Süddeutsche Zeitung

Ausstellung in Dachau:Deutsches Affentheater

Jörg Immendorff ist der Popstar unter den deutschen Nachkriegskünstlern. In der Galerie Lochner sind mehr als 70 Werke von ihm zu sehen, hauptsächlich Skulpturen und Grafiken. In Teilen gezeigt wird auch sein berühmtes "Café Deutschland" - in sehr kleinen.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Ab und zu muss man ein paar Schönheitsreparaturen machen, den Putz ausbessern, die Fassade neu streichen, aber die Arbeiten am Gebäude der Konrad-Adenauer-Straße 7 ziehen sich schon seit Monaten hin, und solange Frost herrscht, geht hier nichts vorwärts. Josef Lochner muss sich darauf einstellen, dass seine kleine Galerie in der Dachauer Altstadt noch eine ganze Weile von Stahlgerüsten und Plastikfolien eingehaust sein wird. "Ich habe schon überlegt, ob ich nicht ein Banner draußen befestigen soll." Man ahnt ja sonst gar nicht, was sich dahinter verbirgt.

Eine Touristin, die zufällig durch das Fenster die großformatigen Druckgrafiken an den Wänden erblickt, kann gar nicht glauben, dass hier, in einem ehemaligen Dachauer Fachgeschäft für Whirlpools, hinter Stahlzwingen und Plastikplanen Bilder von Immendorff ausgestellt sind. "Von dem Immendorff?", fragt sie lieber noch mal nach.

Ja, von dem Immendorff. Von dem Immendorff, der einst ein sagenhaft kitschiges Porträt von Gerhard Schröder malte, von dem Immendorff, der in flagranti mit Koks und Prostituierten in einem Luxushotel ertappt wurde und dessen Gemälde für irrwitzige Summen gehandelt werden: Jörg Immendorff (1945-2007), Maler, Bildhauer, Grafiker, Aktionskünstler, Bühnenbildner und Enfant Terrible, ist einer der international erfolgreichsten deutschen Nachkriegskünstler, der bekannteste Schüler von Joseph Beuys.

Wie populär er beim Dachauer Publikum ist, erkennt man daran, dass Lochner auch ohne Werbung und trotz Baustellen-Tarnung schon am ersten Sonntag so viele Besucher in der Ausstellung hatte, dass er gar nicht dazu kam, sich mal hinzusetzen.

Im Café Deutschland ist die ganze Nation zu Tisch

Bekannt wurde Immendorff vor allem durch seine Bilderserie "Café Deutschland" aus den Siebzigerjahren. Politische Ereignisse, Symbole und Akteure führt er darin collagenhaft zusammen im geselligen Gewimmel eines Caféraums: die ganze Nation zu Tisch zwischen Reminiszenzen und Szenen ihrer Geschichte, dazwischen Sentenzen und Parolen.

Wer die monumentalen Arbeiten in Gänze erfassen wollte, musste 2005 in der Neuen Nationalgalerie Berlin ein paar Schritte zurücktreten. In Lochners kleiner Galerie könnte man so ein Werk nicht zeigen. Und doch kann man es hier sehen - wenn auch nur in zwei kleinen Ausschnitten, als Linolschnitte aus dem Jahr 1982, Größe circa 80 auf 60 Zentimeter.

Der eine heißt "Angel 1", ihn ziert der Hammer des DDR-Arbeiterstaats, der andere trägt den Titel "Klar?"; das scharfe Auge kann hier Reichskanzler Otto von Bismarck erspähen. Die Blätter sind handübermalt in den Farben Schwarz, Rot, (Gold-)Gelb. Falls sie jemand erwerben möchte: Sie kosten jeweils so viel wie ein neuer Kleinwagen. Es sind Unikate. Von dem Immendorff.

Der "Geschichte(n)erzähler"

"Die Idee der Nation nicht den Rechten überlassen" zu haben, das war in den Augen des ehemaligen Kölner Kunstprofessors Kasper König eines der ganz großen Verdienst des 1945 im niedersächsischen Bledecke geborenen Künstlers. Immendorff begleitete sein Land als moderner Historienmaler. "Er ist ein Geschichte(n)erzähler", sagt Galerist Josef Lochner, und er ist es auch im Sinne seines großen Lehrmeisters Beuys. Der bläute seinen Schülern ein, alle Kunst solle sich sozial und politisch engagieren.

Immendorff beschäftigte die Teilung in Ost und West, für ihn war sie mehr als eine nationale Frage, sie war ein "Weltproblem". Die beiden deutschen Teilstaaten, sagte er es einmal in einem Interview, seien die Stoßstangen "der beiden Weltautos, die drohten ineinander zu crashen". Das ist zum Glück nicht passiert, aber wer weiß das schon vorher.

