Autokonzert mit den Grizzlies:Dachau leuchtet

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Mit Lichthupe und Blinker-Choreografie bestreiten die Grizzlies und Sascha Seelemann Bayerns erstes Autokonzert auf der Ludwig-Thoma-Wiese. Sowohl für die Band als auch die Zuschauer ist es ein Open-Air-Erlebnis der besonderen Art. Manche kommen sogar mit Discokugel im Fahrzeug

Von Andreas Förster, Dachau

Der Freitagabend mit den Grizzlies ist ein historischer Auftakt zu einem Dachauer Musiksommer der völlig anderen Art: Das erste Auto-Live-Konzert im Freistaat, mit einem, man kann es nicht anders sagen, seligen Sänger Sascha Seelemann, der einfach nur glücklich ist, nach zwei Monaten Zwangspause gemeinsam mit seiner Band wieder live und vor Publikum Musik machen zu dürfen. "Fuck Corona", ruft er den Zuschauern zu, "hier ist das Autokonzert Dachau. Jetzt hauen wir richtig einen raus. Es ist für uns eine Riesenehre, hier auftreten zu dürfen." Der Entertainer, der schon seit vielen Jahren bei Bayern 3 moderiert, ist gleich auf Betriebstemperatur. Sein Dank geht an Kulturamtsleiter Tobi Schneider, "den geilsten Typen der Welt". Das Kulturamt hatte die Idee zur Drive-in-Konzertreihe, deren Events teilweise schon ausverkauft sind.

Als die Zuschauer vor Begeisterung zu hupen beginnen, muss Seelemann die Stimmung etwas dämpfen: "Nur Lichthupe heute Abend", stellt er klar, "erst am Ende könnt ihr hupen, wenn's euch gefallen hat." Die Anwohner rund um die Thoma-Wiese haben es sicher dankbar zur Kenntnis genommen. Stattdessen forderte er die Zuschauer in ihren Autos auf, seiner Blinker-Choreografie zu folgen: "One step left - ihr blinkt links, one step right - ihr blinkt rechts." Dachau leuchtet, auf der Bühne und davor.

Die Musik wird per Autoradio übertragen - für Besitzer guter Soundsysteme ein echter Genuss. (Foto: Toni Heigl)

Während des Open-Air-Konzerts setzt leichter Nieselregen ein. Vielen Zuschauern, die sich für den Auftakt des Dachauer Musiksommers ein Ticket gesichert haben, wird vielleicht erst jetzt bewusst, dass ein aufgrund der Corona-Beschränkungen kurzfristig organisiertes Drive-In-Konzert auch Vorteile haben kann: Man bleibt in jedem Fall trocken. Zum Glück verzieht sich der Niesel schnell wieder, so dass der Sound der Band nicht durch Scheibenwischergeräusche oder prasselnde Regentropfen auf dem Dach gestört wird.

Die Zuschauer bekommen bei der Einfahrt von den Ordnern nicht nur ihren Platz zugewiesen, sondern auch die UKW-Frequenz mitgeteilt, unter der das Live-Konzert im eigenen Autoradio empfangen werden kann. "Die Frequenz haben wir frühzeitig bei der Bundesnetzagentur für die neun Auftritte des Musiksommers reserviert", sagt Veranstalter Tobias Schneider. "In Zeiten wie diesen sind UKW-Frequenzen wieder sehr begehrt." Außerdem wurden zwei UKW-Sender extra aus Italien herbeigeschafft, die das Signal im Nahbereich um die Sender abstrahlen. So kommt der Sound der Band pur und ungefiltert ins Auto. Wer die Fenster öffnet, hört ab einer gewissen Entfernung nur das schallverzögerte Schlagzeug Ben Davidsons und Michael Wagners Gitarrenriffs, Ludwig Klöckners Bass und Seelemanns Piano gar nicht und die Vocals lediglich "unplugged". Im Auto wiederum ist der Klang, je nach Qualität des Soundsystems, glasklar wie von CD. Die Unmittelbarkeit des Hörerlebnisses zeigt einmal mehr, wie gut die Grizzlies als Band tatsächlich sind. Jeder Ton sitzt, sei es stimmlich oder vom Instrument.

"Fuck Corona!" Sascha Seelemann & The Grizzlies drehen beim ersten Autokonzert des Dachauer Musiksommers ordentlich auf. Die Anwohner bekommen davon allerdings so gut wie nichts mit. (Foto: Toni Heigl)

Mit zunehmender Konzertdauer fangen die Zuschauer in ihren Autos an mitzuklatschen, zu grooven und zu shaken, so dass die Fahrzeuge teilweise bedenklich zu schaukeln beginnen. Einer hat in seinem offenen Transporter eine Discokugel aufgehängt, andere johlen nach jedem Song oder strecken ihre Arme aus den Fenstern, um ihrer Begeisterung Ausdruck zu verleihen. Seelemann & Co. lassen keinen ihrer "Hits" aus. Sie sind ja keine klassische Coverband, sondern spielen abwechselnd Blues-Rock, Soul, Funk, Jazz und Pop mit Klassikern von den Temptations, Jimi Hendrix, den Jackson Five oder einfach nur außergewöhnliche Songs von Blues-Sänger und Gitarrist John Mayer oder Jamie Cullum, die eines gemeinsamen haben: mega viel Feeling. Dabei lassen sie sich vom Original inspirieren und filtrieren daraus ihren ganz eigenen Stil. Wie zum Beispiel bei ihrer Version von Jamie Cullums Cover von Rihannas "Don't Stop the Music", einer groovigen Ballade mit viel Kuschelpotenzial, zu der hier und da die Rückenlehnen in die Waagerechte geklappt werden. Auch das ist ein Vorteil des Autokonzerts: Man kann es sich, je nach Stimmung, gemütlich machen, mit dem Nebenmann etwas trinken, was man sich zuvor selbst mitgebracht hat - jedes Ticket gilt für zwei Erwachsene. Das ist billiger als bei einem normalen Konzert. So ein Drive-In-Konzert ist zwar eine aus der Not geborene Alternative, aber beileibe keine schlechte.

© SZ vom 25.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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