Höschen werden keine auf die Bühne geworfen, niemand fällt in Ohnmacht, und die Musik geht auch nicht im ohrenbetäubenden Kreischen glückseliger Teenager unter, als John Lennon mit großer Geste in die Saiten seiner Gitarre greift: „Eight Days a Week“. Die Beatles-Fans im Auditorium der Bavarian International School (BIS) halten sich nur noch mit Mühe auf den Sitzen, ein Senior im grauen Sakko wippt wild mit dem Oberkörper, die Arme in die Höhe gestreckt, zwischen den Stühlen erheben sich die ersten Damen zum Tanz, die Hüften kreisen, etwas steif, aber sehr energisch.
2024 ist nicht 1964, die Beatles-Fans sind keine Teenager mehr, und die Beatles, die im zum großen Jubiläumsfest des Kulturkreises Haimhausen auftreten, sind auch nicht die Original-Boyband aus Liverpool, sondern die Beatles Revival Band aus Frankfurt am Main. Macht aber nichts. „Die sind besser als die Beatles!“, ruft Sabine Sauer während des Konzerts in die Menge. Die bekannte Fernsehmoderatorin sitzt in einer der vorderen Reihen und darf als Beatle-Expertin bezeichnet werde. Ihre erste Single hat sie sich als Kind vom Taschengeld abgespart, wie sie erzählt. „Roll over Beethoven“, fünf Mark hat das begehrte Stück mit dem grünen Emblem des Odeon-Labels sie gekostet.
Die Band war so gut, dass man ihr angeblich „arglistige Täuschung der Fans“ vorwarf
Später hatte sie Gelegenheit, George Harrison, den „stillen Beatle“, zu interviewen. Sie fragte ihn, wie er es fände, im nächsten Leben als Beatle wiedergeboren zu werden. Harrison soll gesagt haben, er sei froh, dass das jetzt endlich vorbei sei; die Zeit der Beatles sei „geisteskrank“ gewesen. Für die mehrheitlich ergrauten Fans im Saal war es die aufregendste Zeit ihres Lebens, die Zeit der verschwitzten Hände, des Herzklopfens, des ersten Kusses. Das kommt jetzt alles zurück, durch die Ohren. Auch eine Form von Revival.
Die Band macht ihre Sache echt gut. Peter Zettl am Schlagzeug und Claus Fischer überzeugen in ihren Rollen als Ringo Starr und George Harrison, fantastisch besetzt sind Oliver Bicker als Paul McCartney und Christopher Tucker als John Lennon. Beide schaffen es, exakt so zu klingen wie die Originale in ihren jungen Jahren. Die bereits 1976 gegründete Revival Band – heute spielt sie natürlich auch nicht mehr in Originalbesetzung – kolportiert gerne die Geschichte, dass die Plattenfirma der Beatles sie wegen „arglistiger Täuschung der Fans“ gerichtlich verbieten lassen wollte. Ringo Starr soll der Gruppe sogar 500 000 Mark geboten haben, damit sie ihre Gitarren wieder einpacken. Wenn es nicht stimmt, ist es doch zumindest gut erfunden.
„I wanna hold your Hand“ singen sie teilweise auf Deutsch
Im ersten Set hauen die Frankfurter einen Knaller nach dem anderen raus, „From me to you“, „Please, please me“, „Can’t buy me Love“, „Help!“, „I feel fine“, „Here comes the Sun“ und wohl als kleines Dankeschön an das Ü60-Fan-Girl Sabine Sauer „Roll over Beethoven“. Alles sehr nah am Original. Die Musiker tragen im Licht der Bühnenscheinwerfer sogar stilechte schwarze Rollkragenpullis. Die tauschen sie im zweiten Set gegen bunte Hippie-Klamotten und lösen sich peu à peu auch von der Werktreue. „Lady Madonna“ pimpen sie mit einigen Solo-Einlagen zur Rock-Nummer auf.
Und richtig wild wird es, als die Band vorführt, wie es geklungen haben könnte, hätten die Beatles ihre große Karriere erst 40 Jahre später gestartet. Dazu greifen sie auf eine von Cover-Bands eher selten gespielte Nummer zurück, den mit literarischen Referenzen nur so gespickten Song „I’m the Walrus“. Während seine Kollegen mittlerweile in die bonbonbunten Parade-Uniformen von „Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ geschlüpft sind, klettert Chris Tucker im gockelgelben Hoodie auf die aufgetürmten Lautsprecherboxen und hüpft von dort auf die Bühne. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, zieht er wild gestikulierend durch die Stuhlreihen und plärrt ins Mikro: „I am the eggman, they are the eggmen! I am the walrus, goo-goo g’joob!“ Beatles meet Beastie Boys. Letztere sind leider auch schon Geschichte.