Ausstellung :Späte Erinnerung

70 Jahre nach dem Dachauer Aufstand und zwei Jahrzehnte nach dem Buch "Die Sechs vom Rathausplatz" von Hans Holzhaider eröffnet Oberbürgermeister Florian Hartmann eine Ausstellung über den Widerstand gegen die Nazis.

Von Benjamin Emonts, Dachau

"Tua dein Kopf weg, Hilde, mia ham an Aufstand." Dieses Zitat ziert die Außenfassade des großen begehbaren Kubus, der neuerdings vor dem Dachauer Rathaus steht. Es stammt vom 28. April 1945. Der Volkssturmmann Lorenz Scherer wollte Hörhammer-Wirtin Hilde Mühlbauer warnen. Tatsächlich lagen etwa eine Stunde später sechs tote Männer auf dem Sparkassengelände - erschossen von der SS. Um elf Uhr vormittags endete der Dachauer Aufstand.

Auf den Tag genau 70 Jahre später steht Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) auf dem Rathausplatz und eröffnet die erste Ausstellung überhaupt zum Dachauer Aufstand. Sie ist gewissermaßen der originäre Beitrag der Stadt Dachau zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers. Etwa 50 Gäste sind zu ihrer Eröffnung gekommen, darunter zwölf Stadträte, der Landtagsabgeordnete Martin Güll (SPD), Altoberbürgermeister Lorenz Reitmeier, Vertreter der zeitgeschichtlichen Institutionen und Vereine der Stadt sowie der antifaschistische Verein Freiraum e.V.

Ausstellung : 70 Jahre nach dem Dachauer Aufstand informieren sich die Ausstellungsbesucher über den NS-Widerstand.

70 Jahre nach dem Dachauer Aufstand informieren sich die Ausstellungsbesucher über den NS-Widerstand.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Güll betritt den Ausstellungsraum, einen drei auf drei Meter großen, weiß lackierten Kubus. Im Innern hängen elf Banner, die mit Texten und Bildern die einzelnen Aspekte des Aufstands dokumentieren. Güll ist von dem, was er sieht und liest, überrascht. "Den Dachauer Widerstand habe ich in seiner Kompaktheit so bislang nicht wahrgenommen", sagt er. "Es ist gut, dass die Erinnerung daran hier in Dachau zurückgeholt wurde."

Wie Güll wissen viele Dachauer nur rudimentär über den Aufstand Bescheid. "Es hat viel mit dem Verhältnis des offiziellen Dachau zur Lagergeschichte und zur KZ-Gedenkstätte zu tun, dass diese Ereignisse lange Zeit aus der lokalen Erinnerung weitgehend verdrängt wurden", erklärt Jürgen Zarusky vom Institut für Zeitgeschichte München in seiner Eröffnungsrede. Lediglich in den ersten Nachkriegsjahren sei der Gefallenen des Dachauer Aufstands aktiv gedacht worden. Zum einen am 5. November 1946, als der Dachauer Stadtrat beschloss, sechs kleine Straßen in Dachau-Süd nach den verstorbenen Widerständlern zu benennen. Zum zweiten im September 1947, als eine (eher unauffällige) Gedenktafel am Rathausplatz enthüllt wurde.

Ausstellung : Der Historiker Jürgen Zarusky schilderte die Geschehnisse, die sich am 28. April 1945 zutrugen.

Der Historiker Jürgen Zarusky schilderte die Geschehnisse, die sich am 28. April 1945 zutrugen.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

In der Folgezeit aber wurde über den Dachauer Aufstand geschwiegen. "Bis", so der Historiker Jürgen Zarusky, "einige Journalisten der Süddeutschen Zeitung, Kurt Kister, Hans-Günter Richardi, aber allen voran Hans Holzhaider, den Aufstand in den 1980er Jahren zurück ins Gedächtnis gebracht haben." Holzhaider hat zum Dachauer Widerstand die Broschüre "Die Sechs vom Rathausplatz" in den achtziger Jahren während seiner Zeit als Redakteur der SZ Dachau geschrieben. Die Ausstellung hat er, basierend auf seinen Recherchen, konzipiert. Das Ergebnis ist eine eindrucksvolle und kompakte Dokumentation des Dachauer Aufstands. Die Ausstellung - die Idee entstand, als Hans Holzhaider 2014 den Hermann-Ehrlich-Preis vom Bündnis für Dachau überreicht bekam - ist bis zum 15. Mai täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet.

Ausstellung : Etwa 50 Gäste kamen am Dienstagabend zur Eröffnung der Ausstellung "Dachauer Aufstand".

Etwa 50 Gäste kamen am Dienstagabend zur Eröffnung der Ausstellung "Dachauer Aufstand".

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Was also geschah am 28. April 1945? Jürgen Zarusky skizziert die Ausgangsposition. Demnach steht der Einmarsch der Amerikaner unmittelbar bevor. In Dachau bilden sich "drei Verschwörungen, um Dachau zu retten", so schreibt Hans Holzhaider. Ihnen gemein ist das Ziel, die NS-Führung in Dachau abzusetzen und den Amerikanern die Stadt kampflos zu übergeben. Der Sozialdemokrat Jakob Schmidt und sein Freund, der Glasmaler Syrius Eberle, führen eine der Widerstandsgruppen an. Zwei Wochen vor Kriegsende gelingt es ihnen gemeinsam mit Georg Andorfer, der bis 1933 den demokratischen "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" geführt hatte, 40 Mann zu mobilisieren, darunter eine Gruppe geflohener KZ-Häftlinge. Die Kommandeure des Dachauer Volkssturms, der die Stadt gegen die einrückenden Amerikaner verteidigen soll, signalisieren ihre Bereitschaft, am Umsturz teilzunehmen. Hinzu kommt die Gruppe um Georg Scherer, einem Linkssozialisten, der von 1935 bis 1941 selbst im KZ inhaftiert war.

"Es war ein wirkungsvolles, konspiratives Netzwerk entstanden", fasst Zarusky zusammen. Am 28. April gelingt es den Aufständischen zunächst, kampflos das Rathaus zu besetzen. Die schicksalhafte Wendung des Umsturzversuchs führt ein im Hörhammerbräu stationierter, hoher SS-Offizier herbei. Er alarmiert drei kampferprobte, im KZ stationierte SS-Garnisonen, die den Aufstand blutig niederschlagen. Der Dachauer Hans Pflügler und der österreichische KZ-Häftling Erich Hubmann fallen im Kampf. Der eingangs zitierte Volkssturmmann, der Schwabhausener Lorenz Scherer, wird noch am Rathausplatz erschossen ebenso wie die KZ-Häftlinge Anton Hackl und Friedrich Dürr sowie der Volkssturmmann Anton Hechtl.

An der Gedenktafel am Rathausplatz, die den "Sechs vom Rathausplatz" 1947 gewidmet wurde, legte Oberbürgermeister Florian Hartmann im Namen der Stadt Dachau einen Kranz mit roten und weißen Rosen nieder.

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