter, mit internationalen Titeln ausgezeichnet. Hybler spielte am zweiten Tag fehlerlos, war maßgeblich am Gesamtsieg der Brucker beteiligt. Auch er glaubt, dass so die Zukunft seines Sports aussehen muss. Sicher, Billard sei ein Konzentrationsspiel. Ihn störe der Krach aber nicht, sagt Hybler: "Da kann ich auch für meine Teamkameraden sprechen. Man freut sich einfach auf so ein Event." Nur einer war noch besser als Hybler: der Kaiser. Souquet gewann als einziger Spieler alle vier Partien des Wochenendes. Dennoch wird jetzt zum zweiten Mal der Name der Konkurrenz auf dem Wanderpokal eingraviert. Schon die Premiere im vergangenen Jahr hatte Fürstenfeldbruck gewonnen.

Jetzt steht wieder Liga-Alltag bevor. Es gebe schon ein paar Vereine, "die das zu kopieren versuchen", sagt Huber, "der einzig richtige Weg". Die DBU wird demnächst eine Kommission bilden, um den Ligabetrieb zu beleuchten. Er wird dabei sein. Noch sei vieles verkrustet, teilweise gebe es Angst vor Neuerungen. Es müsse aber neue Impulse geben, sagt Huber: "Wir müssen uns kundenorientiert aufstellen."

Dann sagt er noch: "Wenn wir keine Unterstützung von der DBU bekommen, wird Dachau aus der Bundesliga aussteigen." Das klingt nicht mehr wie eine Drohung. Es ist eine.

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Quelle:
SZ vom 16.01.2013
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