Stadtrat:Utopie Barrierefreiheit

Behindertenbeaftragter

Hartmut Baumgärtner ist Behindertenbeauftragter.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Menschen mit Behinderung haben in Dachau mit großen Hindernissen zu kämpfen

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Für Menschen mit Behinderung ist Dachau ein schwieriges Pflaster. Sie stoßen überall auf Hindernisse, auf der Straße, in Restaurants, Cafés, Geschäften genauso wie in öffentlichen Gebäuden wie dem Rathaus. Doch die vielleicht größten Barrieren befinden sich in den Köpfen. Dem öffentlichen Bewusstsein mangelt es an einem Verständnis dafür, was Barrierefreiheit überhaupt bedeutet.

Die Stadträte wollen Dachau barrierefreier machen. Doch dass die Umsetzung schwieriger und vor allem komplexer ist als gedacht, wurde in der Sitzung des Familien- und Sozialausschusses deutlich. Die Mitglieder behandelten einen Antrag der Grünen-Fraktion. Diese forderte, dass die Stadt ein Siegel erstellen soll, das barrierefreie Einrichtungen in der Stadt würdigt. Die Idee dahinter: Da der Stadt selbst Geld fehlt, um in Barrierefreiheit zu investieren, könnte man mit dem Siegel laut Grünen einen "Ansporn" für Geschäfte, Arztpraxen oder Veranstalter schaffen. Damit diese mehr investieren, um ihre Einrichtungen barrierefreier zu machen.

Doch Experten und die Stadtverwaltung zweifelten aus verschiedenen Gründen stark daran, ob die Barrieren so wirklich weniger werden würden. Mit dem Siegel müsste sich die Stadt selbst aktuell ein Armutszeugnis ausstellen, da es kaum barrierefreie Gebäude gibt. "Wir können nicht irgendwas hin kleben und sagen: Das ist jetzt barrierefrei. Barrierefreiheit ist so komplex", sagte Hartmut Baumgärtner, Behindertenbeauftragter der Stadt, in der Sitzung. Er könne ein Siegel wie von den Grünen vorgeschlagen "derzeit" nicht unterstützen. Seine Einschätzung: Ein barrierefreies Dachau sei - "wenn man es realistisch sieht" - ab dem Jahr 2050 möglich.

Baumgärtner verwies darauf, dass Barrierefreiheit mehr bedeutet, als eine Rampe für Rollstuhlfahrer oder eine behindertengerechte Toilette zu installieren. Laut dem Behindertengleichstellungsgesetz sind etwa bauliche Anlagen dann barrierefrei, "wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind". Dass das einschließt, dass blinde oder taube Menschen sich in einem Gebäude ohne Probleme zurechtfinden, wird oft vergessen.

Dass es in Dachau in Sachen Barrierefreiheit Luft nach oben gibt, zeigt sich allein daran, dass laut Baumgärtner nur jede zehnte Arztpraxis barrierefrei ist. "Die anderen könnten zum Teil gar nicht oder nicht wirtschaftlich umgebaut werden." Häufig seien die Praxen angemietet, die Hauseigentümer hätten aber in der Regel kein Interesse, in Barrierefreiheit zu investieren. Grundsätzlich sei es in der Corona-Krise schwierig, Privat- und Geschäftsleute dazu zu bewegen, Geld für Barrierefreiheit auszugeben. Baumgärtner wies in seiner Stellungnahme darauf hin, dass auch öffentliche Gebäude wie das Bezirksmuseum barrierearm sind und auch nicht umgebaut werden können. Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) nannte als Beispiel das Rathaus. Dieses werde auch nicht barrierefrei, "weil der Umbau einfach schwierig ist".

Helmut Esch (Grüne) zog den Antrag seiner Fraktion zurück. Er bat die Verwaltung, sich kundig zu machen, ob es vielleicht "einfachere Mittel" gebe, um teilweise barrierefrei Einrichtungen zu kennzeichnen. Im Gespräch war eine Liste, in der aufgezählt wird, ob es in den einzelnen Gebäuden zum Beispiel eine Rampe für Rollstuhlfahrer oder Wegweiser für blinde Menschen gibt.

Es nicht so, dass gar nichts passiert. Die Stadt versucht, im Rahmen ihrer Möglichkeiten Barrieren abzubauen. In den vergangenen Jahren wurden 103 der 140 bestehenden Bushaltestellen barrierefrei umgebaut. Das allein kostete zwei Millionen Euro.

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