Süddeutsche Zeitung

Kultur in Dachau:Wenn der Blick sich weitet

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Von Heimatlosigkeit bis Mytholgie: Die Ausstellung "Take a KLUS Look" im Wasserturm verbindet die Arbeiten von vier Frauen, die sich einst im Studiengang "Freies Malen" kennenlernten.

Von Renate Zauscher, Dachau

Eine Gruppe von vier Frauen, die ihren je eigenen künstlerischen Weg gehen, sich seit einigen Jahren aber zweimal jährlich zum gemeinsamen Arbeiten treffen, stellt ihre Arbeiten bis zum 9. Oktober unter dem Titel "Take a KLUS Look" im Wasserturm in Dachau aus. Die Bedeutung des Wortes Klus, der Bezeichnung, die Franziska Erb-Bibo, Maja Fischli, Petra Seeger und Polly Werner ihrer Gruppe gaben, erschließt sich auf den ersten Blick wohl nur einem Kenner der Schweizer Geografie. Ein Klus, erklärt die Schweizerin Maja Fischli, sei ein Quertal eines größeren Flusstals, das sich, aus der Verengung mit steilen Seitenwände heraus, plötzlich öffne und den Blick auf Neues freigebe. Mit diesem Bild beschreiben die Künstlerinnen eine gemeinsame Erfahrung: das Ringen um den "richtigen" künstlerischen Ausdruck während des Arbeitsprozesses und den Moment, in dem sich plötzlich alles fügt, alles "leicht wird", wie es Maja Fischli beschreibt.

Bei jeder der vier Frauen, die sich vor sieben Jahren in einem Studiengang "Freies Malen" in Bad Reichenhall kennengelernt haben, hat die eigene künstlerische Arbeit sehr viel mit ihrer jeweiligen Sichtweise auf das Leben zu tun. So beschäftigt sich Franziska Erb-Bibo in den Arbeiten, die sie nach Dachau mitgebracht hat, intensiv mit der Frage des Unbehaust-Seins, der Heimatlosigkeit - eine Frage, die sie an der Figur des Odysseus festmacht. In großformatigen Linolschnitten verbindet sie Zitate aus einem eigenen Text über Odysseus und seine Irrfahrten mit überwiegend abstrakten, dennoch deutbaren Formen in unterschiedlicher Farbgebung: Circe, die Zauberin, verbirgt sich in diesen Formen, auch die Schiffe des Odysseus und seiner Gefährten, das Auge des Polyphem blickt einen an und auch die Sirenengesänge werden optisch umgesetzt. Auch Penelope, die mit ihrer Webarbeit die Freier hinhält, kommt in einem in pastellrosa Tönen gehaltenen Flechtwerk als die endlos auf ihren Mann wartende Frau zu Wort.

Ein mythologisches Thema hat sich Maja Fischli für die Bearbeitung eigener Frustrationen und Wünsche gewählt: das des Sisyphos, dessen Stein immer aufs Neue den Berg hinaufgetragen werden muss. Für sie geht es um die Frage, wie viel Hoffnung in der endlosen Wiederholung einer Tätigkeit stecken kann und ob es so etwas wie "Zuversicht" in einer zunächst sinnlos erscheinenden Abfolge gleicher Inhalte überhaupt geben kann. Mit schwungvollem Pinselstrich trägt Fischli Acrylfarben, die manchmal durch Öl noch verstärkt werden, auf große Stoffbahnen auf. Farblich orientiert sie sich am Thema "Stein": Ihre Bilder sind in "Nicht-Farben" wie Schwarz, Weiß, Grau, Beige oder Ocker gehalten.

Die Frage nach Werden und Vergehen beschäftigt die Künstlerin und Hebamme

Polly Werner, US-Amerikanerin, die teils in München, teils im heimatlichen Maine lebt, hat unter anderem eine mit Kreide schwarz eingefärbte Holzskulptur zur Ausstellung beigesteuert. Schwarz, sagt Polly Werner, verfüge über eine ganz besondere Klarheit, über die intensive Beschäftigung mit Schwarz habe sie viel über Farben generell und über die Wirkung von Licht in der Malerei gelernt. Die Formen des Holzreliefs finden sich wieder in Radierungen, in denen Werner durch die Überarbeitung mit verschiedenen Materialien und in unterschiedlichen Farben immer neue Bezüge herstellt.

Die Frage nach Werden und Vergehen beschäftigt Petra Seeger. Die Samenkapsel, in der künftiges Pflanzenleben angelegt ist, ist für Seeger Inbegriff und Symbol für den Lebenszyklus aller Geschöpfe. Dieser Gedanke ist exemplarisch umgesetzt in einem von Seegers Ölbildern, das den Titel "Auf dem Weg" trägt. Im oberen Bildteil wächst aus dunklem Hintergrund eine runde, in hellen Orangetönen gehaltene Form: sich entfaltendes Leben. Als Hebamme, sagt Seeger, habe sie mit dem "Werden und Wachsen" auch beruflich zu tun. Die Frage, "was kommt, was wird", stehe damit in engem Zusammenhang.

So unterschiedlich die Herangehensweise der vier Frauen in ihren Arbeiten auch ist: Sie sind sich einig in ihrer Suche nach Antworten auf die großen Fragen, die die Menschen heute mehr denn je bewegen. Die Ausstellungsbesucher können sich in dieser Suche wiederfinden und vielleicht auch für sich dabei die ein oder andere Antwort entdecken.

Die Ausstellung "Take a KLUS Look" im Wasserturm am Hofgartenweg ist bis einschließlich Sonntag, 9. 10. 22 geöffnet, und zwar jeweils Freitag bis Sonntag und am Montag, 3.10. (Feiertag) von 13 bis 19 Uhr. Am Samstag, 8.10., findet um 17 Uhr ein Gespräch mit den Künstlerinnen statt.

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