Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Einfach extravagant

Allein schon die Tatsache, dass in Dachau eine Ausstellung Angewandter Kunst stattfindet, ist außergewöhnlich. Deshalb ist die Freude unter den 13 Künstlern in der KVD-Galerie auch so groß

Von Bärbel Schäfer, Dachau

Friedlich liegen die beiden Rinder im Gras, ruhend und widerkäuend. Aus der Entfernung sehen sie aus wie zwei Klumpen aus gekneteter Masse, kleine Gebirge mit Höhen und Tiefen. Ihre Körper - der eine in Eiche gearbeitet, der andere in Beton gegossen - sind als Landschaften modelliert, in denen sich das Licht fängt und im Spiel mit dem Schatten eine lebendige Plastizität hervorruft. Die beiden Plastiken sind sich ähnlich und doch völlig verschieden. Die Bildhauerin Anna Pfanzelt experimentiert mit der Anmutung unterschiedlicher Werkstoffe, sie stellt die warme Oberfläche des gemaserten Holzes der kühlen Glätte des grauen Betongusses gegenüber und bezieht sich in den Tierplastiken auf ihre Herkunft aus Oberammergau, wo weidende Rinder noch fest zur Landschaft gehören.

Ihre Kunstwerke sind Bestandteil der Ausstellung "Simple Dinge - handsomes", die am Wochenende in der KVD-Galerie und in der Keramik-Werkstatt von Claudia Flach zu sehen ist. 13 Künstler, Designer und Kunsthandwerker zeigen hochwertige und individuelle Produkte aus den Bereichen Schmuck, Keramik, Porzellan, Textil, Papier, Glas, Holz und Geflecht. Vom Alltagsgegenstand bis zum außergewöhnlichen Schmuckstück, von der Kleinserie bis zum erlesenen Einzelstück, wie sie sonst nur auf großen internationalen Messen zu sehen sind.

Organisatorin Claudia Flach freut sich über die Zusammenführung der ausgewählten Aussteller, die nicht nur feinste Qualität, sondern auch eine große Vielfalt bieten. "Das ist eine kleine Kunsthandwerkmesse in Dachau", so Flach. "Jeder Aussteller steht für einen unverkennbaren Stil." Pia Maria Duppich, Unk Kraus und Kira Fritsch als Mitorganisatorin präsentieren extravaganten Schmuck für Hals und Hände: Silbergeschlungene, geometrische Anhänger an Kautschukbändern und große, ovale Ringe; bunte Colliers aus thermoplastischen Kunststoffen, die in Goldschmiedetechnik bearbeitet werden und so auffallend sind, dass man Mut haben muss, sie zu tragen, oder im Gegenzug dazu kleine, verträumte Preziosen, die den Blick eher auf das Verborgene lenken.

Um scharfkonturiertes Design in Verbindung mit Funktion geht es in den Papier-Taschen von Claudia Santiago Areal. Einzigartige Damenhandtaschen von der eleganten Clutch bis zum praktischen Shopper sind weniger alltäglicher Gebrauchsgegenstand als vielmehr architektonisches Statement. "Ich verwende doppelschichtiges Kraftpapier, das ich laminiere und von Hand farbig lasiere", erklärt die studierte Innenarchitektin. Neben den klaren, linearen Formen sind die sichtbaren Nähte in farbigem Garn ein wichtiges Gestaltungsmerkmal der wunderbaren Accessoires.

Einen Aha-Effekt erlebt der Besucher auch beim Anblick von Irmengard Matschunas komplizierten Schachteln aus Pappe, Papier und Collage. In buchbinderischer Technik verbindet die Psychologin und Philosophin die Funktionalität der Behälter mit einem skulpturalen Objektcharakter, der neben der räumlichen Auseinandersetzung auch Witz und Humor verrät. Die beiden Flechtwerkgestalterinnen Elke Hegmann und Gitti Klitzner schaffen in ihren fein gearbeiteten Objekten, die nur mehr entfernt an Korbflechtereien erinnern, naturbelassene Schmeichler für die Augen. So ähnlich ist es auch in den Textilarbeiten von Marianne Wurst. In reiner Handarbeit fertigt sie aus Stoffen und Geweben individuelle Kleidung, die sich zwischen Tradition und Moderne bewegt.

