Dorfrichter Adam ist die Autorität in seinem Ort und hat doch gehörig Dreck am Stecken. Sein Schreiber namens Licht ist der Prototyp des subalternen Beamten – oder doch nicht? Gerichtsrätin Walter scheint eine Controllerin aus Leidenschaft zu sein – oder womöglich doch mehr? Frau Marthe Rull ist eine opportunistische „Zwiderwurzn“, wie man im bayerischen Kulturraum zu sagen pflegt, ihre Tochter Eve ein verängstigtes junges Ding, das über sich hinauswächst. Und Ruprecht Tümpel schließlich ist ihr etwas großmäuliger Freund, für dessen Rettung Eve mehr auf sich nimmt, als er verdient: Das sind die handelnden Personen in „Der zerbrochene Krug“, dem Theater-Dauerbrenner von Heinrich von Kleist (1777-1811). Regisseur Herbert Müller hat diese Komödie aus dem Jahr 1808 fürs Hoftheater Bergkirchen bearbeitet, gekürzt und behutsam, aber unübersehbar modernisiert.
Ein Detail: Schreiber Licht und Gerichtsrat Walter sind in dieser Adaption eine Schreiberin (Theresa Andree) und eine Gerichtsrätin (Sarah Giebel). Für das Szenenbild hat Ausstatterin Ulrike Beckers Richter Adam eine Drecksbude auf die Bühne gestellt: Ein paar Hühner tummeln sich auf einer Leiter, zusammengeknüllte Wäsche lagert auf Gestellen, ein paar Stiefel liegen ebenso planlos herum wie etliche Krüge und Flaschen. Das Stück spielt in der Zeit um 1685, in der fiktiven Ortschaft Huisum der niederländischen Provinz Utrecht, genauer gesagt im Amtszimmer von Dorfrichter Adam.
Ansgar Wilk spielt den schmierigen, widerlichen Adam mit unbändiger Begeisterung
Der torkelt gerade – buchstäblich schwer angeschlagen, mit blauem Auge und Platzwunde auf dem Kopf – in diese heruntergekommene Räumlichkeit und hat ziemliche Mühe, zurechtzukommen und seine Perücke wiederzufinden. Doch dem Manne wird geholfen, und zwar von Schreiber Licht, der – nomen est omen – auch die Schatten seines Dienstherrn mit messerscharfem Verstand und scheinbar ausdruckslosem Blick analysiert. Ansgar Wilk spielt den schmierigen, widerlichen Adam mit unbändiger Begeisterung und abgrundtiefer Bosheit. Theresa Andree ist der etwas undurchsichtige, völlig humorbefreite, überkorrekte Schreiber Licht. Er sorgt erst einmal dafür, dass der Richter wieder halbwegs präsentabel aussieht, denn Gerichtsrätin Walter hat ihr Kommen angekündigt. Ihre Mission: der Rechtsprechung nach Gutsherrenart ein Ende zu bereiten und verbindliche Normen einzuführen.
Sarah Giebel – im strengen Business-Outfit und mit einer Attitüde der Unbestechlichkeit – erfasst das Dorfrichter-Chaos mit einem Blick und forscht unerbittlich nach den Ursachen für Adams Blessuren. Der windet sich wie ein Aal, erfindet immer neue Ausreden und unglaubliche Geschichten. Schauspieler Ansgar Wilk kann „Ihre Gnaden“ gar nicht oft genug anschleimen und zugleich Schreiber Licht niederbrüllen – er hat an diesem perfiden Spiel so unglaublichen Spaß, dass der Funke schon bei seinem ersten Auftritt aufs Publikum überspringt. Das gilt gleichfalls für alle Mitwirkenden. Jede Geste, jedes Heben der Augenbrauen, jede Handgreiflichkeit sitzt.
Es gibt ein klug gemachtes halbes Happy End
Doch zurück zum zerbrochenen Krug. Den hält die biestige, keifende Frau Marthe in ihren vor Empörung zitternden Händen. Verena Konietschke mit zum Dutt gedrehter Frisur zerrt den bedauernswerten Ruprecht und Tochter Evchen in die richterliche Amtsstube. Irgendwer muss den Krug heruntergestoßen haben – und das mitten in der Nacht. Nun will Frau Marthe den Schuldigen entlarvt wissen, denn Verdächtige gibt es viele. Richter Adam wird es kurz mal ganz blümerant zumute. Dann fängt er sich wieder, jongliert auf der vorgeblichen Suche nach dem Schuldigen hin und her – und bedroht die arme Eve mit einem solch bösartigen Gesichtsausdruck, dass einem angst und bange wird.
Lucca Rabenstein ist dieses verängstigte, halberwachsene Mädchen, das Richter Adam erbarmungslos gefügig macht und erpresst. Denn nur, wenn Eve mit ihm schläft, will er Ruprecht vor dem Militärdienst in Ostindien bewahren. Im Gerichtssaal geht es hin und her, drunter und drüber. Eve findet in Schreiber Licht und in der Gerichtsrätin Walter unverhofft Verbündete. Aus dem Duckmäuschen wird eine aufrechte junge Frau, die sich weder von Adams Drohungen noch von der zeternden Mutter einschüchtern lässt. Die Wahrheit kommt ans Licht und sie ist erschreckend – auch für den unbedarften Ruprecht. Der muss erst einmal verdauen, was Eve seinetwegen durchlitten hat.
Es gibt ein klug gemachtes halbes Happy End und ein begeistertes Publikum bei der Premiere. Denn diese spannende Inszenierung macht die Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit sowie den Widerstand gegen Missbrauch zum Thema – und das mit komödiantischer Leichtigkeit.