Wiedersehen mit Penck und Lüpertz

Insgesamt sind in der Dachauer Ausstellung mehr als 70 Arbeiten zu sehen, viele davon muss man sich im Kunstständer durchblättern, an den Wänden der kleinen Galerie finden längst nicht alle Platz. Nicht verpassen sollte man dabei die Bilder der Mappe "Auf die kleine Reise gehen" von 1991. Auf insgesamt 13 Blättern unternimmt Immendorff darin eine Expedition durch das neue Deutschland. Mit an Bord hat er berühmte Künstler aus seinem Freundeskreis, darunter Markus Lüpertz und A.R. Penck, zu denen Lochner in jüngerer Zeit auch schon Ausstellungen gezeigt hat.

A.R. Penck entdeckt man, wie er in der Hocke eine seiner von Höhlenmalereien inspirierten Strichfiguren in einen Felsbrocken meißelt. Der junge Wilde aus dem Osten arbeitete viel mit Zeichensystemen und Symbolen. In der DDR war das Chiffrieren eine Notwendigkeit, um Zensur und Repressionen zu entgehen. Bei Immendorff hat das Zeichenhafte einen anderen Charakter. Es ist eine persönliche Ikonografie, eine bildhafte Verdichtung von Geschichte und nicht zuletzt ein ästhetisches Stilmittel.

Viele Motive tauchen immer wieder auf, der Adler, das Brandenburger Tor, aber auch Themen der Kunstgeschichte: der Turm von Babel, Sinnbild der menschlichen Hybris, Jakob de Gheyns personifizierte Kardinaltugenden oder die Umrisse von Caspar David Friedrichs berühmter "Eiche im Schnee". Immendorff sah in der Kunst immer eine Weltsprache - was nicht heißt, dass man sie einfach lesen kann wie eine Gebrauchsanleitung.

"In der Kunst besteht für mich der Sinngehalt heute gerade im Sinnbruch", sagte Immendorff einmal. "Das Tröstliche besteht vielleicht darin, dass dieses sinnlose Chaos sich in der strahlenden Schönheit abbildet." Man merkt, hier spricht nicht mehr der junge Aktionskünstler, der mit schwarz-rot-gold bemaltem Holzklotz am Bein durch Berlin humpelt.

Kunst der Verwandlung

Wie sich Stil und Themen Immendorffs wandeln, kann man an den ausgestellten Arbeiten schön nachvollziehen; sie decken den Zeitraum von 1982 bis 2007 ab. In der frühen Phase sind die Bilder noch geprägt vom Agitprop: plakative Bilder mit Parolen und politischen Emblemen, es folgen seine berühmten Salonbilder. In den Neunzigern beginnt die letzte, qualvolle Phase seines Schaffens.

1997 wird bei Jörg Immendorff ALS diagnostiziert, ein langsames Sterben beginnt. Die Nervenkrankheit macht ihn nach und nach bewegungsunfähig, die Hände gehorchen ihm nicht mehr, aber seine Schüler. Sie lässt er vollenden, was er erdacht hat, mit Hilfe einer Schablone kritzelt er abschließend die Signaturen unter seine Bilder. Aber sie haben nichts mehr von der Heiterkeit der früheren Wimmelbilder. Es sind kontemplative, mystische und aufs Wesentliche reduzierte Arbeiten. "Man merkt schon, dass es ihm am Ende nicht mehr so gut ging", sagt Josef Lochner. Beeindruckend sind die Bilder trotzdem - oder gerade deswegen.

Der Affe mit dem Pinsel

In der Ausstellung begegnet man Immendorff auch als Bildhauer. Mehrere Affenbronzen bevölkern die kleine Galerie, Pinsel schwingend oder sich mühsam auf angeschnallten Kugeln vorwärts tastend. Der Affe ist erklärtermaßen sein Alter Ego, eine ambivalente Figur, närrisch und weise, tumber Nachahmer und frecher Freigeist. In China kennt man die Legende vom Affenkönig, der durch die Lehre daoistischer Meister die Fähigkeit erlangt, sich auf 72 verschiedene Weisen zu verwandeln. So einer ist auch Immendorff.

Öffnungszeiten: Donnerstag 16 bis 19 Uhr, Samstag 12 bis 15 Uhr, Sonn- und Feiertage 14 bis 17 Uhr und nach Vereinbarung, Telefon 08131/66 78 18 oder 0162/455 96 99. Zu sehen bis 1. Mai. 7. und 9. April (Karfreitag und Ostersonntag) geschlossen, am 10. April (Ostermontag) von 14 bis 17 Uhr geöffnet.

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