Wie viele Götter wohnen nach hinduistischem Glauben in einer einzigen Kuh? Die Antwort auf diese sehr spezielle und viele andere Fragen rund um das Thema Essen gibt es derzeit im Hoftheater Bergkirchen. Zur Eröffnung der Spielzeit 2024/25 heißt es dort „Mahlzeit“.
Das Stück ist ein ebenso amüsanter wie erkenntnisreicher kulinarischer Streifzug durch die Kulturgeschichte des Essens von Albert Frank. Am vergangenen Samstag war die begeistert gefeierte Premiere. Ansgar Wilk – in blauer Kochjacke mit auffallend roten Knöpfen und blütenweißer Kochmütze – ist Regisseur und Chefkoch in Personalunion. Für ihn ist dieses Stück „ein gefundenes Fressen“, um in der Küchensprache zu bleiben.
Live-Cooking im Hoftheater
Er hat den berühmten Satz von Fernsehkoch Max Inzinger oder Clemens Wilmenrod – da streiten sich die Gelehrten - „Ich hab‘ da mal was vorbereitet“ großartig umgesetzt. Denn erstmals in der bald 20-jährigen Geschichte des Hoftheaters ist Live-Cooking auf der Bühne angesagt. Dafür hat Wilk 13 kleine Tische nebst Stühlen in der ersten Reihe zu „Gourmet-Plätzen“ umfunktioniert. Bevor es aber ans Genießen geht, müssen sich die Zuschauerinnen und Zuschauer als Küchenhilfen bewähren. Dem kann das Publikum auf den Gscheithaferl-Plätzen entspannt folgen, sofern es nicht gerade vom strengen Professor Dr. Dr. Schlemmerschmaus (ebenfalls Ansgar Wilk) einer gnadenlosen Überprüfung seiner Kenntnisse in der Geschichte des Essens unterzogen wird – und Fragen wie die eingangs genannte beantworten muss.
Improvisation ist auch bei der Live-Cooking-Station gefragt. Statt einer glitzernden App-gesteuerten Multifunktionseinheit muss eine schlichte Kochplatte ihren Dienst tun. Was aber wollen der Theaterkoch und seine zwei Assistenten (Gudrun Wilk als Frau von Pfeffer und Tobias Seitz als Herr Salz) dem geneigten Publikum servieren? Eine wohlschmeckende österreichische Erdäpfel-Weinsuppe nach einem Rezept von Tante Jolesch. Schriftsteller Friedrich Torberg hat dieser eigenwilligen Tante und dem jüdischen Leben in der Zeit zwischen den Weltkriegen mit seinem Buch „Die Tante Jolesch“ ein literarisches Denkmal gesetzt.
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Tante Joleschs Krautfleckerl waren eine heiß geliebte Köstlichkeit. Wilk wollte sie ursprünglich auf der Bühne zubereiten. Doch der Aufwand sei zu groß gewesen fürs kleine Theater, sagte er nach der Vorstellung der SZ. So wurde es die Erdäpfel-Weinsuppe, deren Rezept sich leicht im Internet finden lässt. Was sich jedoch nicht im Internet finden lässt, ist die hinreißende Musik, mit der Anna Winkler-Nam, Gudrun Wilk und Tobias Zeitz diesem unterhaltsamen Abend die rechte Würze verleihen. Wobei Mitsingen „auch bei flüchtiger Kenntnis der Noten und Texte ausdrücklich erlaubt“ ist, wie im Programmheft steht.
Schließlich macht die passende Musik Kochen erst zum wahren Genuss – und erleichtert den Ungeübten auf den Gourmet-Plätzen profane Arbeiten, wie Kartoffeln schälen, Pilze schneiden oder Schnittlauch hacken ungemein. Schöner Nebeneffekt: Es zeigt sich wieder einmal, wie sehr Musik und Kochen verbindet: Menschen die gefühlt seit Jahren im Theater nebeneinander sitzen, kommen ins Gespräch und teilen den Spaß an diesem Event.
Im Mittelpunkt stehen aber die vielen Geschichten, Anekdoten und durchaus ernsthaften Informationen, die Professor Schlemmschmaus, ein Ötzi, eine Kuh und ein Schweinchen – alle von Ansgar Wilk in teils umwerfender Kostümierung gespielt – ihren gebannt lauschenden Zuhörerinnen zukommen lassen. Wilk löst sein Versprechen ein, „dass Sie in Zukunft nicht einmal mehr ein Ei aufschlagen werden, ohne an die Geschichte des Haushuhns zu denken“.
Sogar EU-Richtlinien kommen zur Sprache
Das betrifft nicht nur das „Gallus gallus domesticus“, also das Haushuhn, sondern gilt auch für die umständlich-heitere Erklärung von Kalorie und Joule inklusive der dazu vorhandenen EU-Richtlinie aus dem Jahr 2010 sowie für die Ess-Tabus in unterschiedlichen Kulturen oder die Erfindung des Kochtopfs, die ein sehr professoraler Ötzi in bilderreicher Sprache und Gestik darstellt, und für Fertiggerichte in Supermarktregalen: „Dosenfutter, in einer Galerie der kulinarischen Grausamkeiten.“ Selbstredend kommt bei diesen Ausflügen in die Welt der Kulinarik auch „der große deutsche Dichter Heinz Erhardt“ zu Wort. Ist doch Wilk bekennender Fan von Komödianten-Größen des 20. Jahrhunderts.
So schließt sich der Kreis, während die Erdäpfel-Weinsuppe leise vor sich hin köchelt, man Operetten- und Chanson-Evergreens wie „Salzburger Nockerln“, „Powidltatschkerln“, „Stroganoff“ oder „Wiener Bonbons“ leise mitsingt und zum guten Ende eine gute Suppe genießt. „Mahlzeit“ ist Mitmachtheater, der klugen, fröhlichen, charmanten und witzigen Art – und eine rundum gelungene Inszenierung im Hoftheater Bergkirchen. Guten Appetit!