Süddeutsche Zeitung

Videokunst-Projekt der KVD:Dachau flimmert

Lesezeit: 4 Min.

Nach ihrer Freiluftausstellung "Raus" bringt die KVD mit ihrer Aktion "Einblicke" nun auch Videokunst in den öffentlichen Raum der Stadt: Bis 18. Dezember werden in sieben Fenstern sieben unterschiedliche Arbeiten von Künstlern gezeigt. Irritationen der Zuschauer sind einkalkuliert.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Da ist Frauchen! Mit wedelndem Schwanz umrundet der Hund die dicht gedrängte Menschenmenge und läuft auf seine Besitzerin zu. Der Bewegungsmelder an der Medienrückgabe reagiert sofort: Das Licht geht an, vor der Stadtbücherei wird es taghell. Der Animationsfilm, der gerade noch durch das Oberlicht der Bücherei flackerte, sieht auf einmal sehr blass aus. So ist das mit der Kunst. Sie braucht Licht, um wahrgenommen zu werden. Aber eben an der richtigen Stelle.

Um ihr neues Projekt vorzustellen, hatte die Künstlervereinigung Dachau (KVD) extra bis nach 17 Uhr gewartet. Ein ganzer Pulk von Leuten ist gekommen, dazwischen erblickt man auch den Oberbürgermeister der Stadt, Florian Hartmann. Ihn geht dieser Termin schon qua Amt etwas an. Schließlich geht es bei diesem Projekt auch um "eine digitale Erweiterung unseres Stadtbildes" , wie es auf der Homepage der KVD heißt.

Bis Sonntag, 18. Dezember, zeigt sie unter dem Titel "Einblicke" am Max-Mannheimer-Platz und in der Altstadt ausgewählte Videokunstwerke in Dauerschleife: sieben Filme in sieben Fenstern, die nach Einbruch der Dunkelheit zu leuchtenden Schau-Fenstern werden. Ein Blick in eine andere Welt soll es sein und eine Präsentation der großen kreativen Bandbreite dieser Kunstform, die in Dachau bislang sicherlich nicht überrepräsentiert gewesen ist, was - wie sich noch zeigen soll - wohl auch an manch ganz profanen technischen Gründen liegen könnte.

Flotter Kick mit dem Heiligenschein

Auf thematische Vorgaben habe man bewusst verzichtet, sagt Johannes Karl, Vorsitzender der KVD. Auch die Form hätten die Künstler frei wählen können. Entsprechend bunt ist die Palette. In seiner eigenen Arbeit mit dem Titel "Stafette" erlebt man Fußball in einer vergnüglicheren Form als derzeit bei der WM in Katar. Figuren aus berühmten Gemälden kicken dort mit einem Heiligenschein, der einem frommen Mann vom Haupt gepurzelt ist. Julian Frank verhandelt in seinem dystopischen 3D-Animationsfilm "Notalker" den drohenden Verlust individueller Identität in der digitalen Konsumwelt.

Und wieder etwas ganz anderes ist "Die große Treppe im Hafen von Odessa". Norbert Gaisbauer und Lothar Reichel haben darin alte Nachrichtenbilder zusammengeschnitten, vom Ende der Ära Gorbatschow 1992 und Szenen aus dem Filmklassiker "Panzerkreuzer Potemkin". Trotz der wackeligen Schwarzweißoptik: Es ist ein hochaktueller Beitrag zur politischen Situation in der Ukraine und der Russischen Föderation. Es gibt auch einen handgezeichneten Film von Florian Marschall: ein Standbild des Himmels - zusammengesetzt aus 24 Einzelszenen. Und weil kein Bild ganz exakt ist wie das andere, flirrt das Motiv. Der Sternenhimmel bekommt etwas Unstetes wie im Winde wirbelnde Winterflocken. Einfach schön.

Wichtig war den Organisatoren, dass die Filme nicht zu lang sind, erläutert Johannes Karl, man solle sie auch "im Vorbeigehen" anschauen können. Im sehr langsamen Vorbeigehen, sollte man hinzufügen, denn eine Minute muss man sich bei den meisten Schaufenstern schon Zeit nehmen, wenn man mehr mitnehmen will als nur einen flüchtigen Eindruck.

