Avantgarde-Kunst in Dachau:Lizenzierte Lichtspiele

Die Dachauer Galerie Lochner zeigt Grafiken und Objekte des berühmten Avantgarde- Künstlers Heinz Mack. Die Werkschau hat der 88-Jährige persönlich autorisiert

Von Gregor Schiegl, Dachau

Die Tür zur Galerie Lochner steht weit offen, draußen rattern die Autos übers Pflaster der Altstadt. Noch sind die Spuren der vergangenen Ausstellung nicht ganz verflogen. In dem kleinen Raum hängt noch eine herbe ätherische Note, ein letzter olfaktorischer Nachklang der mit Duftstoffen präparierten Holzmasken zur KVD-Ausstellung "Raus", die hier noch bis vor wenigen Tagen zu sehen war und noch immer ganz leicht zu riechen ist. Aber wenn man ehrlich ist: Hätte Galerist Josef Lochner einen nicht gefragt, ob man noch was rieche, man hätte wahrscheinlich gar nichts bemerkt.

Das hat auch damit zu tun hat, dass die Wände bereits mit neuen Kunstwerken bestückt sind, die in ihrer intensiven Farbkraft sofort alle Sinne des Betrachters auf sich ziehen. Hätten die Bilder einen Geruch, sie würden einen mit intensiven Sommerdüften anwehen: Meeresbrise, Klatschmohnwiesen und staubiger Sonnenuntergang. Nur ohne Meer, Wiese und Sonne, denn hier geht es - nach der sehr gegenständlichen Alex-Katz-Ausstellung- wieder ganz abstrakt zu. Ein Bukett aus Licht und Farbe zeigt die neue Werkschau mit Grafiken, geschaffen von keinem Geringeren als Heinz Mack, dem Mitbegründer der internationalen Avantgardebewegungen Zero.

Mit Günther Uecker hatte Galerist Josef Lochner kürzlich schon mal einen namhaften Vertreter der Künstlergruppe zu Gast in seinem kleinen Showroom. Heinz Mack gründete die Gruppe 1957 zusammen mit Otto Piene. Der Name Zero verdeutlichte den Wunsch in der Nachkriegszeit, radikal neu anzufangen, nicht nur politisch, sondern auch künstlerisch-ästhetisch. Noch heute wirken die Werke dieser Bewegung frisch und zeitgemäß, was auch daran liegen mag, dass die Zero-Künstler sich oft mit sehr grundlegenden und daher zeitlosen Fragen auseinandergesetzt haben.

Avantgarde-Kunst in Dachau: Die "Dreieinigkeit" fokussiert sich auf die Primärfarben.

Die "Dreieinigkeit" fokussiert sich auf die Primärfarben.

(Foto: Toni Heigl)

Heinz Macks zentrales künstlerisches Thema ist das Licht, das er mit einer geradezu faustischen Zielstrebigkeit erforscht. Selbst in die Sahara und in die Arktis ist er gereist, um mit ausgefuchsten künstlerischen Versuchsanordnungen dem Licht seine verborgenen Geheimnisse zu entlocken. Licht ist ein Mega-Thema der Menschheit, das kann man ohne Übertreibung sagen, ohne Licht gibt es kein Leben, von ein paar sehr spezifisch angepassten Kleinstlebewesen mal abgesehen, erst Licht macht die Welt für uns sichtbar, die Dinge darin und vor allem den Raum drum herum. Wenn es stockfinster ist, sieht alles aus wie eine verriegelte Rumpelkammer. Macks abstrakte Skulpturen und Grafiken sind Medien, in denen das Thema Licht sich manifestiert und in all seinen Facetten auffächert.

Der Siebdruck "Feuer" aus der Serie "Vier Elemente" meißelt aus dem diffusen Orange des Hintergrunds ein quaderförmiges Stück reinster Hitze, die Ränder glimmen rot, die mittleren Bereiche glühen gelb, der heiße Kern strahlt fast weiß. In einer Reihe von Porzellankeramiken stapelt Mack schiefe Quader, mal von Hellblau zu Dunkelblau, mal von Grün zu Gelb, und demonstriert dabei spielerisch, wie Helligkeit und Dunkelheit auch Einfluss nehmen darauf, wie massiv oder leicht unser Auge die Objekte der entsprechenden Farbe wahrnimmt. Das hat Studiencharakter, aber wie bei einer Etüde in der Musik auch eine ästhetische Anziehungskraft, die nicht zuletzt daher rührt, dass Mack es versteht, Licht und Farbe in Strukturen zu gießen, die eine reizvolle Balance finden zwischen kühler Abstraktion und zarter Komposition. Farbverläufe und Überschneidungen mildern die bisweilen geradezu mathematisch anmutende Formstrenge wieder ab oder lösen sie auf in einem harmonischen Farbakkord.

