MusicalLiebe tut so gut, Liebe tut so weh

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„Der Sommer geht vorbei – ohne Liebelei“, seufzt sie (Jessica Dauser). Er (Tobias Zeitz) fragt sich: „War’s das wirklich alles wert?“
„Der Sommer geht vorbei – ohne Liebelei“, seufzt sie (Jessica Dauser). Er (Tobias Zeitz) fragt sich: „War’s das wirklich alles wert?“ (Foto: Niels P. Jørgensen)

Mit „Heirat‘ mich ein bisschen“ bringt das Hoftheater Bergkirchen ein bezauberndes Musical auf die Bühne. Die ausdrucks- und gesangsstarken Darsteller bespielen die ganze Klaviatur der Gefühle – und nehmen das Publikum unweigerlich mit.

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Die kleine Bühne des Hoftheaters Bergkirchen sorgt vor Vorstellungsbeginn für Urlaubsfeeling: Ein blau-weiß gestreifter Liegestuhl, ein Sessel, auf dem ein Handtuch „besetzt“ signalisiert, ein paar Drinks auf kleinen Tischen. Dazu noch Kulissenstellwände mit weißem Schiffsrumpf und buntem Krimskrams. Das passt doch ganz wunderbar zum Titel der Premiere von „Heirat‘ mich ein bisschen“, denkt so mancher am Samstagabend im Zuschauerraum.

Schließlich ist das rund einstündige Werk als Musical angekündigt. Und Musicals gelten immer noch häufig als Vertreterinnen der so oft unterschätzten leichten Muse. Ist dieses Stück aber nicht, weshalb Ausstatterin Ulrike Beckers schon mit ihrem Bühnenbild das Publikum geschickt aufs Glatteis geführt hat.

Es sind hochkomplexe Texte, die die ganze Aufmerksamkeit des Publikums fordern

Der Komponist und Textdichter Stephen Sondheim (1930 – 2021) hat für „Heirat‘ mich ein bisschen“ seine unveröffentlichten Songs zu einer Collage der Wünsche und Sehnsüchte zusammengestellt. Das ist großartige, tiefgehende Musik, ein musikalisches Gemälde mit einer ganzen Farbpalette von zartestem Aquarell bis zornigem, schreiendem Acryl. Das sind – in der deutschen Übersetzung von Frank Thanhäuser – hochkomplexe Texte, die die ganze Aufmerksamkeit des Publikums fordern, es aber in der großartigen Inszenierung von Herbert Müller niemals überfordern.

Müller lässt die beiden Protagonisten, eine namenlose Frau und einen ebenso namenlosen Mann (Jessica Dauser und Tobias Zeitz) von Sehnsüchten und Liebe singen, aber mit so viel musikalischer Raffinesse und sich ganz leise einschleichender Melancholie, dass der Gedanke an ein Happy End sich in die hintersten Gehirnwindungen verzieht – und stattdessen einer Art Selbstgenügsamkeit Platz macht. Da bedarf es keiner großartigen akrobatischen Showeinlagen. Die beiden Darsteller sprechen mit ausdrucksstarker Mimik und Gestik, lassen ihre Stimmen die Gefühlsskala rauf und runter tanzen und fesseln ihre Zuhörer derart, dass diese nach jedem Song in begeisterten Beifall ausbrechen.

Erst will sie einen Mann, der „groß und reich“ sein soll. Dann trifft sie ihn...
Erst will sie einen Mann, der „groß und reich“ sein soll. Dann trifft sie ihn... (Foto: Niels P. Jørgensen)
… und er hat nichts. Er sieht sie und glaubt: „Sie war viel zu schön.“
… und er hat nichts. Er sieht sie und glaubt: „Sie war viel zu schön.“ (Foto: Niels P. Jørgensen)

Pianistin Petra Morper, die auch die musikalische Leitung übernommen hat, leistet am mittlerweile hörbar altersschwachen Instrument wahre Schwerarbeit. Da ist kein leichtes Geträllere zu hören. Vielmehr macht sie die immer wieder tiefgründige Musik Sondheims in all ihren Schwingungen erlebbar. Das beginnt schon beim Quasi-Vorspiel: Sie betet den Mond an; er nölt mit verbissenem Gesicht rum, weil er am Samstagabend allein zu Hause sitzt und von einer schnellen Nummer mit einer Frau fantasiert, die er in höchstens „drei bis 13 Minuten“ ins Bett bekommen könnte. Seine – wodurch auch immer – entstandene, tief sitzende Frauenverachtung macht ihn erst einmal zum echten Unsympathen. Sie – gekünsteltes Strahlen im Gesicht – stellt sich den Mann ihrer Träume als bestens aussehenden und natürlich reichen Gentleman der alten Schule vor, der auch noch perfekt Foxtrott tanzen kann.

Beide wissen nur zu gut – obwohl sie sich kaum ansehen und schon gar nicht berühren – dass das alles Wunschdenken ist. Einziger trauriger Trost: Rosafarbene Plüschtiere im Arm. An der in jeder Hinsicht unbefriedigenden Situation ändert sich nichts. „Der Sommer geht vorbei – ohne Liebelei“, seufzt sie. Er fragt sich, „war’s das wirklich alles wert?“, wenn Frauen womöglich immer noch annehmen, die alten (Schein-)Lösungen könnten funktionieren, um die Sehnsucht nach äußerem Glück und nach Sicherheit zu erfüllen. Oder aber, dass Frauen um der Karriere willen immer noch sexuelle Belästigungen ertragen – und nach ein paar Jahren nur Lebenstrümmer bleiben. Das ist eine der eindringlichsten Szenen dieses Abends. Entstanden doch die Songs lange vor der Me-Too-Bewegung und legen dennoch ohne jeden überheblichen Anspruch den Finger in eine Wunde, die für und in vielen Frauen noch immer schwärt.

Sie macht – so wie er – eine Entwicklung durch. Vom Mann, der „groß und reich“ sein sollte, ist nicht mehr die Rede. Denn sie trifft ihn, und „er hatte nichts“. Er sieht sie und glaubt: „Sie war viel zu schön.“ Er traut sich nicht und sie? „Ich werde weich in Sekunden.“ Sie singen mit märchenhafter, sehnsuchtstriefender Stimme „Es war einmal“. Das ist einfach nur wunderbar, ein herrlich gefühlvolles Zwischenspiel in einer Welt voller Sprach- und Machtlosigkeit, in der viel geredet, aber nicht miteinander gesprochen, nicht aufeinander zugegangen wird – wie sich tagtäglich erleben lässt.  Denn sie fordert „Heirat‘ mich, aber nur ein bisschen, eng mich nicht so ein“. Er steht mit zornig verschränkten Armen motzig rum, ist schon wieder auf Selbstmitleid programmiert, denn „sie kennt dich zu gut… hat immer etwas auszusetzen“.

Was bleibt? Die Erkenntnis „Es sollte wohl nicht wahr sein“. Was noch bleibt: Ein brillantes Quintett mit Sängerin, Sänger, Pianistin, Ausstatterin und Regisseur, das ein unbedingt sehenswertes Meisterstück zärtlich-heiterer Melancholie auf die Hoftheater-Bühne gezaubert hat.

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