Kultur in Dachau:Die Schöpfung

Der Künstler Raphael Grotthuss erschafft aus seinen Papiergebilden erstaunliche Landschaften, Formen und Strukturen. Die KVD-Galerie in Dachau ist genau der richtige Ausstellungsort für seine Werke

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Ein mehr als mannshoher Kegel in satten Blau- und Lilatönen zieht derzeit in der Galerie der KVD alle Blicke auf sich. Er ist der erste Hingucker in der aktuellen Ausstellung "Landschaft_Form_Struktur" des jungen Münchner Künstlers Raphael Grotthuss. Am Donnerstag war die ungezwungene - und selbstredend coronakonforme - Eröffnung drinnen und draußen. Vor einer buchstäblich die Längswand füllenden Arbeit mit dem sich schnell erschließenden Titel "1000x300_21052021" weist KVD-Vorsitzender Johannes Karl darauf hin, dass diese Ausstellung einem "urdachauer Thema" gewidmet sei: Papier. Schließlich habe die Dachauer Papierfabrik lange Jahre die Stadt geprägt. Fast wehmütig erinnert er an die wenigen Überreste, die derzeit noch vom Gebäudekomplex der seit 2007 geschlossenen MD Papierfabrik am Fuß des Schlossbergs zu sehen sind.

Papier ist Grotthuss' Material der Wahl. Nicht irgendwelches, sondern solches, das er selbst in seiner Werkstatt, dem Papierwerk Glockenbach in München, herstellt und daraus singuläre Bilder formt. Warum er sich diesem Material verschrieben hat? Grotthuss führt den Besucher zu einem Werk an der Wand: Grau in Grau, mit Rissen und Schrunden wie Basaltgestein. Flachsfasern und Graphit hat er hier verarbeitet, die nasse Masse auf einen Stahlrahmen gespannt - und die schwere Masse hat die Stahlträger verbogen. "Da dachte ich mir, so eine Faser kann man nicht links liegen lassen", sagt er und nannte das skulpturenhafte Werk: pointdedépart, also Startpunkt. So gibt es etliche Arbeiten in dieser Ausstellung, in denen Flachs und Glas die Hauptrolle spielen, "weil Flachs eine unglaubliche Kraft hat, ein uraltes Material ist und sich gut mit Glas verbindet". Grotthuss nutzt diese Verbindung auf ganz unterschiedliche und immer wieder überraschende Weise. Er sprüht die Fasermasse auf, kratzt sie wieder ab, füllt sie erneut auf, trägt mehr oder minder viele Schichten auf oder quetscht sie mit Spanngurten zusammen.

Was den Künstler an den Materialien Papier und Flachs besonders reizt: "Ich habe eine Intention, weiß aber nicht, was dabei herauskommt. Das überrascht mich immer wieder." So entstehen mal feinfühlige, mal wuchtige Gebilde, in denen das Auge geruhsam spazieren gehen kann - oder sich an Details festsaugt.

Ein solcher Entstehungsprozess lässt sich beim eigens für die Ausstellung geschaffenen Kegel_KVD/terra-incognita live beobachten. Hier hat Grotthuss Zellstoff aus eigenen Installationen und Altpapier verwendet, die nasse Masse auf ein Gerüst aufgetragen und die Oberfläche mit Pigment besprüht. Nun trocknet sie in den Galerieräumen, verändert ständig Farbe und Struktur. "Und ist richtiges Upcycling", wie Grotthuss sagt, der selbst ganz gespannt auf das "Endergebnis" ist. Und wie ist die drei mal zehn Meter hohe Arbeit an der KVD-Wand mit ihrer dreidimensionalen Wirkung entstanden? Geht man an ihr entlang, wird man in einen Film mit Luftaufnahmen einer grau-grünen, unwirklichen Landschaft versetzt. Grotthuss hat hier die Siebe der Papiermaschine so verformt, dass ein dreidimensionales Gewebe entstand. In mehreren Arbeitsgängen hat er anschließend die Papierfasern mit Druckluft aufgesprüht. Die Wirkung ist erstaunlich: Die Landschaft mit ihrem Spiel von Licht und Schatten verwandelt sich plötzlich in einen eher rustikalen Stoff, der achtlos zusammengeknüllt wurde, dessen Falten nun tiefe Schatten werfen und den man unwillkürlich wieder glattstreichen möchte. Das ist wohl das Besondere an Grotthuss' Arbeiten: Sie sind eine haptische Versuchung, man kaum dem Drang widerstehen, ihren Formen mit den Händen nachzuspüren, nachzuempfinden, wie sich die Farben in der Flachs- oder Papiermasse ihren Weg gesucht haben.

Landschaft_ Form_ Struktur_. Ausstellung von Raphael Grotthuss bis 7. November in der KVD-Galerie Dachau. Öffnungszeiten: Donnerstag bis Samstag 16 bis 19 Uhr, Sonntag 12 bis 18 Uhr.

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