Süddeutsche Zeitung

Bahnhofsverschönerung:Architekt verschönert schmuddeligen Karlsfelder Bahnhof

Peter Bohn hat im Karlsfelder Bahnhofs eine Unterwasserwelt an den Wänden geschaffen. Das Modellprojekt der Bahn soll die Menschen in Heiterkeit versetzen.

Von Christiane Bracht, Karlsfeld

Die zahlreichen Beschwerden der Karlsfelder haben Wirkung gezeigt. Die Unterführung zu den S-Bahngleisen fanden viele so abschreckend, dass manch einer sich lieber ans Steuer seines Wagens gesetzt hat, anstatt da hindurch zu laufen. Vor allem nachts fühlten sich die Karlsfelder dort unwohl, so die Umfragen der Bahn. Aber auch sonst beklagten die Fahrgäste wie dunkel und schmuddelig der lange schmale Tunnel bis zum Bahnsteig sei. Zudem funktionierte der Aufzug fast nie, ganz zu schweigen vom üblen Geruch. Der Karlsfelder Bahnhof bildete in allen Kundenumfragen immer das Schlusslicht im MVV-Gebiet. Seit kurzem ist das anders: Die Leute kommen freiwillig und schauen. Immer wieder hört man: "Das ist ja toll geworden" oder "sieht schick aus". Architekt Peter Bohn hat im Auftrag der Bahn eine fantasievolle Unterwasserwelt im südlichen Tunnel geschaffen. Es ist ein Modellprojekt.

Um die Attraktivität der Bahnhöfe zu erhöhen, investierte "DB Station & Service" 2018 rund 23 Millionen Euro und ließ mehr als 100 große und kleine Bahnhöfe in ganz Deutschland verschönern, berichtet Bahnsprecher Michael-Ernst Schmidt. Dabei sollte vor allem Sauberkeit und Sicherheit der Stationen verbessert werden. Im Münchner S-Bahnbereich hat man sich neben dem Wiesnbahnhof an der Hackerbrücke für die viel kritisierte Station in Karlsfeld entschieden. Ob irgendwann noch weitere folgen werden, ist offen.

Peter Bohn hat jedenfalls mit diesen beiden Projekten, seinen Ruf als "Bahnhofsgestalter" weiter ausgebaut. Nach Trudering und Fröttmaning baut er derzeit auch am Sendlinger Tor und gestaltet den Bahnhof Hamburg Dammtor um. "Wir hatten extremen Kostendruck", sagt er in Bezug auf die Karlsfelder Unterführung. Wie hoch das Budget genau war, darüber hüllt sich die Bahn in Schweigen.

Noch ist in dem 85 Meter langen Fußgängertunnel nicht alles so, wie es sein soll. Im Vorraum vor dem Lift hängen noch Kabel aus der Wand, Spanplatten müssen verkleidet werden, außerdem fehlen noch einige Lichter, aber das Gesamtkunstwerk ist schon gut erkennbar. Ende Januar will Bohn mit seiner Umgestaltung fertig sein.

Doch warum eine Tiefseewelt? Karlsfeld liegt nicht am Meer. "Wir wollten eine Geschichte erzählen, die die Menschen in Heiterkeit versetzt", sagt der Münchner Architekt. Das "Eintauchen in den Tunnel" hat ihn wohl auf die Idee gebracht. Doch Bohn wollte keine reale Welt und so hat sein Team monatelang recherchiert, um historische Unterwasserwesen ausfindig zu machen. Klar, sind dazwischen auch Frösche und Zebrabarben zu erkennen, aber die siebenköpfige Hydra mit dem langen Schwanz dürfte es sicher nicht geben, ebenso den großen, fast schon kugelförmigen Fisch mit Stacheln wie bei einem Igel. "Es sind Naturdarstellungen aus dem späten 18. Jahrhundert, etwas Linné-artig. Auch manch skurrile Wesen sind darunter", sagt Bohn. "Es sollte märchenhaft wirken und lustig sein." Auf jeden Fall ziehen die etwas wunderlichen Tiere die Blicke der Passanten auf sich. Manch eine Mutter bleibt mit ihrem Kind stehen und betrachtet die Wände der Unterführung genau, denn es gibt einiges zu entdecken. Wer genau hinschaut, sieht mal einen Schuh an der Angel hängen oder eine zerbrochene Flasche am Meeresboden, auch Frösche hüpfen durch das Bild und schemenhafte Taucher schweben an die Oberfläche - immer wieder ein Bezug zum Jetzt, aber auch zum Raum.

Um den Eindruck des erdrückend schmalen engen und niedrigen Tunnels zu beseitigen, hat Bohn künstliche Oberlichter geschaffen, die auch bei Nacht von LEDs erleuchtet werden. Auf diese Weise wird die Unterführung in Abschnitte gegliedert und deutlich heller als früher. Um auch die Jugend anzusprechen, hat der Architekt die Wände unterschiedlich gestaltet. Eine Seite ist hell, die andere dunkel. Die Meerestiere dort sind verpixelt, sie korrespondieren jedoch mit denen der hellen Seite. "Es soll wie in einem Computerspiel wirken", erklärt Bohn. Die Unterwasserwelt ist auf einer Folie aufgedruckt, die mit Hitze an die gekachelte Wand geklebt wurde. "Die Oberfläche ist so robust, dass sie unbeholfene Aneignungsversuche gelassen erträgt", sagt Bohn. Die ersten Aufkleber sind allerdings schon da.

Neu gestaltet ist auch der Vorraum zum Lift. Um den beißenden Geruch zu beseitigen, "haben wir den Boden mindestens einen halben Meter tief ausgegraben", erklärt der Architekt. Der Kiosk ist nun weg, viel Unrat ebenfalls, darunter auch Spritzenbestecke. Bohn hat das dunkle Eck geöffnet, damit sich niemand mehr dort verstecken kann. Die Wände werden entsprechend dem Motiv gerade mit einer verspiegelten Schuppenoptik verkleidet. Wartebänke und Fahrpläne sollen noch aufgestellt werden. Durch die Spiegel hat man das Gefühl, der Raum ist weit. "Es hat Spaß gemacht", sagt der Bahnhofsgestalter.

Einziges Manko für die Karlsfelder: Ihr Traum vom neuen Kiosk am Bahnhof ist nun wohl endgültig ausgeträumt.

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Quelle:
SZ vom 11.01.2019
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