Süddeutsche Zeitung

Bergkirchen:Frauen-Showdown vorm Wormser Dom

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Das Hoftheater Bergkirchen bringt eine moderne Version von "Der Ring des Nibelungen" auf die Bühne. Nicht die Männer, sondern die Frauen dominieren hier das Geschehen.

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Am Tresen steht ein Möchtegern-Beau: schwarze Hose, schwarzes Hemd, graues Haar, Sonnenbrille und etwas in die Jahre gekommen. Die Zuschauer im Hoftheater Bergkirchen wissen längst, wer das ist und wollen sich ein Lachen nicht verkneifen: Es ist Siegfried, gemeinhin als blonder Recke aus dem Nibelungenlied und der Tetralogie "Der Ring des Nibelungen" von Richard Wagner bekannt.

Bevor Germanisten, Historikerinnen und Wagnerianer empört aufschreien: Mit diesem Siegfried hat es eine spezielle Bewandtnis. Er ist der anonyme Schreiber, der Erzähler und der unglückliche Held von "Der Nibelungen Ring" in Personalunion. Dieses Theaterstück basiert auf dem "Buch des anonymen Dichters", herausgegeben vom Nibelungen-Museum Worms. Herbert Müller hat es unter Verwendung diverser Vorlagen geschrieben. Unter der Regie von Ansgar Wilk hatte es am Freitagabend umjubelte Premiere.

Ein Stück für die Kids des 21. Jahrhunderts

Doch warum stellt Wilk, der zugleich die Dreifachrolle übernommen hat, diesen Siegfried als selbstverliebten, arroganten und völlig Sixpack-befreiten Schnösel dar? Weil diese Inszenierung für Schulaufführungen gedacht und gemacht ist, aber auch Erwachsenen eine neue Sicht aufs deutsche Heldenepos Nummer eins ermöglicht. Die Kids der 21. Jahrhunderts werden daran viel mehr Spaß haben als Schüler des 20. Jahrhunderts, die das Epos noch passagenweise auswendig lernen mussten - auch auf Mittelhochdeutsch - und sich mit stundenlangen Vorträgen in Sachen Handschriften, die ihre Exegeten aus etlichen Wissenschaftsdisziplinen seit Jahrhunderten beschäftigen.

In der Version Hoftheater dominieren zwei Frauen das Geschehen: Kriemhild (Sarah Giebel) und Brünhild (Julia Rieblinger). Kriemhild, die liebliche Schwester des Nibelungen-Königs Gunther (Jürgen Füser) - auch bekannt als König der Burgunden, die im 5. Jahrhundert tatsächlich in der Wormser Region gelebt haben - ist scharf auf Siegfried. Doch ihr Bruder Gunther, ein Schlaffi, der nur gelegentlich royale Würde zeigt, stellt eine Bedingung für die Heirat: Er will Brünhild gewinnen, die unbesiegbare Königin vom Isenlande.

Mit Hilfe eines Zaubermantels beziehungsweise einer Tarnkappe besiegt Siegfried an Gunthers Stelle Brünhild und erledigt auch gleich noch die Leibesübungen der Hochzeitsnacht, nicht ohne frauenverachtende Kommentare à la "Ein flotter Dreier. Dann machen wir aus eurer Löwin eine Hauskatze." Das ist übrigens nur ein Beispiel für die erfrischend moderne Sprache dieses Stücks.

Der Betrug könnte unentdeckt bleiben, hätten nicht der fiese Hagen von Tronje (Jürgen Füser dieses Mal als perfekter Berufsintrigant) und Zwerg Alberich mit seinen Schätzen die Hand im Spiel. Das Täuschungsmanöver der zwei unehrenhaften Herren fliegt auf, es kommt zum Frauen-Showdown vor dem Wormser Dom.

Brünhild besteht auf Gleichberechtigung

Brünhild lässt Siegfried ermorden - mit dem sie mal liiert war oder sein wollte. Hagen krallt sich den Nibelungenschatz, und Kriemhild mutiert zur unbarmherzigen Rächerin. Sie lässt 13 Jahre später am Hof des Hunnenkönigs, mit dem sie inzwischen verheiratet ist, sämtliche Nibelungen umbringen. Da laufen dem Publikum kalte Schauer den Rücken runter, weil Wilk als Erzähler diese Schandtat fast emotionslos weitergibt. Das macht die Wandlung Kriemhilds von der flirtenden jungen Frau zur getriebenen Furie noch eindrucksvoller. Sarah Giebel gelingt das glaubhaft. Statt fröhlichem Umhertänzelns, statt stolzgeschwellt ihre "Schwester" Brünhild mit spitzen Worten zu sekkieren, rast sie über die Bühne, schreit ihren Schmerz hinaus - und findet keinen Ausgang mehr aus ihrem selbstgebauten Seelengefängnis.

Julia Rieblingers Brünhild ist keine waffen- und kraftstrotzende Walküre, sie ist, ohne groß zu psychologisieren, eine Frau, die auf Gleichberechtigung besteht und sich dennoch den Konventionen ihrer Zeit beugen muss. Dass sie von Gunther, dieser halben Portion von Ehemann so grob getäuscht worden ist, trifft sie bis ins Mark. Wut, verletzter Stolz und zerstörtes Selbstbewusstsein brechen sich unaufhaltsam Bahn und führen zur Katastrophe, in der auch Brünhild untergeht.

Dass die beiden Frauen und ihre Männer zudem noch vom widerlichen Alberich (eine zynisch schauende Puppe aus der Werkstatt von Ulrike Beckers, der Wilk die entsprechende Stimme verleiht) und vom machtbesessenen Hagen ferngesteuert werden, macht diese Inszenierung besonders spannend - und zeigt überdeutlich, wohin ungebremster Machthunger führen kann - nicht nur im Mittelalter.

Wilks Inszenierung ist kein Psychogramm der vier Protagonisten, sie stellt eher die Charakterzüge jedes Einzelnen fast holzschnittartig dar. Das macht den Fortgang der Handlung im schwarzen Ambiente und in den mit mittelalterlichen Motiven bedruckten Kostümen von Ulrike Beckers so nahbar und fassbar. Wagners ""Weia! Waga! Woge, du Welle!" vermisst man ganz und gar nicht, man möchte vielmehr diese Adaption der "Nibelunge liet", des Nibelungenlieds noch einmal erleben.

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