Der Vergleich mit Akkorden und Etüden kommt nicht von ungefähr. Macks größte ausgestellte Arbeit ist der Druck "Klaviatur", der zwei Reihen von Klangfarben darstellt, unten linke Hand, oben rechte Hand, jedes senkrechte Stäbchen wie ein Fingeranschlag, in dröhnendem tiefem Blau, in pastelligem Piano oder in einem leichten gelben Lauf. Mack hat Musikalität wie ein Paul Klee, und er hat Rhythmus. Das ist eine weitere Dimension im Werk von Heinz Mack: die Dynamik, die Bewegung - eine fast ebenso zentrale Kategorie des Lebens wie das Licht.

Avantgarde-Kunst in Dachau: "Idee und Materie" finden in diesem Edelstahlobjekt zusammen.

"Idee und Materie" finden in diesem Edelstahlobjekt zusammen.

(Foto: Toni Heigl)

Das imposante 1,80 auf 1,40 Meter große Bild musste mit dem Lastwagen in der Galerie Lochner angeliefert werden. Es ist nicht nur sperrig, sondern auch ungewöhnlich schwer. Dieses Gewicht hat mit der Kunstfertigkeit zu tun, mit der es hergestellt wurde.:Nicht weniger als 120 Siebe kamen zum Einsatz, um diese XXL-Grafik in 50-Stück-Auflage herzustellen, wobei es wohl das Geheimnis des Druckers Peter Wilms bleibt, wie er die Farbflächen so plastisch auf das Büttenpapier gebracht hat. Stellenweise sehen sie so pastös aus wie mit Ölfarbe gemalt, sogar den Strich von Pinselborsten findet man, ja, im haarscharfen Detail in der Oberfläche.

Mit 13 Grafiken, fünf Objekten und elf weiteren Drucken in einem Präsentierständer bildet die Ausstellung freilich nur einen kleinen Ausschnitt aus dem außerordentlich umfangreichen Werk von Heinz Mack ab. Zu seinen Werken gehören auch vibrierende Lichtreliefs, kinetisch arbeitende Rotoren, monumentale Lichtstelen oder lichtreflektierende Kuben. Einige dieser Objekte stehen unter freiem Himmel, nehmen das Sonnenlicht auf und erschaffen Skulpturen aus Licht. Doch auch im Kleinen ist Mack große Kunst, sogar dort, wo er auf Farbe verzichtet. Etwa in seinen Schwarzweiß-Linolschnitten.

Mack selbst wird die Ausstellung in Dachau nicht besuchen, der berühmte Künstler ist mit 88 Jahren inzwischen auch nicht mehr der Jüngste. Von der Ausstellung in Dachau weiß er aber, er hat die Schau höchstpersönlich autorisiert. Eine Selbstverständlichkeit ist das nicht. "Ich habe schon mitbekommen, dass er nicht allen eine Autorisierung erteilt", sagt Galerist Josef Lochner. Seitdem die Werke der Gruppe Zero schon als Klassiker der Moderne gelten, werden sie auch am Kunstmarkt mit enormen Summen gehandelt. Mack wehrt sich gegen den "Ausverkauf" der Kunst, wie er vor drei Jahren in einem Interview mit der Welt sagte.

Avantgarde-Kunst in Dachau: Macks Porzellankeramiken wirken je nach Farbe unterschiedlich groß und schwer.

Macks Porzellankeramiken wirken je nach Farbe unterschiedlich groß und schwer.

(Foto: Toni Heigl)

Seine Werke kann man in der Galerie Lochner zwar auch kaufen, bei 3000 Euro geht es los, aber wer Josef Lochner kennt, weiß, dass die Begeisterung der Besucher für ihn der größte Lohn ist. Für die Präsentation der Werke mit einer stimmigen Hängung war diesmal der Dachauer Grafiker Heiko Klohn zuständig. Das ist ein gutes Aufwärmtraining: In der kommenden Woche, am Freitag, 13. September, werden in Dachau zwei Ausstellungen von ihm eröffnet: "Spuren" in der KVD-Galerie und die Gemeinschaftssausstellung "Expedition Nord 2.0" in der Kleinen Altstadtgalerie. Und man kann sicher sein, dass man den Künstler dort auch zu Gesicht zu bekommen wird.

Heinz Mack, Ausstellung in der Galerie Lochner, Konrad-Adenauer-Straße 7, Dachau, mit Grafiken und Objekten. Zu sehen von 7. September bis 17. November. Öffnungszeiten: Donnerstag, 16 bis 19 Uhr, am Tag der Deutschen Einheit, 3. Oktober, 14 bis 17 Uhr, Samstag, 12 bis 15 Uhr und Sonntag, 14 bis 17 Uhr.

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