Theater „Es mangelt nicht an Glück“

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Spielen Lore und Harry äußert charmant: Christina Schäfer und Jürgen Füser.
Spielen Lore und Harry äußert charmant: Christina Schäfer und Jürgen Füser. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Regisseur Ansgar Wilk ist durch ein paar einfache Kniffe eine Inszenierung von Elke Heidenreichs Buch „Alte Liebe“ geglückt, die um einiges charmanter ist als die Theaterfassung der Autorin selbst – sehr zur Freude des Publikums im ausverkauften Hoftheater Bergkirchen.

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Harry ist seit Kurzem Rentner, züchtet Rittersporn, trinkt gerne mal ein Bier und hat als Muntermacher stets eine Schachtel Pfefferminzkonfekt griffbereit. Lore ist eine leidenschaftliche Bibliothekarin, stets wie ein Model aus einem Magazin für die Frau ohne Alter gekleidet und kann ohne Bücher, ihren Job und etwas Verliebtheit in ihre Lieblingsautoren nicht leben. Die beiden sind seit gut dreißig Jahren verheiratet. Ihre (Selbst-)Gespräche sind fast so vorhersehbar wie abendliche Nachrichtensendungen. Doch muss da nicht noch mehr sein, etwas, das im Ehealltag verloren gegangen oder verschüttet worden ist?

Die bekannte Autorin und Literaturkritikerin Elke Heidenreich hat sich des Themas in ihrem 2009 erschienenen Buch „Alte Liebe“ gemeinsam mit Bernd Schroeder angenommen. 2019 hat Heidenreich daraus eine Bühnenfassung gemacht. Am vergangenen Donnerstag war die begeistert gefeierte Premiere im Hoftheater Bergkirchen.

Durch ein paar Ergänzungen gewinnen die Charaktere an Tiefe

Im Buch und im Theaterstück wechseln sich Selbstgespräch und Dialog ab. Regisseur Ansgar Wilk hat Bühnenfassung und Sprache etwas geglättet, hat das wichtigste Requisit, ein Smartphone, in das die Darsteller im Original pausenlos rein tröten, an den Spielfeldrand verbannt und voll auf seine beiden Protagonisten Lore (Christina Schäfer) und Harry (Jürgen Füser) gesetzt. Damit der Plot in sich schlüssig bleibt, hat er zudem einige Buchpassagen integriert.

Eine gute Idee, wie sich zeigen sollte. Gewinnen doch die Charaktere der hektischen Lore und des etwas phlegmatischen Harry damit an Tiefe und Schärfe. Und das sehr zur Freude des Publikums im ausverkauften Hoftheater. Dessen Kommentare wären übrigens eine eigene Produktion wert, da „ein paar hundert Ehejahre hier versammelt sind, alles Fachleute wie wir“, wie eine Frau in der Pause lachend zu ihrem Mann sagte.

Bei Harry erwacht „der alte antikapitalistische Kampfgeist“

Doch der Charme dieser zu Beginn etwas spröde daher kommenden Szenen einer Ehe – die nichts mit dem gleichnamigen Film von Ingmar Bergmann, sondern eher mit Anlehnungen an Loriots unvergessliche Sketche zu tun haben - liegt nicht in Heidenreichs Theaterfassung. Sie ist den Schauspielern Christina Schäfer, Jürgen Füser und Regisseur Wilk zu danken.

Harry – im Rentnerlook - beschneidet liebevoll den von Ausstatterin Ulrike Beckers zum Rittersporn umfunktionierten Ficus. Die erfahrene, sportlich -elegant gekleidete Gattin Lore nähert sich mit einem Bier in der einen und einem Brief in der anderen Hand dem vor sich hin gartelnden Ehemann. Der Brief hat einen für den längst nicht mehr erziehungsberechtigten Vater nämlich einen unangenehmen Inhalt: Tochter Gloria – längst flügge geworden und raus aus der gutbürgerlichen Miefigkeit – will zum dritten Mal heiraten. Ausgerechnet einen Immobilienhai, dessen Vater die Firma auch noch großkotzig „Kaiserreich“ genannt hat.

„Ich brenne nicht mehr, ich leuchte nicht mehr“

Da steigen bei Harry Bluthochdruck und Adrenalinspiegel in ungeahnte Höhen – und „der alte antikapitalistische Kampfgeist“ erwacht. Doch bevor dieser tatsächlich reaktiviert wird, gilt es für Lore, noch einige Hürden zu überwinden. Schließlich musste ihr Harry schon zwei Ehemänner seiner Tochter ertragen, wie er seiner Frau ständig erzählt. Das Leben von Tochter Gloria interessiere ihn nicht, was es natürlich doch tut, wie Füser mit Mimik und Gestik deutlich zeigt.

Und Lore? Reagiert vorhersehbar, so wie sie in ihrer Ehe wohl schon oft reagiert hat: „Sie ist meine Tochter“, sagt sie und versucht, ihr Ziel auf Umwegen zu erreichen. Dabei ist sie in dieser Rolle gar nicht glücklich. „Es mangelt nicht an Glück. Es mangelt an erträglichen Erwartungen“, sagt sie beispielsweise, als sie über das unvermeidbare Altern nachdenkt. Und stellt fest: „Ich brenne nicht mehr, ich leuchte nicht mehr.“ Ziemlich deprimierend, so eine Feststellung. Harry dagegen nimmt’s meistens fatalistisch: „Man darf nicht zu viel verlangen. Man muss das akzeptieren, was ist und das, was getan werden muss.“

Doch was muss getan werden? Beispielsweise über den eigenen Tod und über testamentarische Verfügungen während der Bahnfahrt zur Hochzeit sprechen, statt mit „alter Lederjacke“ im feinen Zwirn auf der „Fürstenhochzeit“ erscheinen und eine Brandrede gegen Immobilienhaie halten. Mit anderen Worten: Harry erwacht endlich aus seiner Lethargie, tanzt mit seiner Frau wild durchs Hotelzimmer, steckt sie mit seiner Lebenslust an - und dem wie auch immer gearteten Happy End steht nichts mehr im Wege.

Heidenreichs „Alte Liebe“ mag passagenweise wie einer der gefühlt hunderttausend Ratgeber für die zweite Lebenshälfte klingen. Lore und Harry, sprich Christina Schäfer und Jürgen Füser, machen daraus aber ein Stück über Lebenserfahrung, Lebensfreude, Selbstreflexion und Selbstverwirklichung. Regisseur Wilk verzichtet auf jeden Schnickschnack, lässt statt Musik fein abgestimmte Alltagsgeräusche – von ICE-Durchsagen bis zu Hochzeitsglocken - aus dem Off das Geschehen begleiten. Das trägt viel zur komödiantischen Grundhaltung dieser stimmigen Inszenierung bei – und ebenso viel zum Amüsement des Publikums übers Eheleben der bisweilen bekannten Art.

Die nächste Vorstellung findet am Samstag, 7. Dezember, um 20 Uhr statt. Es gibt noch Restkarten.

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