Frieden schaffen durch Liebesentzug – dieses probate Mittel wandten die Frauen in Athen und Sparta aus Aristophanes’ pazifistischer Komödie „Lysistrata“ an, um einen sinnlosen Krieg zu beenden. Auch im aktuellen Stück des Hoftheaters „Zwei Diener und eine Nacht in Venedig“, das im 18. Jahrhundert spielt, greifen drei gewitzte Frauen auf diese bewährte Rezeptur zurück. Sie wollen mit diesem Feldzug der anderen Art in erster Linie ein testosterongesteuertes, geldiges Mannsbild treffen sowie den einen oder anderen, mit dem sie noch ein Hühnchen zu rupfen haben. Welche von den Frauen welche Interessen finanzieller oder erotischer Natur damit verfolgt, zeigt Regisseur Herbert Müller in dieser Komödie mit Musik.
Für die Jubiläumsproduktion zum zehnten Theatersommer Bergkirchen hat sich Müller gleich bei zwei Größen des Genres bedient: Bei sechs Komödien von Carlo Goldoni (1707-1793) und bei der Erfolgsoperette „Eine Nacht in Venedig“ von Johann Strauss (Sohn) (1825-1899). Entstanden ist eine witzig-spritzige Collage, in der Musik, Tanz und wohlgesetzte Worte eine glückliche Verbindung eingegangen sind. Das ist einem Ensemble in Hochform zu verdanken, das sich lustvoll in die Abgründe von Lug und Betrug, von Begehren und Gier, von Irrungen und Wirrungen stürzt und sein Publikum vom ersten Ton an begeistert.
Für das Bühnenbild hat Ulrike Beckers über 500 Fotos in Venedig geschossen
Wesentlich zum Erfolg dieses Premierenabends tragen die fantasievollen Kostüme von Ulrike Beckers und ihre raumfüllenden Bühnenbilder von einem Venedig jenseits der Touristenhighlights bei. Dafür ist sie eigens in die Lagunenstadt gefahren und hat mehr als 500 Fotos geschossen. Das Ergebnis: Man sitzt gefühlt auf einer Piazza, umgeben von leicht in die Jahre gekommenen Häusern, hört von Ferne den Ruf des Gondoliere und sortiert erst einmal im Geiste, wer zu wem gehört oder auch nicht, wer wen gerade finanziell zugrunde richtet und wer mit wem „eine halbe Stunde“ Sex haben will – oder auch nicht.
Da wären also: Caramello (Robert Gregor Kühn), ein abgefeimter, schmieriger Casino-Betreiber und Zuhälter – dem zeigt allerdings seine nebenberuflich dem ambulanten Gewerbe frönende Lisaura Ballerina (Lucca Rabenstein), wo Bartel den Most holt. Tobias Zeitz spielt Pappacoda Brighella, den eher harmlosen-servilen Wirt und Makkaroni-Koch. Dessen Frau Colombina Ciboletta (Eva Gwinner) hält den Laden zusammen. Man sieht es schon an der verschmitzten Namensgebung: Die Commedia dell‘ Arte stand bei dieser Nacht in Venedig Pate.
Alles dreht sich aber letztendlich um einen etwas zwielichtigen Herren: den Conte Valpolicella (gespielt von Ansgar Wilk), der ganz nach Bedarf Namen und Auftreten wechselt – vom Charmeur zum Brutalo, vom Grandseigneur zum Mafioso. Bei ihm hat der spielsüchtige Pantalone (Herbert Müller), ein abgewrackter, alter Knacker mit jungen Gelüsten erhebliche Spielschulden. Seine viel zu junge Frau Barbara (Helena Huber) hält das Leben mit diesem geilen Jammerlappen nicht mehr aus und sucht Abwechslung. Sie gerät ausgerechnet an den falschen Conte – auf den hat aber auch Colombina Scapine (Jessica Dauser) ein verschärftes Auge geworfen.
Aber dann ist da auch noch die vornehme Gemahlin des Casanovas, die elegant in flaschengrün gekleidete Henriette (Sarah Giebel). Sie ist auf der Suche nach ihrem Mann und will ihr Geld zurück, mit dem er sich verdünnisiert hat. Sie verkleidet sich als Mann, um den Conte mit den vielen Namen leichter zu finden. Ihr zur Seite steht der Diener Arlecchino Truffaldino (Annalena Lipp), ein nicht wirklich cleveres Bürschchen, das sich zudem den Conte Valpolicella als Arbeitgeber angelt.
Diese muntere Melange entfacht ein Feuerwerk der Emotionen
Diese muntere Melange aus (Möchtegern-)feiner und halbseidener Gesellschaft, aus Halb-Unterwelt und einfachen Leuten entfacht ein Feuerwerk der Emotionen, das die Zuschauer von den Plätzen reißt. Dazu trägt wesentlich die hinreißende Musik mit ihrer Mischung aus Operette, wildem Csárdás, ein bisserl Mozart und allem, was Arrangeur Max Müller, Geigerin Susanna Morper und Pianistin Petra Morper zum Thema eingefallen ist. Das Trio bildet das Theatersommer-Orchester und genießt bei aller Anstrengung sichtlich die nonverbale Kommunikation mit dem Publikum.
Max Müller grinst verschmitzt hinter seinem Schlagzeug, wenn wieder einmal ein verzücktes „Ah“ und „Oh“ aus dem Publikum zu ihm herüberweht bei den Hits von „Eine Nacht in Venedig“, sie sind Operetten- und Walzerseligkeit pur. Die Tenöre, Koch Tobias Zeitz und Casino-Besitzer Robert Gregor Kühn, lassen Herzen höher schlagen. Sopranistin Helena Huber klettert mit ihrer wohltönenden Stimme die Ton- und Gefühlsleiter rauf und runter.
„Alle maskiert“ singt das gesamte Ensemble zum Schluss
Die „Arlecchinos“ – die Spaßvögel in der italienischen Komödie – sind leicht erkennbar an ihren handbemalten Kostümen und fabelhafte Tänzerinnen und Sängerinnen, die mit der Choreografie von Annalena Lipp wahre Wunder vollbringen. Der Theaterchor – mit Annette Thomas als erste Chorsängerin und Gudrun Wilk als „der ganze Chor“ – erntet Sonderapplaus.
Und der in die Jahre gekommene Lüstling Ansgar Wilk hat seinen umwerfenden Auftritt als gealterter Jack Sparrow. Und Pantalone? Herbert Müller gibt dieser im Grunde tragischen Figur mit großer Gestik und jammervoller Stimme genau den richtigen Grad an ironischer Charakterisierung. Zugleich bewegen sich die Mitwirkenden sicher und gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen intelligenter Unterhaltung und Klamotte, spielen genüsslich mit dem teils derben Humor, der Goldonis Originalen geschuldet ist und eindeutig-zweideutigen erotischen Momenten.
„Alle maskiert“ singt das gesamte Ensemble zum Schluss – wohl wissend, dass ihr fantastisches Spiel so manche Auswüchse der heutigen Gesellschaft demaskiert. Denn im Hirn setzt sich der unsinnige Gedanke fest: Ob die Methode Lysistrata heute noch funktionieren könnte? Man wird ja wohl noch träumen dürfen.