Barockpicknick:Kaffeekantate mit Kühlbox

Die 2000 Besucher des Barockpicknicks erleben nicht nur ein exzellentes Konzert des "Barockensembles Nymphenburg", sie sind auch Teil eines grandiosen bürgerlichen Dramas zwischen Badelatschen und Kristallleuchtern: Beobachtungen aus dem Dachauer Schlossgarten.

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Dringend gesucht: ein schattiger Platz unterm Apfelbaum! Darüber könnten Paula und Friesia, Queen Elizabeth und Gloria Dei, Superstar und Erotika am frühen Freitagabend nur hoheitsvoll lächeln oder frech grinsen. Wenn sie denn Menschen wären. Hinter den verheißungsvollen Namen verbergen sich die Prachtstücke des Dachauer Schlossparks: Rosen über Rosen - in tiefdunklem Rot oder vornehm blassem Rosa, in zartem, hingehauchtem Gelb oder in prallem Orange. Doch die Logenplätze unterm Baum mit Blick auf die Bühne sind längst belegt, die Claims abgesteckt.

Dafür sind allerdings generalstabsmäßige Planung und sehr frühes, geduldiges Anstehen Grundvoraussetzung. Die Menschenschlange vor dem noch verschlossenen Eingang windet sich anakondagleich um Schlossrondell und Parkplatz. Und das nicht nur lange vor, sondern auch noch sehr, sehr lange, nachdem die Kulturamtsmitarbeiter endlich das Startsignal gegeben haben. Etliche Möchtegern-Besucher machen spontan Alternativprogramm: Picknick vor statt hinter dem Schloss. Da entgeht ihnen allerdings das echte Barockpicknick-Feeling und die vierstündige, exzellente Musik mit Sopranistin Judith Spiesser, Bariton Thomas Gropper und dem Barockensemble Nymphenburg.

Endlich kann Kulturamtsleiter Tobias Schneider beruhigt aufatmen: 2000 Menschen haben ihren Platz gefunden, sein ständiger Begleiter, das Regenradar auf dem Smartphone, gibt Entwarnung. Die angekündigten Gewitter ziehen an Dachau vorbei. Was allerdings bedeutet, dass die olfaktorischen Wolken diverser Sonnenspray- und Mückenschutzgerüche weiterhin die auf Rosenduft programmierte Nase beleidigen.

Quasi als Entschädigung bietet sich dem Auge ein kunterbuntes Bild: Junge Damen in eleganter staatsoperntauglicher Robe begegnen älteren Frauen, die so wenig wie möglich am gut gerundeten Körper tragen. Männer mit den unausrottbaren kurzen Schlabberhosen nebst Bierbauch, Socken und Sandalen marschieren im Stechschritt auf den Platz ihrer Wünsche zu, beladen mit Campingstühlen und Kühlbox, während die Gattin die Tupperware-Schüssel mit Nudelsalat wie eine Trophäe vor sich her trägt.

Zwei Herren in stilvollen klassischen Bermudas und Polohemden schlendern lässig durch die Menge, in den Händen einen vornehmen Picknickkoffer und einen silbernen Sektkübel. Unverkennbar Profis. Kinder beweisen, dass sie sich auch ohne Handy unterhalten können - in jeder Beziehung - und machen den Schlosspark zum Abenteuerspielplatz. Man lagert sich auf edlen Kaschmirplaids oder den seit Jahren bewährten Picknickdecken vom Discounter, lässt sich auf Klapphockern oder bequemen Regiestühlen nieder, packt teures Kristall oder schlichtes Plastik aus, verschlingt die Pizza vom Bring-Service oder speist noble Delikatessen, trinkt Wasser, Bier oder Champagner. Wobei sich der große Springbrunnen als ideal für die Getränkekühlung erweist. Es liegt Harmonie in der Luft.

Die wird nur unwesentlich von zwei Vertretern der Mia-san-mia-Fraktion gestört. Er schiebt energisch das bestehende gutnachbarschaftliche Arrangement von Decken und Tischen zusammen, besetzt "sein" Territorium. Sie kommentiert: "Jetzt san mia do." Diskussionen sind völlig sinnlos. Da plaudert man doch lieber mit zwei Kids, die formvollendet fragen: "Gestatten Sie, dass wir hier durch gehen?"

All das ist Teil eines barocken Theaters für alle Sinne, an dem Schlossgärtner Burkhard Fellner, der sich demnächst in den Ruhestand verabschiedet, und sein Nachfolger Stefan Müller erheblichen Anteil haben. Der "Blumenkomponist", wie Fellner von seinen Kollegen genannt wird, schaut entspannt. Auch als sich etliche Picknicker behutsam zwischen den Rabatten niederlassen, das Blumen- und Stauden-Schauspiel aus nächster Nähe zu bewundern. Mit einer Ausnahme: "Ich brauche eine Schere", seufzt eine ältere Frau sehnsuchtsvoll angesichts einiger verblühter Rosen.

Eine Blumenschere gibt es Freitagabend nicht, dafür aber barocke Lustbarkeiten für die Ohren. Bei Johann Sebastian Bachs h-moll-Suite spielt die Technik noch nicht so ganz mit, was sich - ein Hoch auf die hinteren Plätze - in den Tiefen des Schlossparks kaum bemerkbar macht. Die Musiker laufen zu Hochform auf. Sopranistin Spiesser und Bariton Gropper lassen die "Kaffeekantate" zur komischen Oper werden und zur schweren Prüfung für den Kaffee-Junkie, der gerade ohne sein geliebtes Getränk auskommen muss. Es dunkelt, Fackeln flackern im Wind, Kandelaber und Solarleuchten schaffen kleine Inseln in der nun fast intimen Hofgartenwelt. Das Barockensemble verzaubert. Sopranistin und Bariton machen aus Pergolesis "Magd als Herrin" großes Kino mit großen Stimmen, die gebannt zuschauenden Kinder rings um die Bühne werden ganz schnell zu Mitspielern befördert. Das begeistert und steckt an. Feuerwehrleute und Security drehen geradezu entspannt ihre Runden. Leises Geplauder weht wie ein sanfter Nachtwind über die Wege und Beete.

Wer sich jetzt schon auf den Heimweg macht, versäumt Telemanns umwerfend komische Kanarienvogel-Kantate mit Thomas Gropper, Pachelbels zu Herzen gehenden weltberühmten "Kanon", Mozarts "Kleine Nachtmusik" - und Glucks "Reigen seliger Geister". Den Schlussakkord setzt der verdiente Applaus für Musiker und Sänger, die vier Stunden lang den Schlosspark in ein musikalisches Elysium verwandelt haben, Der Beifall gilt ebenso einem Barockpicknick, das heuer seinen Namen mehr als verdient hat. Die Rosen übrigens sollen unbestätigten Gerüchten zufolge jetzt besonders schön blühen, weil Musik auch ihnen gut tut.

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