Süddeutsche Zeitung

Bergkirchen:Die letzte Vorstellung im Hoftheater Bergkirchen

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Nach knapp elf Jahren und 110 Vorstellungen fällt im Hoftheater der wohl letzte Vorhang für die Piaf

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Am 7. Dezember 2008 war Premiere im Hoftheater Bergkirchen. Am vergangenen Samstag fiel nach knapp elf Jahren und rund 110 ausverkauften Vorstellungen (vorläufig?) der Schlussvorhang für "Edith Piaf - süchtig nach Liebe", ein Musical der speziellen Art von Sebastiano Meli und Wolfgang Wittig. Kurze Szenen und die bekanntesten Chansons der Piaf werfen grelle Spotlights auf das Leben und Leiden von "La Môme Piaf" (kleiner Spatz). Im puristischen Bühnenbild von Ulrike Beckers mit seinem transparenten rosengeschmückten Vorhang, einem Tisch, zwei Stühlen und einem Strauß roter Rosen singt und spielt Janet Bens die Piaf, Ansgar Wilk ihren letzten Ehemann Théo Sarapo. Max I. Milian ist der kongeniale, ausdrucksstarke "Mann am Klavier".

Aber was macht diese Collage so anziehend, dass einige Besucher sich die Hoftheater-Inszenierung ein Dutzend Mal angesehen haben? Weil die Piaf (1915-1963) das personifizierte Chanson ist? Weil sie Getriebene und Antreibende zugleich war? Getrieben von einer unbändigen Lebenssucht, vom Drang nach dem sozialen Aufstieg (Edith Piaf stammte aus mehr als prekären Verhältnissen), von der Sehnsucht nach "La vie en rose", einem Leben auf der rosaroten Wolke, und zugleich abhängig von Schmerzmitteln und Alkohol? Oder weil sie auf der anderen Seite unbekümmert ein Vermögen verschleuderte, mitfühlend und mitleidend war? Weil sie ihre (männliche) Umgebung zugleich tyrannisierte und protegierte?

Es ist von allem etwas, das diese Frau so unvergesslich und unvergleichlich macht. Schließlich vergießen zumindest die Älteren immer noch ein Tränchen, wenn Janet Bens im schwarzen Kleid, aber sonst so gar kein Piaf-Klon, in fast starrer Haltung singt: "Mon Dieu, laissez le moi encore un peu, mon amoureux - Gott, lass mir meinen Geliebten noch ein wenig" oder mit großer Geste und geballter Faust in der Stimme gegen Schicksalsschläge ansingt: "Non, je ne regrette rien - Nein, ich bereue nichts". Was vor fast elf Jahren noch ganz anders klang, eher teeniehaft-motzig, hat sich grundlegend gewandelt, ist zu einer Art Lebensmotto geworden. Ansgar Wilk, Ehemann der Piaf, Erzähler und in Personalunion überzeugender Darsteller etlicher wichtiger Männer in deren Leben, hat den jugendlichen Feuereifer zugunsten einer oft amüsant-ironischen vordergründigen Gelassenheit abgelegt.

So ist es einfach brüllend komisch, wenn er den Missgriff des großen Charles Aznavour in die deutsche Hitparaden-Mottenkiste "Du lässt dich gehen" von 1961 als großartiger Diseuer persifliert. Er überzeugt als aufbrausender Boxweltmeister Marcel Cerdan, die große Liebe der Piaf, oder als wunderbar einfühlsamer Jean Cocteau, der der Piaf verfallen gewesen sein soll. Wilk ist der Chronist des Lebens einer Frau mit einer Stimme, über die die Zeitung Le Monde geschrieben hat: "Ihre geheimnisvolle schwarze Stimme saugt wie schwarze Tinte die Stille des Saals auf". Nicht zuletzt geht Wilk in seiner Rolle als Théo Saporo auf, ist der mal geduldige, mal zornige 20 Jahre jüngere Ehemann einer in aus Prinzip unvernünftigen und unberechenbaren Frau, die trotz Krebserkrankung und schweren Unfällen wild entschlossen ist ihre "Chansons von der Liebe, der Verzweiflung und dem Tod" fast bis zu ihrem Ende zu singen.

Janet Bens singt und spielt dieses in jeder Hinsicht wüste Leben mit solcher Intensität, dass im Publikum stellenweise atemlose Stille herrscht. Regisseur Helmut Müller ist am Ende der Vorstellung so glücklich und ein wenig überwältigt von den Standig Ovations, dass er dem Publikum und seinem Ensemble mit vielen echten roten Rosen für die "Wiederholungstäter" dankt und in Aussicht stellt, dass es "vielleicht doch nicht vorbei ist".

Dabei habe es vor elf Jahren ziemliche Widerstände gegen "Edith Piaf" gegeben, erinnert sich Müller. "Da geht doch kein Mensch rein", habe Janet Bens gesagt. Als ausgebildete Soubrette "muss ich da rumrülpsen, statt zu singen". Im Gespräch mit der SZ Dachau sagt sie am Samstagabend: "Es ist ein Geschenk, dass wir über Jahre eine Rolle spielen konnten, uns und das Stück immer weiter entwickeln konnten. Wir sind zusammen älter und reifer geworden und konnten unser Leben ins Stück einbringen." Und Ansgar Wilk schmunzelt: "Damals hatte ich aber noch kein graues Haar", wird aber ganz ernst als er sagt: "Edith Piaf ist so etwas wie ein Stück Heimat des Hoftheaters". Für Max I. Milian ist dieses Musical "nie zur Routine geworden. Denn diese Musik kommt aus dem Herzen und bewegt die Herzen immer wieder aufs Neue".

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Quelle:
SZ vom 25.11.2019
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