Ausstellung:Echt jetzt oder was?

In der Neuen Galerie loten neun Künstler die Grenzbereiche der Wirklichkeit im digitalen Zeitalter aus. Ihre Mittel: Fotografie, Videokunst und der Blick auf sich selbst

Von Anna-Elisa Jakob, Dachau

Moment

Eine Nahaufnahme der Installation von Jette Hampe.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Der Eingang der Neuen Galerie erscheint gerade besonders idyllisch - ein verborgener, blühender Innenhof. Im Inneren die kahlen Wände, pure Atmosphäre und die aktuelle Ausstellung: Fotos, Videos, Animationen. Ihr Titel: "Moment".

Ein Moment entsteht bereits hier, im Zusammenspiel der Umgebung, das zugleich das Herz der Ausstellung trifft: Die menschliche Zerrissenheit in Zeiten des Digitalen, das Leben zwischen dem Realen - das Grüne, das Lebendige, das Greifbare - und der Technik - das Kühle, das Unfassbare, das Veränderbare. Es ist ein Moment zwischen diesen neu entstandenen Parallelwelten unserer Zeit, der fragen lässt: Was bleibt real und greifbar, wenn die Sphäre des Digitalen es in sich aufnimmt?

Ein Gedanke, der sich intensiviert in der Video-Performance der jüngsten Künstlerin der Ausstellung, Simona De Fabritiis. Die 28-Jährige filmte ihre eigene Hand vor einem landschaftlichen Hintergrund und überließ es dem Autofokus, wann ihre Hand - das Greifbare - scharf oder unscharf erscheint - determiniert durch die Automatik der Kamera.

Moment

Standbilder aus den Videoanimationen von Johannes Karl.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Ausstellung in der Neuen Galerie setzt sich mit den Positionen zeitgenössischer Foto- und Videokunst auseinander, Kuratorin Jutta Mannes hat hierfür Werke von acht Künstlern der KVD sowie einer der Künstlergruppe nahestehenden Künstlerin zusammengebracht. Das Spiel mit der Schärfe, das De Fabritiis benutzt, findet sich auch in anderen Werken, beispielsweise in den Schwarz-Weiß-Fotografien von Wolfgang Feik. Keine der abgebildeten Personen ist darauf wirklich zu erkennen, weder Details noch genaue Gesichtszüge - nur Schatten und Facetten. "Inner Portrait" heißen die Stücke, und als Betrachter ist es genau das, was man zu erkennen meint: die innere Haltung der Abgebildeten, ein Hauch ihrer selbst.

Genau an dieser Stelle setzt die Frage an, die sich die Künstler unterschiedlichster Generationen stellen: Wo stehe ich selbst in dieser neuen Realität aus Parallelwelten? So wählen sie das Mittel der Selbstbetrachtung, der Spiegelung des Eigenen und des Betrachters. Die Fotografin Romy Karbjinski beispielsweise, die während eines Klinikaufenthaltes jeden Abend ein Bild von sich mit dem Smartphone vor dem Spiegel machte - 28 Mal im grünen T-Shirt, vor Zahnpasta und Cremedosen, immer mit einem etwas anderen Gesichtsausdruck. Eine Selbststudie, in der sich das Reale zunächst im Badspiegel und später erneut für den Betrachter durch die digitale Aufnahme spiegelt.

Moment

Bilder einer Sofortbildkamera von Romy Karbjinski.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Vielleicht findet sich eine Konstruktion des Badspiegels auch in der Installation von Annekathrin Norrmann - die Intention scheint jedenfalls eine ähnliche, wenn auch nach außen gerichtet. Die Künstlerin hat eine Schwarz-Weiß-Fotografie, aufgenommen auf einer Reise nach Südkorea im Jahr 2010, eingerahmt neben einer schwarzen, leicht spiegelnden Oberfläche. Diese Oberfläche lässt sich drehen, auf der Rückseite ist ein großflächiger Spiegel angebracht. Der Betrachter sieht sich plötzlich selbst. Und ist - bereits davor durch seine Interpretation, in diesem Moment aber plötzlich auch bildlich - niemals nur Betrachter, sondern stets Beteiligter. Jemand, der zwischen den Welten steht.

