Süddeutsche Zeitung

Bevölkerungsprognosen für Dachau:Eine Stadt gerät aus den Fugen

In den kommenden 20 Jahren soll Dachau auf etwa 60 000 Einwohner wachsen. Bremsen kann die Politik die Entwicklung kaum. Ein großer Teil des Bevölkerungswachstums geht allein auf den Generationenwechsel zurück

Von Julia Putzger, Dachau

So recht wahrhaben wollte die Prognose keiner der Dachauer Stadträte: Etwa 60 000 Einwohner könnte ihre Heimatstadt schon im Jahr 2037 haben. Das hatten die Experten vor rund einem Jahr vorhergesagt. Angesichts der enormen Folgebelastungen für die Stadt - der Bau einer fünften Grundschule wäre etwa unumgänglich, 38 zusätzliche Klassen müssten geschaffen werden - kam so mancher Politiker aus dem ungläubigen, entsetzten Staunen nicht mehr heraus. In seiner Entgeisterung beauftragte das Gremium die Experten deshalb zu überprüfen, ob die bisherigen Annahmen der vergangenen fünf Jahre denn überhaupt eingetroffen waren. Spätestens nach der jüngsten Sitzung des Bau- und Planungsausschusses ist nun jedoch klar: Die bisherigen Bevölkerungsprognosen waren beinahe Punktlandungen.

Für die Stadt steht damit fest: Sie muss sich auf den Ernstfall gefasst machen. Denn mit mehr Einwohnern werden mehr Fahrzeuge durch die Stadt fahren, brauchen mehr Kinder einen Betreuungsplatz, fließt mehr Abwasser durch die Kanalisation. Außerdem wirkt sich die künftig wohl dichtere Bebauung direkt und indirekt auf die menschliche Gesundheit ebenso wie auf die lokale Umwelt aus: Die Umgebung heizt sich im Sommer stärker auf, Luftschadstoffe können schlechter abfließen, bei heftigen Niederschlägen steigt die Gefahr von Überflutungen. Zwar sind sich die Vertreter aller politischen Gruppierungen im Stadtrat einig, dass diese Entwicklungen verhindert oder zumindest gebremst werden müssen. Doch über die dafür nötigen Schritte herrscht keine Einigkeit.

Ein großer Teil des Bevölkerungswachstums geht auf den Generationenwechsel zurück. Mit 60 Prozent macht dieser Prozess - die höhere Nachbelegung von Wohnungen nach Sterbefällen - einen entscheidenden Teil der 9000 prognostizierten Nettozuzüge bis 2037 aus. Einfluss nehmen kann darauf jedoch niemand. Weitere 24 Prozent der Nettozuzüge im Siedlungsbestand haben ihre Ursache in der Nachverdichtung, wenn also Baulücken geschlossen, bestehende Gebäude erweitert, umgebaut oder komplett durch ein größeres Gebäude ersetzt werden. Der Knackpunkt dabei: Im Normalfall besteht in diesen Fällen bereits Baurecht, sodass die Stadt erneut kaum Einfluss auf diese Schaffung zusätzlichen Wohnraums nehmen kann.

Immerhin in diesem Bereich haben sich die Prognosen des Planungsverbands Äußerer Wirtschaftsraum München (PV) und des Instituts für Sozialplanung, Jugend- und Altenhilfe, Gesundheitsforschung und Statistik (SAGS), die seit 2015 im Fünfjahrestakt die Demografieprognose für die Stadt erstellen, bisher nicht bewahrheitet. Vom 2015 ermittelten Flächenpotenzial wurde bis 2019 nämlich fast ausnahmslos wesentlich weniger umgesetzt als in der Prognose in angenommen. Das heißt also, dass für diese Flächen zwar weiterhin damit gerechnet werden muss, dass mehr Wohnraum entsteht, diese Entwicklung jedoch nicht so schnell vonstatten geht, wie ursprünglich angenommen. "Es wird also doch nicht so viel zugebaut, wie immer gesagt wird", urteilte Gertrud Schmidt-Podolsky (CSU). Darum konnte die aktuelle Prognose ein Stück weit angepasst werden. Bauamtsleiter Moritz Reinhold warnte in der Sitzung jedoch, dass die Corona-Pandemie die Entwicklung wieder beschleunigt habe, in letzter Zeit seien enorm viele Bauanträge gestellt worden.

Angesichts der mangelnden Steuerungsmöglichkeiten der Stadt in diesem Bereich fand die Idee der Fraktionsgemeinschaft der ÜB/FDP keinen Anklang unter den Stadträten: Die Fraktion hatte in einem Antrag gefordert, eine Wachstumsgrenze von durchschnittlich einem Prozent pro Jahr festzulegen, doch nicht nur Sören Schneider (SPD) urteilte darüber: "Solche Prozentzahlen sind nur Schall und Rauch." Seine Fraktion hatte indes in einem Antrag gefordert, abgesehen von MD-Gelände und Augustenfeld-Zentrum vorerst keine weiteren Bebauungspläne aufzustellen. Die Stadträte der CSU-Fraktion waren von dieser Idee wenig begeistert. Schmidt-Podolsky warnte etwa, dass man sich damit nur selbst in der Umsetzbarkeit lähme. Nach langen Diskussionen fand der Antrag dennoch eine Mehrheit.

Weitestgehend einer Meinung war man sich im Bau- und Planungsausschuss dafür über die weitere Entwicklung der Siedlungserweiterungsflächen in Augustenfeld. Während die Planungen für das Baufeld des TSV-Stammgeländes vorangetrieben werden sollen, soll es bis auf weiteres keine Entwicklung entsprechend der Rahmenplanung Augustenfeld Nord geben. Die Demografieexperten hatten nämlich ermittelt, dass dies ein weiteres Plus von 1000 Einwohnern bis 2037 bedeuten würde. "Wir können uns vorstellen, diese Entwicklung zurückzustellen. Aber uns muss klar sein: Das ist eine Entscheidung, die sehr weit in die Zukunft reicht", so Schmidt-Podolsky für die CSU.

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SZ vom 10.06.2021
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