Doch für die Videoarbeit "_STILL_Kuss" von Agnes Jänsch dürfte auch diese Zeit nicht ausreichen. Im Fenster über dem Eingang des Studentenwohnheims wird der Film eines sich küssenden Paares ausgestrahlt. Es ist ein sehr langer Kuss, selbst für Frischverliebte. 6:20 Minuten dauert die gesamte Sequenz, ohne dass die beiden einmal die Lippen voneinander lösen. Mit fortschreitender Dauer wirkt die Szene immer angestrengter und befremdlicher. Hat das Mädchen statt Lipgloss Sekundenkleber aufgetragen? Zwingt der Bursche die sich Windende zu dieser Endlosknutscherei? Man erfährt es nicht.

Dem KVD-Vorsitzenden Johannes Karl ist bewusst, dass es sich bei dem ganzen Projekt um eine künstlerische Versuchsanordnung mit offenem Ausgang handelt. Er sei gespannt, wie die Leute darauf reagierten, sagt er. Ob es ihnen gefalle. Ob sich Irritationen einstellen. Oder ob die Videos einfach ignoriert würden. Letzteres wäre natürlich schade, die Vorbereitungen zu diesem Projekt laufen bereits seit Mai 2021. Eineinhalb Jahre sind keine Kleinigkeit.

Film und Fenster haben nicht immer dasselbe Format

Man darf annehmen, dass die Idee schon früher keimte. 2019, zu ihrem 100-jährigen Bestehen, hatte die KVD das Stadtgebiet schon einmal mit Kunstwerken bespielt. "Raus" nannte sich die Freiluftausstellung damals. Die Resonanz war enorm, bisweilen auch kontrovers, was an sich schon als Erfolg gewertet werden muss. Daran versucht die Künstlervereinigung mit ihrem Videokunst-Projekt "Einblicke" anzuknüpfen: "Raus aus den Galerien, rein in die Welt", sagt Karl, das sei auch diesmal die Idee gewesen.

Man muss an dieser Stelle auch an eine Debatte erinnern, die es vor knapp zwei Jahren im Stadtrat gab. Das Bündnis für Dachau hatte beantragt, die Fassaden der Altstadt mit kunstvollen Lichtprojektionen zu illuminieren, wie dies schon viele andere Städte tun. Der Antrag fiel durch: zu groß, zu teuer, zu aufwändig. Auch in der KVD war man eher skeptisch.

Das nun aufgesetzte Videokunstformat entwickelt allerdings mehr Strahlkraft als erwartet. Die bunten Bilder, die aus den Fenstern strahlen, projizieren sich oft noch großflächig an die Fassaden der gegenüberliegenden Häuser. In gewisser Weise hat Dachau nun also doch sein Lichtspielprogramm bekommen, wenn auch nur als unscharfer Abglanz.

Aufwändig ist das Ganze aber selbst in diesem vergleichsweise kleinen Format: Es reicht ja nicht, sieben schöne Filme zu produzieren, man muss auch noch sieben Filmprojektoren auftreiben und geeignete Standorte für sie finden. In der Theorie ist das keine große Sache, aber in der Praxis ist das alles doch sehr kompliziert, und der Bewegungsmelder vor der Bücherei zeigt, dass sich manche Tücken quasi erst in letzter Sekunde zeigen. "Wir haben auch festgestellt, dass die Fenster aus irgendeinem Grund nicht alle das Format 16:9 haben", sagt Johannes Karl mit trockenem Humor. Im Kulturamt ist das Fenster sogar mehr hoch als breit, da kann man eigentlich nur einen Ausschnitt vom Film zeigen: Handybild statt Kinoleinwand. Aber auch das hat seinen Reiz. Dachau zeigt sich jetzt in einem anderen Licht.

"Einblicke": Videokunst-Aktion der KVD in den Fenstern der Stadtbücherei Dachau und des Studentenwohnheims am Max-Mannheimer Platz 4, im Kulturamt, in der Galerie Lochner, bei Hello Dachau, Stepper Architekten und in der Kleinen Altstadtgalerie. Zu sehen von Mittwoch bis Sonntag jeweils von 17 bis 22 Uhr, bis 18. Dezember. Mehr Details auf kavaude.de .

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