Auf dieses absurde Selbstbild unserer Zeit lässt sich reagieren wie Katrin Schürmann, deren intensive Fotografien eines vereisten Baches ausgestellt sind. Mal dick zugefroren, mal bereits am Tauen. Der Betrachter wird nicht abgelenkt, die Bilder sind klar und direkt, rein digital fotografiert. Oder, wie direkt daneben ausgestellt, die Fotografien von Silvia Kirchhof, die ihren Ausdruck auf gegensätzliche Weise entwickeln. Die Werke der 62-Jährigen widmen sich dem Verschwinden, ihre Schwarz-Weiß-Fotografien aus der Natur und von einem verlassenen Bergdorf hat sie mit weißer oder goldener Acrylfarbe übermalt.

Moment

Fotografien mit dem Smartphone.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Ein Merkmal moderner Fotografie und Videokunst ist ihre Beständigkeit, sie ist für immer speicherbar und das ohne Qualitätsverlust. Gleichzeitig lässt sie sich aber gerade durch technische Möglichkeiten bis zur Unkenntlichkeit verändern.

Im Zentrum der Ausstellung hängt das Werk von Jette Hampe an dünnen Fäden von der Decke, die fünf Meter lange Stoffbahn schwebt nur knapp über dem Boden. Die Künstlerin hat Tausende analoger Fotografien zerschnitten und diese später akkurat in Reihe auf dem Stoff aufgenäht. Eine mühevolle Handarbeit, Dekonstruktion und Produktion in traditioneller Weise. Dagegen steht das Werk von Johannes Karl: die Zersetzung einer Blumenwiese durch Animation. Das Video, das großflächig auf eine Wand der Neuen Galerie projiziert wird, könnte eine künstlerische Zeitreise sein. Es trägt den Titel "Frühstück im Grünen" in Anlehnung an das Gemälde von Édouard Manet, das rein motivisch jedoch wenig Ähnlichkeit hat. Doch ähnlich wie Claude Monet später die Ursprungsversion seines Kollegen in impressionistischem Stil aufgreifen wollte, verändert sich die Blumenwiese von Johannes Karl immer weiter zu einzelnen, verwischten Bildpunkten - weckt kurz schon eine expressionistische Atmosphäre - und schwenkt dann auf den blauen Himmel, auf das Jetzt.

Moment

Das Werk von Simona De Fabritiis.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Was in diesem Raum spürbar wird: Weder Aussagekraft, noch Spontaneität und Authentizität der Werke sind abhängig von der Technik - es bleibt die Art der Künstler, diese zu nutzen, die sie prägt und in das Jetzt, in das Nicht-Digitale, transportiert. Abgerundet wird diese Vorstellung durch das Werk von Agnes Jänsch, einer Diashow im Nebenraum. Sie zeigt abwechselnd Textzüge auf dunklem Hintergrund, in Schreibmaschinenschrift, daneben Fotografien aus Jänschs Berliner Wohnung - ein Aschenbecher, zerworfene Bettlaken, leere Papierbecher, aus denen ein letzter Rest Kaffee rinnt. Erzählen soll sie die Geschichte von Stephan Urbach, einem Internet-Aktivisten der Gruppe "Telecomix", die während des Arabischen Frühlings versuchte, sichere Kommunikationswege für Aufständische in Syrien zu schaffen. Es ist eine moderne Erzählung in zeitgenössischer Bildsprache, präsentiert mit alter Technik. Ein Moment zwischen den Welten.

Moment. Positionen zeitgenössischer Fotografie und Videokunst. Ausstellung in der Neuen Galerie Dachau. Geöffnet Dienstag bis Sonntag sowie an Feiertagen jeweils von 13 bis 17 Uhr. Bis 21. Juli.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: