Ausstellung der Künstlervereinigung Dachau:Raus aus der Komfortzone

Die Freiluftausstellung fordert die Dachauer heraus, ihre Stadt mit neuen Augen zu sehen und auch ihre eigene Rolle im Gemeinwesen

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Regenschirme lassen sich bekanntlich prima als Sonnenschutz verwenden. Dieser ist am Sonntagvormittag auch dringend angesagt. Schließlich hat die Künstlervereinigung Dachau (KVD) das Motto ihrer Jubiläumsausstellung "Raus" auch bei der Vernissage umgesetzt und die Ausstellungseröffnung vor die Galerie der KVD verlegt. Eine gute Idee, denn die knallorangen Schirme mit dem einprägsamen Logo erweisen sich als echter Publikumsmagnet - und als mindestens ebenso anziehend wie die klobige Maschine aus der Druckwerkstatt der KVD, die gewissermaßen am laufenden Band T-Shirts bedruckt, auch wenn ein Vater nebst zwei kleinen Kindern sie aus der Ferne erst einmal mit einem Grill verwechselt.

Die Kids bekommen statt Bratwurst je ein Shirt, der Vater ersteht einen Multifunktionsschirm, der Pfarrplatz füllt sich mit Künstlern und Kunstaffinen, Spaziergängern und Neugierigen, alten und neuen Bekanntschaften. Wer schon vorab einiges in der Stadt gesehen hat, gibt seine Tipps gerne weiter. Wer sich später auf den Kunst-Parcours machen will, studiert erst einmal den Flyer und stellt sogleich fest: "Nach Dachau-Ost hat sich wohl keiner getraut." Das stimmt nicht so ganz, denn Heiko Klohns Elefanten haben sehr wohl den Weg dorthin gefunden. Und Peter Feermanns Kontemplationsschale liegt zwar noch im Trockendock, sprich: Sie ist in der Galerie der KVD zu besichtigen und schwimmt (nach Voranmeldung) demnächst auf den Dachauer Seen auch im Osten der Großen Kreisstadt, nämlich am Samstag, 31. August, am Obergrashofsee. Dass der einwohnerstarke Dachauer Osten insgesamt trotzdem weitgehend leer ausgeht, ist der einzige Kritikpunkt, den man bei dieser Vernissage zu hören bekommt.

Die Stimmung changiert zwischen tiefenentspannt bei den Gästen, aufgekratzt-erschöpft bei den Künstlern und Organisatoren. Nicht zu bremsende Neugier treibt alle - und es sind nicht gerade wenige -, die sich mit Alexis Dworsky auf Sightseeing-Tour der anderen Art begeben: "zu Sehenswürdigkeiten und Plätzen, die Sie so noch nie erlebt haben", machen wollen, wie es in der Ankündigung heißt. Diese Melange verdichtet sich zu einem Gefühl von Aufbruch und Erwartung, das mehr noch als die Sommertemperaturen den Pfarrplatz zu einem Ort macht, der die Besucher mit Leichtigkeit und Wärme erfüllt.

Oberbürgermeister Florian Hartmann nennt in seiner Ansprache den "Kunstsommer in Dachau" einen mutigen und konsequenten Schritt der KVD-Mitglieder. Im öffentlichen Raum werde Kunst ganz anders wahrgenommen, sagt er. Auch wenn die Diskussion "bisweilen kuriose Blüten treibe", wie er diplomatisch die Aufregung um Christian Engelmanns "Haltungsnote" umschreibt, die mittlerweile besser als "Sprungschanze am Altstadtberg" bekannt ist. "Raus" sei "ein Appell an die Dachauer Bürger, die Stadt mit anderen Augen zu sehen, neue Perspektiven und Haltungen einzunehmen. Raus aus der Komfortzone und rein in neue Möglichkeiten", fordert er. Denn "auch eine Stadt muss mal raus aus ihrer Haut, sich neu entdecken und erfinden".

KVD-Vorsitzender Johannes Karl - im vielfarbigen Hawaii-Hemd, dem unbestritten buntesten Kunstwerk des Tages - hält seine Rede ebenfalls erfreulich kurz. Er erinnert an den "Keim der KVD" als vor hundert Jahren "die Künstler raus aus der Stadt zur Motivsuche ins Dachauer Moos kamen". Nun wolle die Künstlervereinigung mit ihrer Kunst der Stadt etwas zurückgeben, "das Stadtbild neu wahrnehmbar machen". Und nicht zuletzt "das gesamte Spektrum der KVD und alle Aspekte, die die KVD auszeichnen: vom Tiny Atelier in einer ausrangierten Telefonzelle der jungen Künstlerin Anna Dietze bis zum "Altmeister" Klaus Eberlein, der mit seiner Arbeit "Raus in den Ersten Weltkrieg" an die Opfer dieses Kriegs erinnert. Er sei gespannt, "wie das alles funktioniert. Für uns ist das ja auch alles anders", sagt Karl.

Wie anders, lässt sich kurz darauf bei einigen Objekten feststellen. Getreu den Anweisungen ihres Vorsitzenden schnappen sich die Künstler je einen weißen Stuhl und einen orangefarbenen Schirm und begeben sich mehr oder weniger lässig zu ihren Werken. Vor Margot Krottenthalers "MyArterl" am Pfarrplatz stehen zwei Frauen und schauen auf den Plan mit den Freiluftkunstwerken. Sie teilen sich den Parcours ein, denn wer alle Objekte sehen will, ist locker mehrere Stunden unterwegs, wie Karl aus eigener Erfahrung weiß.

Die Sightseeing-Tour bewegt sich derweil gemächlich die Martin-Huber-Treppe runter. Klaus Herbrichs Himmelsspirale reckt sich in den Sommerhimmel hinter dem Sparkassenplatz. Nur ein paar Meter weiter schüttelt Ulrich Hochmann den Kopf. Sein Schwimmstein im Gröbenbach ist bereits seiner Bebänderung beraubt. Das Infoschild ist abgerissen. Es wird gemutmaßt und spekuliert, wer die Täter gewesen sein könnten. Hochmann nimmt es einigermaßen gelassen. Dass Katrin Schürmanns "Vica Versa", eine beeindruckende Thematisierung des Flüchtlingselends, in der Unterführung der Frühlingstraße ebenfalls beschädigt worden ist, empört allerdings nicht nur ihn. "So ist das, wenn man raus aus dem Atelier-Biotop ins wahre Leben geht", sagt eine mitfühlende Besucherin, widmet ihren Schirm zum Spazierstock um - und lässt einige recht nachdenkliche Menschen zurück.

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