Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Eine große Tradition

Die Malerin Inge Jakobsen bewegt sich mit ihrer Ausstellung im Wasserturm im Kreis großer Vorbilder wie Kasimir Malewitsch. Ihre Auseinandersetzung mit der Form des Quadrats führt mitten hinein in die Anfänge der Konkreten Kunst in Europa

Von Bärbel Schäfer, Dachau

Der Russe Kasimir Malewitsch zeigte um die Jahreswende 1915/16 in einer Ausstellung in Sankt Petersburg die erste Serie seiner suprematistischen Bilder, darunter das berühmte "Schwarze Quadrat auf weißem Grund". Diese Bilder waren der Durchbruch zur gegenstandslosen Kunst. Seitdem hat das Quadrat als Bildmotiv die Kunst nicht mehr verlassen. Piet Mondrian führte es im Zuge der niederländischen De Stijl-Bewegung in den 1930er Jahren durch konsequente Reduzierung in einen Rhythmus aus vertikalen und horizontalen Linien. Paul Klee brachte es in einen lyrischen Gesamtklang, Josef Albers malte 1965 die Serie "Hommage to the Square" und experimentierte mit der subjektiven optischen Wahrnehmung. Es gibt sogar eine eigene Sammlung, die sich ausschließlich dem Quadrat widmet: Das Museum Ritter im schwäbischen Waldenbuch.

Seit vielen Jahren beschäftigt sich die Dachauer Malerin Inge Jakobsen mit der Entfaltung und Wirkung geometrischer Formen auf der Bildfläche. Jetzt widmet sie der perfekten geometrischen Form ebenfalls eine Ausstellung. Im Wasserturm zeigt die gebürtige Dänin "Malerei im Quadrat" mit Bildern, die sich mit dem Verhältnis von Gleichgewicht und Instabilität und der Veränderung der Form durch die Farbe beschäftigen. Damit ist die Malerin kurz hintereinander mit der zweiten Ausstellung in Dachau präsent. Im Frühjahr stellte sie in der KVD-Galerie aus.

Quadrate, auf nur einer Spitze stehend und ausbalanciert, oder zu einer Seite kippend und aus dem Gleichgewicht geratend. Quadrate, eingezwängt in geometrische Farbräume oder leicht schwebend vor einem hellen Hintergrund. Mal scheint das Quadrat auf dem Kopf zu stehen, mal zu tanzen, mal gefährlich aus der Mitte zu kippen. Alles ist voller Spannung und Dynamik. Inge Jakobsens Bilder zeigen: Allein die Anordnung des Quadrates auf dem Malgrund und das Zusammenwirken der Farben ergeben jedesmal eine neue Bildfindung. Sie experimentiert wie schon ihre Vorgänger mit der Wirkung von Farben, Formen, Linien und Flächen. Eine Arbeit hat sie Kasimir Malewitsch gewidmet. "Malevitsch in Monets Garten" zeigt ein graues, auf der Spitze stehendes Quadrat, dessen Fläche mit bewegten, runden Pinselstrichen gefüllt ist. Der umgebende Bildraum ist zum Teil hell - in einem helleren Grau als das Quadrat - und zum Teil dunkel. Der dunkle Raum ist jedoch nicht monochrom dunkelgrau, sondern besteht aus vielen unterschiedlichen Tönen, die sich erst aus der Entfernung zu Grau mischen. Er ist von einer farbigen Lebendigkeit, wie man sie auch in den späten Gartenbildern Monets findet. Andere Quadrate leuchten in einem aufregenden Neon-Rot, in Gelb auf Schwarz, Rosa auf Rot, oder Orange neben Lila. Bildfüllende Quadrate werden zur Farbfeldmalerei.

Inge Jakobsen malt lasierend in vielen überlagernden Farbschichten, schafft feine Farbabstufungen und kaum sichtbare Nuancen. Durch Simultankontraste entsteht ein Flimmereffekt, der das menschliche Auge täuscht. Die benachbarten Farben beeinflussen sich gegenseitig und fangen an den Rändern an zu tanzen. Es entsteht ein Rhythmus wie in der Musik. Im mittleren Turmgeschoss zeigt Inge Jakobsen die ersten zeichnerischen und malerischen Versuche mit dem Quadrat. Kleine Bleistiftzeichnungen belegen, wie sie Landschaft und den menschlichen Körper geometrisch zerlegt - auch Piet Mondrian hat das gemacht - und sich auf diese Weise über die Naturstudien der Geometrie nähert. Ihre großen, kippenden Quadrate werden so zu einer fast meditativen Beschäftigung.

Bei allem Respekt für die Schönheit stellt sich dem Betrachter die Frage, welchen weiterführenden Gedanken Inge Jakobsen in die Auseinandersetzung mit dem Quadrat einbringt. In der aktuell bewegten Welt der Video- und Medienkunst wird man natürlich aufmerksam auf konstruktivistische Malerei, die seit einigen Jahren auch eine Wiederbelebung erfährt. Wenngleich die letzte Neuheit fehlt, wie sich in der Vielzahl der prominenten Vorgänger ermessen lässt.

Inge Jakobsen: Malerei im Quadrat, Wasserturm Dachau Öffnungszeiten: Freitag, 23. Oktober, von 17 bis 19 Uhr, Samstag und Sonntag, 24./25. von 14 bis 18 Uhr. Am Samstag, 24. Oktober, 18 Uhr findet die Veranstaltung statt: "Det er dansk, det er dejligt" - Dänisches für die Sinne. Am Sonntag, 25. Oktober, findet um 15 Uhr eine Führung mit Inge Jakobsen statt.

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Quelle:
SZ vom 21.10.2015
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