Süddeutsche Zeitung

Ausstellung :Brutal schön

Künstler Norbert Kiening bearbeitet seine Materialien mit recht unsanften Methoden - und erzielt damit verblüffende Ergebnisse

Von Gregor Schiegl, Dachau

Nicht weit von der KVD-Galerie entfernt, auf der anderen Seite der Augsburger Straße, begann Norbert Kiening 1978 eine Lehre zum Buchdrucker. In der damaligen Druckerei Zauner wurden in dieser Zeit auch Holzschnitte von Richard Huber gedruckt. Dieses Kunsthandwerk begeisterte Kiening derart, dass er selbst begann, Lithografien herzustellen. An seine Druckerlehre schloss er ein Designstudium an der Fachhochschule Augsburg an und wurde freischaffender Künstler. Mit seiner Ausstellung in Dachau schließt sich für den in Dachau geborenen Künstler nun in gewisser Weise ein Kreis - nach ziemlich genau 40 Jahren.

Mit dem Traditionalisten Huber hat Norbert Kiening stilistisch nichts gemein, Kiening steht mit beiden Beinen fest in der Moderne. In seinen Werken schafft er Expressivität jenseits der Gegenständlichkeit, er entwickelt abstrakte Formen und Strukturen, die er dem Material manchmal mit brachialen Mitteln abtrotzt - mit Bleistift, Spachtel und Kettensäge. Kienings Oeuvre umfasst nämlich nicht nur Holzschnitte, sondern auch Gemälde, Zeichnungen und Holzskulpturen, und immer sind es Werke, die gleichzeitig von roher Wucht sind und einer filigranen Schönheit voller überraschender Details.

Für seine Schwarzweiß-Zeichnungen verwendet Kiening Karton von Passepartouts. Normales Papier würde Kienings Bearbeitungstechnik nicht überleben. "Das wird richtig malträtiert", sagt der Künstler. Alle Härtegrade von Bleistiften kommen zum Einsatz. Mit ihnen kreiert er schattenhafte Formen, tiefschwarz, mit metallischem Glanz, die dann eine harte Behandlung mit Nadeln, Radiergummi und Linolwerkzeug erfahren, die verwischt und zerkratzt werden und dadurch räumliche Strukturen entwickeln, die die Massivität der Schwärze abfedern, ja manchmal sogar federleicht erscheinen lassen.

Norbert Kiening arbeitet intuitiv, aber keineswegs planlos. Er hat sein Repertoire an Techniken, das in seinen Gemälden auch im wahrsten Sinne des Wortes durchscheint. Die Leinwand grundiert er mit einer wässrigen Farbe, die einen lichten, fast aquarellhaften Unterton erzeugt. Sein "Numerous and Varied" benanntes Bild bekommt durch ein pastelliges Orange einen feurig-dampfigen Farbstich wie ein Turner-Gemälde. Darüber legt er formen-, farbkräftige und kompositorisch spannungsreiche Flächen, ein Mix aus Öl- und Dispersionsfarbe. "Mir geht es um die Dichte", sagt Kiening. "Um die Struktur." Kiening arbeitet vor allem mit dem Spachtel, fast modelliert er seine Bilder; mit dem Bleistift setzt er zusätzliche Akzente.

In seinen Holzskulpturen greift Kiening die zerklüftete Oberfläche der Borke gestalterisch auf und intensiviert sie bis zur Schmerzgrenze. Ein Werkstück trägt sogar den Titel "Hurt". Früher waren seine Werke namenlos, Kiening wollte keine Beeinflussung im Schaffensprozess, keine Verengung der Rezeption seiner Bilder. Aber inzwischen gibt er seinen Werken doch Titel. "Es hilft einem, sich noch einmal mit der Arbeit intensiver auseinanderzusetzen."

Wenn er im Zusammenhang mit seinen Bearbeitungstechniken öfter von "Verwundung" spricht, ist das bestimmt kein Zufall. Kienig erschafft Strukturen, die mit "sanften" Techniken gar nicht zu erzielen wären. Auch bei seinen Holzschnitten arbeitet er nicht mit dem Geißfuß, sondern setzt die Kettensäge ein, wahlweise parallel oder schräg zur Faser des Holzes. Dadurch entstehen dünenartige Muster, eine neue künstliche Maserung, denen zusätzliche Schnitte und Kratzer zugefügt werden. Dass das Ergebnis am Ende ausdrucksstark, aber erstaunlich zart wirkt, liegt einerseits an Kienings sensiblem Umgang mit Farben, andererseits an der "Nass-in-nass-Technik", bei der beim Abzug feinste floral anmutende Strukturen entstehen. Zu sehen ist eine kleine, vielseitige Ausstellung, stark im Ausdruck und stimmig im ästhetischen Gesamteindruck. Moderne Kunst mit Power.

Norbert Kiening, Zeichnung / Malerei / Holzschnitt. Vernissage am Donnerstag, 1. März, um 19.30 Uhr in der KVD-Galerie. Öffnungszeiten Donnerstag bis Samstag, 16 bis 19 Uhr, Sonntag, 12 bis 18 Uhr. Noch zu sehen bis 25. März.

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Quelle:
SZ vom 01.03.2018
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