Den Bogen zur Kunst schlägt die Dachauerin Paula Flach. Die Zeichnerin und Redakteurin für Dokumentarfilme lässt nachts ihrer Fantasie freien Lauf und schreibt und illustriert kleine Geschichten. Als Zeichnerin betätigt sich auch die aus Oberammergau stammende Holzbildhauerin Anna Pfanzelt. In einer quadratischen Bleistift- und Tuschzeichnung zitiert sie die Deckenfresken in den bayerischen Barockkirchen, wo sich in der Kuppel der Himmel mit den Heiligen und Engeln in einem wirbelnden Sog auftut. Anna Pfanzelt schafft in der Radiernadeltechnik aus heutiger Sicht ebenfalls eine faszinierende Metaebene aus stürzenden und aufsteigenden Elementen, Figuren und Tieren. Die beiden ruhenden Kühe und ein moderner Kruzifix gehören dazu.

Angewandte Kunst

Angewandte Kunst beschäftigt sich mit der künstlerischen Gestaltung von Gebrauchsgegenständen. Dem Gebrauchswert wird ein Schönheitswert hinzugefügt. Vorreiter war das Staatliche Bauhaus in Weimar. Die Kunstschule wurde 1919 von Walter Gropius gegründet und leistete in der Zusammenführung von Kunst und Handwerk Pionierarbeit. Das Bauhaus zog später nach Dessau um bestand bis 1933. Weimar und Dessau waren im Bereich der Architektur, der Kunst und des Designs im 20. Jahrhundert die einflussreichsten Bildungsstätten. Lehrer wie Marcel Breuer, Oskar Schlemmer, Lyonel Feininger und Wassily Kandinsky forderten die gleichwertige Einheit von Architektur, Plastik, Malerei und Kunstgewerbe. Das Bauhaus gilt weltweit als Wiege der Avantgarde freier und angewandter Kunst und prägt bis heute wesentlich das Bild modernistischer Strömungen.

Die Neue Sammlung München - The International Design Museum Munich, früher: Staatliches Museum für angewandte Kunst - gilt als das erste Designmuseum der Welt, lange bevor es dieses Wort gab. Ihre Gründung ist eng mit der Gründung des Deutschen Werkbundes 1907 in München verflochten, sie wurde 1925 als Staatsmuseum des Landes Bayern institutionalisiert. Heute ist sie eines der international führenden Museen auf diesem Gebiet und betreut die Sammlung Design in der Pinakothek der Moderne in München.

In Dachau stellen aus: Pia Maria Duppich, Claudia Flach, Paula Flach, Elke Hegmann, Kira Fritsch, Gitti Klitzner, Unk Kraus, Irmengard Matschunas, Gabriele Metzger, Anna Pfanzelt, Claudia Santiago Areal, Birgitta Schrader und Marianne Wurst. Samstag und Sonntag, 15. und 16. Oktober, von zehn bis 18 Uhr, KVD-Galerie in Dachau (Kulturschranne). baes

Die Ausstellung komplettieren Brigitte Schraders Neuinterpretationen von traditionellem Tafelservice und Claudia Flachs märchenhafte Keramiken in der gegenüberliegenden Keramik-Werkstatt mit "Spielzeug für Erwachsene". Dazu gehören eine "Traumstation" mit Geldschlitz und eine kleine Bühne für ein ganz privates Theater. Glaskünstlerin Gabriele Metzger präsentiert farbige Flachgläser an den Schaufenstern. Sie streuen das Tageslicht stimmungsvoll in den Raum und verwandeln sich ihrerseits durch den Lichteinfall zu kunstvollen Lichtwerken.

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Quelle:
SZ vom 15.10.2016
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