Bergkirchen:Nachts in der Bar zum Krokodil

Tea fot Two

Lebemännern und -frauen: Mit seiner Revue nimmt das Hoftheater Bergkirchen die Zuschauer mit auf eine Zeitreise in die Goldenen Zwanziger.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Das Hoftheater Bergkirchen wirft in der fulminanten Revue "Tea for two" mit schmissigen Chansons und Evergreens einen Blick auf die Lebensgier und Vergnügungssucht der Goldenen Zwanziger

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Es tritt auf: Peter Panter (Herbert Müller). Damit kündigt sich schon an, wohin die Reise geht. Zum "Tea for two" natürlich. Schließlich ist der Titel der jüngsten Revue des Hoftheaters Bergkirchen Programm. Aber es bleibt nicht bei Evergreens und Chansons der Zwanziger- und Dreißigerjahre, wenn der Reiseleiter Kurt Tucholsky (1890-1935) ist, der auch unter dem Pseudonym Peter Panter schrieb. Tucholsky ist, das wird wieder einmal deutlich, von manchmal erschreckender Aktualität. Zum Beispiel mit diesen Versen aus seinem Gedicht "Europa": "Da liegt Europa. Wie sieht es aus? Wie ein bunt angestrichnes Irrenhaus. Die Nationen schuften auf Rekord: Export! Export! (...) Fahnen und Hymnen an allen Ecken. Europa? Europa soll doch verrecken! Und wenn alles der Pleite entgegentreibt: dass nur die Nation erhalten bleibt!"

Als Tucholskys Weggefährten hat Müller, der auch Regie führt, Erich Kästner gewählt. Nicht den netten Onkel mit den Kinderbüchern, sondern den genauen Beobachter, dessen Werke - ebenso wie die Tucholskys - die Nazi verbrannten und verboten. Eine Revue mit Anspruch also, die gerade durch den Kontrast von gesprochenem Wort und amüsanter Musik mehr bietet als leichte Unterhaltungskost.

Unter der musikalischen Leitung von Max I. Milian, der mit viel Einfühlungsvermögen Schwerstarbeit als Begleiter am Flügel leistete, sangen, spielten und tanzten sich bei der Premiere am vergangenen Freitag Christina Schäfer, Anna Katharina Fleck, Sarah Kornfeld, Gudrun Wilk (als "Chorus") Ansgar Wilk und Tobias Zeitz mit Charme und Witz in die Herzen des Publikums. In der Bar zum Krokodil ist eben die Nacht nicht allein zum Schlafen da, zumal wenn die Tangogeigerin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt ist. Oder der schöne Gigolo dem halben Versprechen der "Johnny wenn du Geburtstag hast" schmachtenden Donna Clara glaubt. Die reißt sich eine Wimper aus, weil Benjamin ihr Gejammer "Ich hab' nichts anzuziehn" nicht mehr hören kann, sondern Fräulein Helen beim Baden gehen gesehen hat. Das ist einerseits Nostalgie pur und spiegelt sich in der hinreißenden Art-Déco-Kulisse wider, die Ulrike Beckers mit Sujets des Multitalents George Barbier (1832-1912) gezaubert hat. Dessen ebenso laszive wie selbstbewusste Frauenbildnisse zitieren aber auch auf ihre Weise das neue Selbstwertgefühl der (Großstadt-)Frauen der wilden Zwanziger, die sich nicht nur vom Korsett, sondern auch von Konventionen befreiten, und mit Bubikopf und seinerzeit als unschicklich geltenden kurzen Kleidern die Männerwelt gehörig aufmischten. Lebensgier und Vergnügungssucht, eine überbordende Kunst-, Musik-, Literatur-, Kabarett- und Theaterszene, Aufbruch und Moderne prägen bis heute das Bild von den sogenannten Goldenen Zwanzigerjahren. Andererseits lässt sich zwischen den Zeilen der unkaputtbaren Schlager durchaus eine wohldosierte Portion Kritik am unausrottbaren Spießertum oder dem ungebremsten Egoismus von Lebemännern und -frauen finden.

Wie viel falsches Gold da glänzte, zeigte Müller als Peter Panter mit einer Chronologie der Ereignisse, die zur Weltwirtschaftskrise und zum Aufstieg der Nationalsozialisten führten. Zitate, Textpassagen, Spielszenen und Gedichte von Tucholsky und Kästner warfen einen ironischen bis zynischen Blick hinter die Kulissen des schönen Scheins. Und fanden ihre Entsprechung in Songs von Bertolt Brecht und Kurt Weill. Wozu eine der Glanznummern des Abends hervorragend passte: George Gershwins "Summertime", mit fabelhafter Jazz-Stimme gesungen von Sarah Kornfeld. Sie gehört, ebenso wie Anna Katharina Fleck, erst seit kurzem zum Hoftheater-Ensemble. Schon jetzt lässt sich sagen: Beide sind eine echte Bereicherung mit ihrem Temperament, ihrem Können und ihrer unverkrampften Spielfreude. Die steckt an, lässt die Herren Zeitz und Wilk zu Hochform auflaufen und das Publikum "Bei mir bistu shein" (Bei mir bist du schön) lauthals mitsingen. Fazit: "Tea for two" ist beste Unterhaltung mit Tiefgang.

Weitere Vorstellungen: 30., 31. Dezember 2015, 2., 6., 31. Januar 2016

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